Kinderbetreuung: Fremdbetreuung

Get real time updates directly on you device, subscribe now.

Die Kita-Eingewöhnung ist eine Zeit des Schmerzes. Vielen Menschen fällt es schwer, ihr Kind wegzugeben. Mir nicht. Für mich ist es, als würde ich ein Paket zur Post bringen. Was einerseits daran liegt, dass mein Kind ungefähr so viel Widerstand leistet wie ein DHL-Päckchen. Und andererseits daran, dass ich einfach noch nie ein Problem damit hatte, es aus der Hand zu geben: Eine fremde Spielplatz-Mutter will es halten, weil es süßer ist als ihre eigenen Kinder? Gerne! Der überengagierte Kellner hebt es einfach aus seinem Stühlchen, damit wir in Ruhe essen können? Wir kommen wieder! Es ist nicht so, dass ich mein Kind nicht selbst gerne trage. Aber ich habe auch nichts dagegen, wenn jemand anderes es tut. So spare ich Kraft, bis ich wieder dran bin. Care-Arbeit ist nämlich auch Arbeit. Und ich arbeite smart, nicht hart.

Außerdem kommt man so gut ins Gespräch. Als das Kind vier Monate alt war, saßen wir im Familienbereich eines ICEs, da blieb der Zug auf der Strecke stehen. Per Durchsage verkündete der Zugchef: “Wir haben etwas überfahren, wir wissen nur nicht, was. Es kann dauern, bis es weitergeht.” Während die anderen Eltern versuchten, ihren Kindern zu erklären, was der Mann im Lautsprecher meinte, beschloss ich, mit dem Kleinen ins Bordrestaurant zu gehen. Dort war die Stimmung ausgelassen, alle unterhielten sich, aus einem Smartphone kam laute Musik, zwei Frauen spielten Monopoly. “Der Weißwein ist aus”, klagten sie und prosteten mir mit den letzten Gläsern zu.

Die Leute waren begeistert von meinem Baby, alle tranken und erzählten von ihren Familien, und als ein Österreicher beim dritten Weißbier sagte, er hätte so gerne noch ein viertes Kind, nur seine Frau, die müsse er noch überzeugen, da waren sich alle im Restaurant einig, was zu tun sei: Ich gab ihm das Kind auf den Arm und machte ein Foto, das er an seine Frau schickte. Zurück auf meinem Sitzplatz, schlief ich zufrieden ein, stolz auf mein Kind, schon so jung einen Beitrag zur Zeugung neuen Lebens geleistet zu haben.

Als ich erwachte, fuhr der Zug wieder, und meine Frau fragte mich: “Warum kannten die zwei betrunkenen Frauen, die gerade durch den Wagen getaumelt sind, den Namen unseres Sohnes?”

Ich finde nicht, dass man die Liebe zu seinem Kind ständig zur Schau stellen muss. Die meisten Menschen sehen das anders. Als es mit sieben Monaten das erste Mal flog, begrüßte uns ein freundlicher Flugbegleiter mit den Worten: “Sie drei gehören bestimmt zusammen.” Ich seufzte, zeigte auf das Baby und sagte: “Na ja, jetzt komme ich aus der Sache nicht mehr raus.”

Nicht nur lachte der Mann nicht. Es war, als machte die Enttäuschung auf seinem Gesicht ein Geräusch. Wie ein Orchester, das abrupt aufhört zu spielen, und man meint, die Stille hören zu können. Den Rest des Flugs würdigte er mich keines Blickes.

In solchen Momenten bekomme ich doch Zweifel. Oder wie neulich, als ich wieder im ICE unterwegs war und ins Bordbistro ging, um ein Bier zu trinken. Als die Frau hinter der Theke meinen Sohn sah, leuchteten ihre Augen. Und auch er streckte die Arme nach ihr aus. Ich tauschte also Bier gegen Baby. Die nächste Stunde spielte es in der Küche des ICEs. Als ein Mitarbeiter dazukam und es lachend den “neuen Kollegen” nannte, schlug ich vor: “Lassen Sie ihn doch Ihre Schicht übernehmen. Und das Gehalt, da machen wir 50/50.”

Der Mann sah mich mitleidig an: “Wir machen 70/30, immerhin ist es Ihr Kind.” Dann ging er, offenkundig angewidert, dass ich nicht nur mein Kind verkaufen wollte, sondern auch noch zu einem so niedrigen Preis. In diesen Augenblicken werde ich unsicher, ob es mir etwas zu leicht fällt, mein Kind wegzugeben. Vielleicht liebe ich es doch nicht genug?

“Ich habe auch ein Baby zu Hause”, sagte die Mitarbeiterin im Bistro, immer noch mit meinem Kind auf dem Arm, “es ist aber älter.” Sie holte ihr Telefon hervor, und in ihren Augen sah man wieder dieses Leuchten. Dann zeigte sie mir das Foto eines ziemlich erwachsen wirkenden Teenager-Mädchens.

“Süß”, sagte ich, schnappte mir mein Kind und sah zu, dass ich so schnell wie möglich verschwand.