Fußball: Das Phänomen des Schwiegervereins

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In unserer Kolumne “Grünfläche” schreiben abwechselnd Christof Siemes, Anna Kemper, Oliver Fritsch und Stephan Reich über die Fußballwelt und die Welt des Fußballs. Dieser Artikel ist Teil von ZEIT am Wochenende, Ausgabe 43/2022.

Seit ich mit meinem Mann zusammen bin, habe ich freiwillig einiges getan, was ich sonst niemals in Erwägung gezogen hätte. Ich habe alle Folgen von Star Wars gesehen, Insekten gekostet und Romane nach Herkunft der Autoren im Regal sortiert.

Und ich habe mir Spiele von Bayer Leverkusen angeschaut.

Meinem Mann – ein Urenkel des Gründers von Bayer Leverkusen, wie er gern zu jeder passenden und unpassenden Gelegenheit erwähnt – ging es umgekehrt natürlich genauso. Erst war da nur ein schwarzgelber BVB-Schal an der Garderobe, dann hockte der Schwager unter der Woche auf dem Sofa und fegte jubelnd die sortierten Bücher aus dem Regal (Malaga!), und eh mein Mann sich versah, fand er sich selbst in einer BVB-Kneipe wieder, wo gesoffen, geraucht und gegrölt wurde: “Dortmunder Jungs!” Und wenn dort jemand fragte, was er denn hier zu suchen habe, er sei doch Leverkusen-Fan, dann zuckte er mit den Schultern und sagte: “Dortmund ist halt mein Schwiegerverein.”

Das Wort hatte er sich ausgedacht, und ich mochte es sofort. Denn wenn man sich entscheidet, mit jemandem zusammen zu sein, entscheidet man sich natürlich für diese eine, besondere Person. Aber es ist nun mal so, dass man gratis einiges mitgeliefert bekommt, was man nicht bestellt hat. Familie, Freunde, Hobbys. Und manchmal eben einen ganzen Fußballverein.

Der Schwiegerverein ist ein immer weiter um sich greifendes Phänomen: Weil mittlerweile mehr Frauen ins Stadion gehen, gibt es auch immer mehr ungewollte Fan-Partnerschaften. Ein Kollege von mir zum Beispiel nimmt seine Partnerin, auch eine Dortmund-Anhängerin, regelmäßig mit nach Cottbus, wo sie sich auf der Tribüne nach eigenem Bekunden mittlerweile fast zu Hause fühlt. Und ja, ich kann mir auch vorstellen, dass es Paarungen gibt, mit denen der gegenseitige Austausch nicht so reibungslos funktioniert. Bayern und Dortmund zu Beispiel.

Ich gebe zu, auch bei uns war es nicht immer konfliktfrei. Denn während ich mich eher dazu herabließ, auch mal ein Spiel von Leverkusen zu schauen, nahm ich seine Anteilnahme selbstverständlich hin. War ja klar, dass er in meiner Fankneipe mitfieberte, weil sein Verein in ganz Berlin keine hatte. Weil Südtribüne, Kloppo, Traditionsverein. Als ich einmal eine Bemerkung in diese Richtung machte – ich glaube, ich fragte ihn, ob er am Ende nicht doch eine emotionale Leerstelle mit dem BVB füllen wolle – war er zutiefst gekränkt: “Das hat mich immer schon aufgeregt an euch angeblichen Traditionsfans! Immer, wenn ich irgendwo erzähle, dass ich Leverkusen-Fan bin, schauen mich alle entgeistert an. So, als wäre das ein Unding, Bayern-Fan oder Wolfsburg-Fan zu sein. Aber natürlich ist man, wenn man in Leverkusen aufwächst, auch Leverkusen-Fan!”

Ich fühlte ich in meiner Arroganz ertappt und besserte mich. Im Kicktipp-Spiel mit meinen Eltern, Brüdern, Nichten und Neffen – alle schwarzgelb – tippte ich jetzt nicht nur beim BVB immer auf Sieg, sondern auch bei Bayer. Als ich mal einen Artikel las, in dem suggeriert wurde, Bayer hätte den Namen des Leverkusener Fußballvereins gekauft, so wie Allianz den Namen der Münchner Arena, formulierte ich schriftlich eine Richtigstellung. Und wenn ich zu jeder passenden und unpassenden Gelegenheit erzählte, dass der Uropa meines Mannes Bayer Leverkusen gegründet hatte (“steht sogar bei Wikipedia!”), spürte ich einen leichten Anflug von Stolz.

Bei der Geburt unseres Sohns schlossen wir einen Deal: Unser Sohn bekommt den Nachnamen meines Mannes, dafür darf er BVB-Fan werden. “Dann muss er nicht so viel leiden”, sagte mein Mann, dessen Trauma tief sitzt, Stichwort Unterhaching, Ballack, Zinédine Zidane, die Älteren erinnern sich.

Wir haben uns also arrangiert. Dachte ich. Denn als ich meinem Mann erzählte, dass ich diese Kolumne schreibe, sagte er, ganz beiläufig, während wir den Abendbrottisch deckten: “Ist dir eigentlich schon aufgefallen, dass ihr nicht mehr Meister geworden seid, seit der BVB mein Schwiegerverein ist?”

Mir fielen fast die Teller aus der Hand. Sechsmal ist der BVB seitdem Vizemeister geworden.

Wie gesagt: In einer Partnerschaft bekommt man gratis einiges mitgeliefert, was man nicht bestellt hat.