Klimaaktivist: “Wir wollen, dass sich die Politiker:innen ein bisschen fürchten”
Linus Steinmetz klagt gerade zum zweiten Mal gegen die Klimapolitik der Bundesregierung. Er sagt, dass deren Klimaschutzgesetz so schlecht ist, dass es die Menschenrechte seiner Generation bedroht. Weil eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht nicht ausreichend war, ist er vergangene Woche vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gezogen.
ze.tt: Linus, ihr habt beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eine Beschwerde gegen die Bundesregierung eingereicht. Warum?
Linus Steinmetz: Diese Klage ist nicht unsere erste Beschwerde gegen die Bundesregierung. Aber es ist die erste, in der wir uns auf die europäischen Menschenrechte beziehen und die Bundesregierung außerhalb von deutschen Gerichten verklagen. Der Grund ist, dass die Bundesregierung Deutschlands CO₂-Emissionen nicht so schnell reduziert, wie es nötig wäre. Es gibt weder genug Ziele noch Maßnahmen, die meine Generation ausreichend schützen würden.
ze.tt: Um welche Klimaziele geht es genau?
Linus Steinmetz: Es geht um das Klimaschutzgesetz der Bundesregierung. Die Bundesregierung hat zwar Pläne, wie die CO₂-Emissionen in Deutschland bis 2030 sinken sollen. Aber was danach kommt, ist ungewiss. Das ist so, als würden wir über eine Klippe fahren: Ab 2030 wären die Emissionen das Problem meiner Generation. Aber dann ist die Klimakrise zu weit fortgeschritten und es wäre zu spät, um überhaupt noch etwas zu machen. Das ist unglaublich gefährlich. Die Situation der Jungen wird von der Bundesregierung einfach ausgeklammert.
ze.tt: Inwiefern werden die Menschenrechte deiner Generation durch die Bundesregierung verletzt?
Linus Steinmetz: Ich mache mir Sorgen, dass wegen der Klimakrise meine körperliche Unversehrtheit beschädigt wird. So würde man das juristisch ausdrücken. Das heißt: Ich werde Angst um mein Leben haben. Mit massiven Unwettern, Dürren und Waldbränden in ganz Europa weiß ich nicht, ob ich in ein paar Jahren noch sicher leben werde. Aber genau dieses Recht auf ein sicheres Leben garantiert die Europäische Menschenrechtskonvention – heute wie in der Zukunft. Außerdem wird meine persönliche Freiheit eingeschränkt. Ich kann zukünftig vielleicht nicht mehr da leben, wo ich leben will und kann vielleicht nicht mehr den Job machen, den ich machen möchte. Dabei sollten wir diese Dinge frei entscheiden können. Die grundlegendsten Rechte, die wir in Deutschland haben, werden verletzt.
ze.tt: Du bist 2020 mit anderen jungen Menschen vor das Bundesverfassungsgericht gezogen. 2021 wurde anerkannt, dass das Klimaschutzgesetz in der damaligen Fassung teilweise verfassungswidrig war, weil es keine ausreichenden Maßnahmen für die Reduzierung von Emissionen nach dem Jahr 2031 enthielt. Danach gab es eine Gesetzesnovelle mit verbindlicheren Zielen.
Linus Steinmetz: Ja, aber die Novelle hat zwei Probleme. Es wurde zwar nachgebessert, aber nicht genug und nicht so, wie vom Bundesverfassungsgericht vorgesehen. Nach aktuellen wissenschaftlichen Berechnungen wäre unser CO₂-Budget 2030 immer noch aufgebraucht. Das heißt, wir könnten 2030 keine Emissionen mehr ausstoßen. Außerdem wurden keine ausreichenden Maßnahmen beschlossen, mit denen wir unsere CO₂-Ziele erreichen könnten.
ze.tt: Glaubst du, dass die Klage Erfolg haben wird? Oder geht es dir eher darum, Druck auf die Bundesregierung aufzubauen?
Linus Steinmetz: Ich bin optimistisch. Ich glaube, dass die Richter:innen verstehen werden, dass wir Jugendliche auch in Zukunft ein Recht auf grundlegende Menschenrechte haben. Außerdem lässt sich um die wissenschaftlichen Prognosen kaum herumreden.
ze.tt: Die Klage hast du nicht allein eingereicht, sondern zusammen mit acht anderen jungen Menschen. Wer seid ihr?
Linus Steinmetz: Wir sind zum Teil Klimaaktivist:innen, die auch bei Fridays for Future aktiv sind, andere sind durch die vorherige Klage dazugekommen. Eine Klägerin hatte sich an die Deutsche Umwelthilfe gewendet und ist so zu uns gestoßen. Die jüngste Mitklägerin ist 14 Jahre alt, die älteste Person ist Mitte 20. Wir haben in Europa das Privileg, dass wir unsere Rechte einklagen können, auch, wenn man jung ist.
ze.tt: Dabei arbeitet ihr mit der Deutschen Umwelthilfe zusammen. Wie sieht das konkret aus?
