Lützerath: “Wir bauen Barrikaden aus Stahl und Beton, Sofas und Stühlen”
Rund 200 Aktivist:innen besetzen seit zwei Jahren Lützerath. Das rheinische Dorf soll abgerissen werden, um Platz zu schaffen für die Erweiterung des Tagebaus Garzweiler. Die ursprünglichen Bewohner:innen sind längst weg. Trotzdem ist der Ort zu einem Zentrum der Klimaaktivist:innen geworden. Hier, so sagen sie, wollen sie das 1,5-Grad-Ziel verteidigen. In diesen Wochen bereiten sich die Aktivist:innen auf die Räumung vor. Eine von ihnen nennt sich Torte. Sie ist 26 Jahre alt und lebt seit etwa einem Jahr im Protestcamp.
ZEIT Campus: Wo befindest du dich im Moment?
Torte: Ich sitze in meinem Baumhaus in Lützerath. Es heißt Dinkeldoppelkeks, ich habe mitgeholfen, es zu bauen. Alle Baumhäuser und Hütten haben Namen, sie heißen zum Beispiel Bohne, Linse oder Vogelnest. Eigentlich wollte ich mich für dieses Gespräch aufs Dach setzen, aber dazu ist es im Moment etwas zu windig. Zurzeit gibt es in Lützerath noch zwei Höfe und einige Wohnhäuser, die besetzt sind. Dazu kommen mehrere Baumhaussiedlungen und die Hüttendörfer auf dem Boden. Montag ist Ruhetag im Camp, sonst ist es immer sehr wuselig und alle sind damit beschäftigt, den Alltag zu organisieren oder sich auf die Räumung vorzubereiten. Wir rechnen Mitte November mit dem Anrollen der Bagger.
ZEIT Campus: Wie sieht diese Vorbereitung konkret aus?
Torte: Wir überlegen, wie wir uns der Polizei am besten in den Weg stellen können, um eine Räumung so schwer wie möglich zu machen. Wir bauen zum Beispiel Barrikaden. Dafür nutzen wir Stahl und Beton, aber auch Sofas oder Stühle. Menschen werden da sehr kreativ. Und es gibt Workshops, in denen man klettern lernen kann oder sich mental auf die Räumung vorbereitet. Dabei sprechen wir viel über Gefühle, über Ängste, über Szenarien, die eintreten könnten. Wir schaffen Strukturen, um einander aufzufangen, etwa in Form von warmen und sicheren Orten und gemeinsamen Auszeiten. Es bedarf viel, sich mit seinem Körper dieser Zerstörung entgegenzustellen und dieses Baumhaus, das ich seit einem Jahr belebt habe, zu verteidigen. Außerdem decken wir uns für den Räumungszeitraum mit Lebensmitteln und Wasser, aber auch mit Spielen und Büchern ein.
ZEIT Campus: Ist Besetzen eine Frage von Geduld?
Torte: Ja, aber es ist auch zentral, mit Stress umgehen zu können. Wir müssen einander bestärken und auf die Bedürfnisse der anderen Rücksicht nehmen.
ZEIT Campus: Ihr kündigt gewaltfreien Widerstand mithilfe zivilen Ungehorsams gegen die Räumung an. In welcher Form werdet ihr das umsetzen?
Torte: Mithilfe von Sitzblockaden und Baumhausbesetzungen. Wir versuchen zudem, Straßen durch Barrikaden unbefahrbar zu machen. Aber besonders wichtig ist es, zu mobilisieren und möglichst viele Menschen hierherzubringen. Wir müssen zeigen, dass wir viele sind, die sich dem Beschluss der Regierung widersetzen, der unter Zeitdruck und hinter geschlossenen Türen mit RWE entstanden ist.
ZEIT Campus: 2018 fiel ein Reporter im Zuge der Besetzung des Hambacher Forsts von einer Hängebrücke und starb. Hast du Angst, im Zuge der Räumung verletzt zu werden?
Torte: Die Polizei ist in der Vergangenheit während Räumungsprozessen immer wieder brutal vorgegangen. Dementsprechend macht mir das Unvorhersehbare schon Angst. Wir machen uns große Sorgen umeinander, weil wir uns in dieser Zeit sehr nahe gekommen sind. Wir sprechen auch darüber, welche rechtlichen Konsequenzen wir befürchten müssen. Diese Art des Widerstands wird zunehmend kriminalisiert. Nach dem neuen Polizeigesetz aus dem Jahr 2018 dürfen Polizist:innen zum Beispiel ohne eine vorliegende Straftat Menschen bis zu sieben Tage in Gewahrsam nehmen. Die Zahl der davon betroffenen Aktivist:innen hat sich in den vergangenen Jahren verdreifacht. Hinzu kommen immer mehr Klagen wegen Hausfriedensbruch, nicht nur gegen Aktivist:innen, sondern auch Beobachter:innen aus der Politik. Aber trotzdem rechnen wir damit, dass es ein kreativer und bunter Protest sein wird, wenn wir uns RWE und der Regierung in den Weg stellen.
ZEIT Campus: Welche Sicherheitsvorkehrungen trefft ihr für besonders junge und unerfahrene Menschen, die im Camp ankommen?
Torte: Für diese Menschen bieten wir eigene Workshops an. Alle sind willkommen, aber es ist uns wichtig, offen und transparent darüber zu sprechen, welche Risiken, etwa einer Festnahme, allein schon mit der Anwesenheit bei dem Protest einhergehen. Das Allerletzte, was wir tun, ist Menschen zu Aktionen zu überreden. Wer möchte, kann auch ohne Polizeikontakt protestieren und in der Küche helfen oder emotionale Erste Hilfe leisten. Das bedeutet, zuzuhören, zu umarmen und auf die Bedürfnisse der Betroffenen mit ihr gemeinsam einzugehen. Diese Arbeit ist ebenso essenziell, wie in Aktion zu gehen.