Dresden: “Solidarischer Herbst” im Osten auf kleiner Flamme
“Solidarischer Herbst” im Osten auf kleiner Flamme – Seite 1
Manfred Schmidt, ein älterer Mann, er heißt in Wirklichkeit anders, steht mit seiner Frau am Rand der Menge, die sich am Sonnabendmittag auf dem Neustädter Markt in Dresden versammelt. Die beiden Rentner hören den Reden auf der Bühne zu, mit ein wenig skeptischen Mienen, dem Programm des “Solidarischen Herbsts”, zu dem an diesem Samstag bundesweit mobilisiert wurde, unter anderem in Berlin, Stuttgart und Hannover. Dresden ist der einzige Demo-Ort in Ostdeutschland.
Wenn man die Schmidts anspricht, reagieren sie reserviert, ihren richtigen Namen wollen sie nicht nennen. Auf der Bühne geht es um steigende Preise, Angst vor Armut und sozialer Spaltung – das betrifft auch sie, deshalb sind sie hergekommen. Eigentlich gehen die Schmidts nicht auf Demos, zu dieser sind sie doch gekommen. “Ich bin noch in der Gewerkschaft, darüber habe ich die Info bekommen”, sagt er. “Zu Pegida oder anderen Rechten würde ich nicht gehen. Da wird nur gemeckert, Lösungen haben die nicht.”
Manfred Schmidt wird wütend, wenn er von seinen Sorgen spricht. “Die steigenden Preise, das ist doch alles nicht mehr normal, was hier läuft”, sagt er. “Wer weiß, ob wir noch alles bezahlen können. Ob unsere Renten noch sicher sind.” Er hat Angst. Hilft ihm, was er hier beim “Solidarischen Herbst” hört? Er wirkt zweifelnd. “In den Reden wird viel gefordert und versprochen”, sagt er. “Man muss abwarten, was wirklich passiert. Bisher ist noch keine Entlastung bei uns angekommen.”
“Wer hat, der gibt! Und wer nicht gibt, der wird enteignet!”
Ein breites Bündnis aus Gewerkschaften, Sozial- und Umweltverbänden hat zum “Solidarischen Herbst” aufgerufen. Bundesweit sollten Zehntausende Menschen auf die Straßen geholt werden. Für Dresden waren 5.000 Demonstranten angemeldet. Auf dem Marktplatz stehen schließlich deutlich weniger – knapp 600 Menschen zählt die Polizei.
Zum Start taucht endlich die Sonne auf, vorher hatte es stundenlang geregnet. Das Publikum ist gemischt: ältere Menschen sind zu sehen, junge Familien, Klima-Bewegte, linke Aktivisten, Gewerkschafter, ein paar Kommunalpolitiker von den Grünen, eine Trommlergruppe, die später, als die Menge demonstriert, skandiert: “Runter, runter mit der Miete! Hoch, hoch mit den Löhnen!” Und: “Wer hat, der gibt! Und wer nicht gibt, der wird enteignet!”
Zunächst wechseln sich knapp eine Stunde Redner auf der Bühne ab. Es geht um Klimaschutz, soziale Fragen und um Abgrenzung von Rechten. Der “Solidarische Herbst” soll auch eine Alternative bieten zu Energieprotesten, die in vielen ostdeutschen Orten von Rechtsradikalen mit angetrieben werden. Auch in Dresden wird die Krise von Rechten instrumentalisiert.
“Schließt euch den Richtigen an, unserem Bündnis”
“Danke, dass ihr heute hier seid”, sagt Stephanie Maier, Geschäftsführerin vom BUND Sachsen, Versammlungsleiterin der Demo. “Es geht uns um Menschen, die nicht wissen, wie sie über den Winter kommen sollen.” Mit ihnen wolle man “solidarisch sein”, außerdem “mit der Natur und unserem Planeten”. Sylvia Bühler, Mitglied im Bundesvorstand von ver.di, sagt, man wisse, dass viele Menschen in Ostdeutschland weniger vermögend seien und geringere Rücklagen hätten.
