Arshak Makichyan: Russland entzieht Klimaaktivist die Staatsbürgerschaft
Arshak Makichyan ist das bekannteste Gesicht von Fridays for Future in Russland und lebt seit März in Berlin. Jetzt hat ihm ein russisches Gericht die einzige Staatsbürgerschaft entzogen – Makichyan ist nun staatenlos. Auch sein Vater und seine beiden Brüder verloren die russische Staatsbürgerschaft, nach Angaben Makichyans und seiner Anwältin allein wegen des politischen Engagements des Klimaaktivisten. Sein Vater lebt immer noch in Russland, seine Brüder befinden sich in Armenien.
“Ich bin ratlos und weiß nicht genau, wie es für mich weitergehen soll”, sagt Makichyan gegenüber ZEIT ONLINE. Makichyan demonstrierte seit März 2019 bis zu seiner Flucht im Frühjahr jeden Freitag allein auf dem Puschkinplatz in Moskau, Medien nannten ihn deshalb “Moskaus einsamen Klimademonstranten”. Nach dem russischen Überfall auf die Ukraine protestierte er öffentlich gegen den Krieg. Im März flüchtete er nach Berlin und demonstriert dort häufig vor der russischen Botschaft.
Ohne russischen Pass kann Makichyan vorerst nicht nach Russland zurückkehren. Während viele Männer aus Angst vor der Mobilisierung Russland verlassen, will Makichyan wieder zurück. “Ich liebe Russland, das ist mein Land”, sagt Makichyan. “Und ich möchte in einem Land leben, in dem ich Politik machen und in dem ich etwas Sinnvolles tun kann.”
Offiziell entzog das Gericht Makichyan und seiner Familie die Staatsbürgerschaft wegen eines Formfehlers. Er habe falsche Angaben über seine Adresse gemacht. Dokumente, die ihn entlasten könnten, sind der zuständigen Behörde zufolge angeblich verloren gegangen. Makichyan wurde in Armenien geboren. Als er ein Jahr alt war, flohen seine Eltern mit ihm vor dem Krieg in Bergkarabach. Seitdem lebte er in Moskau. Er studierte Geige am Moskauer Konservatorium und heiratete eine Russin. Der Prozess gegen ihn begann vor rund vier Monaten.
Aktivist und Anwältin warnen: “Gefährlicher Präzedenzfall”
Makichyan und seine Anwältin warnten vor Prozessbeginn, dass damit ein gefährlicher Präzedenzfall geschaffen werden könnte. “Dieser Fall ist nicht nur gegen mich gerichtet”, sagt Makichyan. Er könne alarmierend sein für alle Menschen in Russland, die nicht schon seit der Geburt die russische Staatsbürgerschaft haben und der Regierung kritisch gegenüberstehen. Nach Angaben des russischen Innenministeriums haben zwischen 2002 und 2021 mehr als sieben Millionen Personen die russische Staatsbürgerschaft erhalten, darunter Menschen aus der Ukraine, Kasachstan, Tadschikistan und Armenien.
Es ist nicht das erste Mal, dass Russland Menschen, die der Regierung kritisch gegenüberstehen, die Staatsbürgerschaft entzieht. 2021 wurde Jewgenij Kim ausgebürgert, der in der Sowjetunion im heutigen Usbekistan geboren wurde. Er hat eine muslimische Vereinigung gegründet, die Menschenrechtsorganisation Memorial listete ihn als politischen Gefangenen. Doch Makichyans Fall steht erstmals in Zusammenhang mit Kritik am russischen Angriffskrieg. Und zum ersten Mal ist nicht nur der Aktivist selbst betroffen, sondern auch seine Angehörigen.
Makichyan berät sich gerade mit Juristen, um das weitere Vorgehen zu planen. Er hofft auf Unterstützung aus der Politik, sei aber bislang enttäuscht worden. “Es ist nicht schön, dass europäische Politiker Menschen wie mich völlig ignorieren”, sagt er. In einem guten halben Jahr in Deutschland habe er noch mit keinem einzigen Politiker gesprochen. “Ich habe das Gefühl, dass ich schreie und schreie, aber niemand kann mich hören.”