Theater in der Krise: Säure des Überdrusses

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Auch den Theatern steht ein unangenehmer Winter bevor. Die Zahl der Zuschauer sinkt, der Verlauf der Pandemie wird die Lust am öffentlichen Beisammensein – ohne Alkohol – weiter dämpfen, und im November und Dezember könnte eine dubiose Fußball-WM noch mehr Publikum abziehen. Zudem sind die Bühnen nicht auf der Liste der im Falle einer drastischen Energieknappheit zu heizenden, systemrelevanten Einrichtungen. Und dass die Ausgaben, die Putins Krieg den öffentlichen Haushalten abverlangt, auch zulasten der Theaterförderung gehen werden, ist wahrscheinlich. Die Zukunft wird nicht strahlend sein.

Da fällt auf, dass gerade jetzt Texte in maßgeblichen deutschen Zeitungen erscheinen, die man Bilanzartikel nennen könnte. Texte, die das Theater an sich mit der Säure des Überdrusses begießen. Sie sind im Furor der Vergeltung geschrieben, und man könnte sie mit einem fauchenden “Ihr seid selbst schuld!” zusammenfassen. Kritiker, die einen geringen Teil des deutschen Theatergeschehens überblicken, wagen den kalten Blick aufs Ganze. Sie entsorgen schriftlich, was ihnen schon immer auf die Nerven ging. Sie unterstellen, dass das Publikum aufgrund der mangelnden Verständlichkeit/ästhetischen Qualität/Strahlkraft vieler Aufführungen wegbleibe.

Es ist Abrechnungszeit: Man rächt sich für all die Stunden, die einem das Theater gestohlen hat. Gerade Autoren, die sich früher dagegen verwahrt hätten, Publikumszuspruch mit künstlerischem Erfolg gleichzusetzen, ja die dem Theater das Recht auf das Experiment, die Laborsituation, das Spiel vor kaum gefüllten Rängen ausdrücklich zusprachen, gerade solche Kritiker sprechen nun davon, dass lauter ihr persönlich-politisches Süppchen kochende, in Blasen lebende Theateroberlehrer die Häuser leer gespielt hätten. Und dass solches Theater niemand brauche.

Kurzum: Das von höherer Gewalt Bedrohte wird im Moment seiner Schwäche zur Disposition gestellt.

Natürlich ist Theaterkritik ein anstrengender Beruf. Der Theaterkritiker kann nicht, wie der Film- oder Buchrezensent, das Kulturprodukt im Programmkino nebenan oder gleich zu Hause studieren, nein, er muss in den Waggons eines sich auf groteske Weise selbst zerlegenden Höllenfahrtbetriebs namens Deutsche Bahn durchs Land zuckeln.

Das ist nicht schön.

Jedoch, das Theater jetzt, wo es ihm aus ausnahmsweise nur zu kleinen Teilen selbst verschuldeten Gründen schlecht geht (auch viele Lesungen, Konzerte, Kinovorstellungen werden weniger gut besucht als vor der Pandemie beziehungsweise vor dem Krieg), mit Verachtung zu strafen, verrät einen Zorn, der mit kritischer Distanz zum Betrieb nicht mehr viel zu tun hat. Eher schon mit jener Kulturtechnik, die man volkstümlich “jemandem einen mitgeben” nennt.

Das kann man tun. Aber man sollte es tun, wenn die wahren Krisen vorbei sind. Tut man es jetzt, nähert man sich dem Reaktionären.