“Schließt euch den Richtigen an, unserem Bündnis”, ruft sie in die Menge. “Uns eint auch die Sorge, dass Hass und Hetze unser friedliches Zusammenleben gefährdet.” Die Gewerkschafterin fordert noch mehr Hilfen. “Die Ampel hat schon einige Pakete auf den Weg gebracht, aber das reicht uns nicht. Entweder es ist zu wenig oder es kommt zu spät”, sagt Bühler. “Deswegen wollen wir einen Doppel-Doppel-Doppel-Wumms! Und wir wollen nicht, dass Hilfspakete die Schere zwischen Arm und Reich vergrößern.”
Solidarität mit der Ukraine und Klimaschutz
In Reden wird die Solidarität mit der Ukraine betont. Es wird mehr Klimaschutz, der Ausbau erneuerbarer Energien und das Ende fossiler Energien gefordert. Bisherige Krisenmaßnahmen der Politik werden als unzureichend kritisiert. “Mich zerreißt es besonders, wenn pflegebedürftige Menschen entscheiden müssen, ob sie den fahrbaren Mittagstisch bestellen oder die Pflegekraft, die sie zu Hause wäscht – eine Entscheidung, die notwendig wird, weil einige sich beides zugleich nicht mehr leisten können”, sagt Sebastian Wegner, Bundesgeschäftsführer der Volkssolidarität. “Wir fordern: Schluss mit der Gießkannenpolitik, hin zu zielgerichteten Maßnahmen.”
Dann läuft die Menge noch eine Runde durch die Stadt. Wenn man sich umhört, ist Unterschiedliches zu hören. Einige sind begeistert, dass der “Solidarische Herbst” in Dresden zustande gekommen ist. Etwa Stephanie Maier vom BUND, die Versammlungsleiterin, sie ist “sehr zufrieden”. Obwohl mit deutlich mehr Teilnehmern gerechnet wurde? Maier wiegelt ab, die Vorbereitungszeit sei kurz gewesen, nur etwa drei Wochen.
Für Dresden als Versammlungsort des “Solidarischen Herbsts” in Ostdeutschland habe man sich entschieden, weil “hier die Landesregierung sitzt”. Und, weil am Wochenende zuvor bereits eine Demonstration in Leipzig gewesen sei, auch dort organisiert von Gewerkschaften und linken Gruppen. In Leipzig war der Zulauf vor einer Woche allerdings ebenfalls geringer als erwartet – mit 10.000 Teilnehmern war gerechnet worden, gekommen sind schließlich knapp 2.000 Menschen.
“Es sind zu wenige gekommen”
Winfried schiebt seine Enkelin im Kinderwagen bei der Demo mit. Er ist nicht aus dem Osten, gerade nur zu Besuch in Dresden, eigentlich kommt er aus dem Westerwald. “Ich wäre auch in einer anderen Stadt mitgelaufen, aber nun bin ich eben hier in Dresden dabei”, sagt er. Das Thema Solidarität sei ihm wichtig. “Die Demo hier ist gut, aber es sind zu wenige gekommen.”
Jan Michael, Dresdner, mittleres Alter, ist hin- und hergerissen. Einerseits findet er es “super, dass auch von der linken Seite Druck gemacht wird, wenn es um die soziale Gerechtigkeit geht, in Dresden gibt es sonst viel zu viele rechte Proteste”. Gerade hat er sich aber ein paar Schritte von der Demo entfernt. Im Zug laufen auch einige Radikale mit. Eine Fahne der KP, der Kommunistischen Partei, ist zu sehen, eine andere von der MLPD, von der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands.
Die Versammlungsleitung hatte auf der Bühne darauf hingewiesen, dass “extremistische Parteien” auf der Demo nicht erwünscht seien. Doch die Kommunisten können ihre Fahnen bis zum Ende der Demo schwenken. Man habe “keine Möglichkeiten, sie aus der Demo zu entfernen”, sagt Versammlungsleiterin Stephanie Maier auf Nachfrage dazu.
Das sind Dinge, die Jan Michael bei der Demo stören. Grundsätzlich findet er es trotzdem gut, dass es den “Solidarischen Herbst” gibt. Er selbst macht sich noch keine Sorgen ums Finanzielle, er ist Chemiker und kann sich noch vieles leisten. “Aber ich kenne viele Geringverdiener, da sieht es ganz anders aus, da muss dringend was unternommen werden”, sagt er. Und aus noch einem Grund ist er gekommen. “Ich habe Angst um die politische Stabilität”, sagt Jan Michael. “Ich mache mir Sorgen, dass die Rechten die Krisen ausnutzen.”