Linus Steinmetz: Die Umwelthilfe erarbeitet die Klagen mit uns gemeinsam. Außerdem vermittelt sie uns Anwält:innen, die uns vertreten. Die Anwält:innen beraten uns auch dahin gehend, ob die Klagen überhaupt aussichtsreich sind. Wir bekommen dafür kein Geld von der Umwelthilfe, die Anwält:innen auch nicht.
ze.tt: Hat die Bundesregierung versucht, euch von der Klage abzuhalten?
Linus Steinmetz: Wir haben keinen Anruf von Robert Habeck bekommen, dass wir das nicht tun sollten. Aber die Bundesregierung versucht, junge Menschen davon zu überzeugen, dass sie genug für das Klima machen würde. Sie wissen, dass ihnen solche Klagen und große Proteste auf den Straßen schaden. Die Bundesregierung sagt, dass sie das 1,5-Grad-Ziel erreichen will. Das wundert mich, weil es dafür noch nicht mal eine ausreichende gesetzliche Grundlage gibt. Gleichzeitig wird Geld dafür ausgegeben, genau das Gegenteil zu erreichen. Vor allem durch die Subventionierung von fossilen Energien, wie dem Tankrabatt. Solche Subventionen fließen in die Taschen von fossilen Konzernen.
ze.tt: Was soll passieren, wenn ihr recht bekommt?
Linus Steinmetz: Es soll klar geregelt sein, dass wir auch nach 2030 ambitionierte Ziele zur Reduktion unserer CO₂-Emissionen haben. Dafür muss es die richtigen politischen Entscheidungen geben. Es geht nicht, bis 2030 ganz viel CO₂ reduzieren zu wollen, aber die Kohlekraftwerke noch länger laufen zu lassen.
ze.tt: Ist es nicht auch etwas verständlich, dass die Bundesregierung wegen der Energiekrise kurzfristig politisch anders priorisieren muss?
Linus Steinmetz: Nein. Jetzt ist der genau der Moment, in dem man umsteuern und in mehr erneuerbare Energien investieren könnte. Stattdessen wird in andere fossile Energien investiert.
ze.tt: Warum hast du dich entschieden, Klimakläger zu werden und kein Klimapolitiker?
Linus Steinmetz: Ich werde bald 19 Jahre alt. Bei der letzten Bundestagswahl konnte ich noch nicht mal abstimmen. Wir junge Generation haben in Deutschland politisch einfach noch keine starke Stimme. Aber in einem Rechtsstaat kann man auch klagen, wenn man unter 18 ist oder wenig Geld hat. Deshalb sind die Klagen ein gutes Instrument. Jede:r kann klagen, aber nicht jede:r kann Politiker:in werden.
ze.tt: Muss der Kampf ums Klima jetzt vor den Gerichten entschieden werden?
Linus Steinmetz: Er muss auch vor den Gerichten entschieden werden. Die meisten großen Veränderungen wurden vor den Gerichten ausgefochten, aber auch auf der Straße. Das Frauenwahlrecht zum Beispiel wurde durch Demonstrationen, aber auch vor Gericht und durch die Politik erreicht. Wir müssen auf alle Mittel zurückgreifen, die wir zur Verfügung haben.
ze.tt: Gegenüber ZEIT ONLINE hast du 2021 gesagt, dass du als junger Mensch häufig damit kämpfst, als Klimaaktivist nicht ernst genommen zu werden. Ist das immer noch so?
Linus Steinmetz: Je mehr wir von Gerichten bestätigt werden, desto ernster werden wir genommen. Aus der Verantwortung kann sich die Politik schlecht rauswinden. Wenn wir jungen Menschen zeigen, was wir können, auf der Straße und vor Gericht, dann wird die Politik langsam Angst vor uns bekommen. Wir wollen, dass sich die Politiker:innen ein bisschen fürchten. Damit wir die Ziele erreichen, die wir erreichen müssen.
ze.tt: Neben deiner Arbeit als Aktivist hast du in diesem Jahr Abi gemacht. Was hast du als Nächstes vor?
Linus Steinmetz: Ich klage, weil ich meine Freiheit ausleben will. Ich möchte das gute Leben, das wir auf der Welt gerade noch führen können, wertschätzen – und dabei auch 19 Jahre alt sein dürfen. Mein Plan ist, Politikwissenschaft zu studieren.
ze.tt: Im Vergleich zu den Klimaaktivist:innen der Letzten Generation, die Kartoffelbrei auf Gemälde werfen, wirkt deine Form von Klimaaktivismus schon fast zahm. Wie findest du die Protestform der Letzten Generation?
Linus Steinmetz: Ich kann jede Person verstehen, die verzweifelt ist und etwas gegen die Klimakrise tun will. Die Bewegung muss entscheiden, welche Formen am effektivsten sind. Ich werde nichts dagegen sagen, solange keine Menschen zu Schaden kommen. Aber wir Kläger:innen sind gar nicht so handzahm. Wenn wir nach den gewonnenen Klagen mal mit Politiker:innen geredet haben, dann hatten die schon eine gewisse Ehrfurcht vor uns.