Japan und Krisen: Japan gegen die Achse der Autokraten

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Selbst in Tokio war ein tiefes Aufatmen zu vernehmen, als sich
vergangenen Mittwoch herausstellte, dass der Raketeneinschlag im
polnischen Przewodów
kein gezielter russischer Angriff auf Polen gewesen war. Die
Folgen einer Aggression Moskaus gegen ein Nato-Land wären unkalkulierbar
gewesen, das war allen Gesprächspartnern klar, mit denen man dieser Tage in der
japanischen Hauptstadt über den Krieg in der Ukraine sprach. Unkalkulierbar in
seinen Auswirkungen auch auf den Frieden im Fernen Osten.

Putins Angriff auf den Nachbarn Ukraine war auch für Japan
eine Art Zeitenwende. In diesem noch immer pazifistisch geprägten Land hatte
schon die zunehmend aggressive Außenpolitik Chinas in den vergangenen Jahren zu
einem Umdenken in der Verteidigungspolitik geführt. Die Militärausgaben stiegen,
und bei den regierenden Liberaldemokraten (LDP) wuchs nicht nur auf dem rechten
Flügel die Zahl jener, die sich von den Einschränkungen der
Nachkriegsverfassung lösen wollten. Die japanische Verfassung verwirft nicht
nur jede Form der Kriegsführung, sie verbietet sogar die Aufstellung regulärer
Truppen – auch wenn Japans sogenannten Selbstverteidigungskräfte heute zu den modernsten
Armeen der Welt gehören.

Ähnlich wie in Deutschland heißt es inzwischen auch in
Japan: Wenn sich die Welt ändert, muss sich auch unsere Politik ändern. Dem
Beispiel der Nato folgend soll der Verteidigungsetat auf zwei Prozent des
Bruttoinlandsprodukts ansteigen, bisher galt ein Prozent des BIP als
ungeschriebene Grenze für die Militärausgaben. “Dies ist nicht allein ein
europäischer Krieg”, sagt Hiroyuki Akita, außenpolitischer Leitartikler der
Wirtschaftszeitung Nihon Keizai
Shimbun
. In der Bevölkerung wie bei den Politikern herrsche heute
das Gefühl: “Die Welt ist nicht mehr sicher.”

Heute die Ukraine, morgen Taiwan

Die Sorgen in Japan speisen sich vor allem aus den engen Bindungen
zwischen Russland und China. Die Führung in Peking hat den Angriff auf die
Ukraine bis zum heutigen Tag nicht verurteilt. Und sie rüstet ihrerseits, so nicht
nur die Wahrnehmung in Tokio, zu einem Angriff auf Taiwan. “Die Ukraine von
heute könnte das Ostasien von morgen sein”, warnte Ministerpräsident Fumio
Kishida im Juni dieses Jahres auf dem Shangri-La-Dialog in Singapur, dem
asiatisch-pazifischen Gegenstück zur Münchner Sicherheitskonferenz.

Und tatsächlich hat Chinas Präsident Xi Jinping auf dem 20. Kongress
der Kommunistischen Partei Mitte Oktober wiederholt, sein Land sei nicht
bereit, gegenüber Taiwan grundsätzlich auf die Anwendung militärischer Gewalt
zu verzichten
. Ein Krieg Chinas gegen Taiwan aber würde die Sicherheit Japans
unmittelbar gefährden. Deshalb intensiviert die Regierung in Tokio die
militärische Zusammenarbeit mit ihrem wichtigsten Verbündeten, den Vereinigten Staaten. Deshalb baut sie regionale sicherheitspolitische Strukturen wie den
Viererbund Quad (Quadrilateral Security Dialogue) mit den USA, Australien und Indien aus.
Deshalb sucht sie aber auch die Kooperation mit europäischen Partnerländern.

Das ist das eigentlich Neue in der japanischen Debatte: Die
europäische und asiatische Sicherheit werden zusammen gedacht. Heute die
Ukraine, morgen Taiwan. Kein Sicherheitspolitiker in Tokio hat vergessen, dass
Wladimir Putin und Xi Jinping am Vorabend der Olympischen Winterspiele in
Peking, knapp drei Wochen vor dem Überfall auf die Ukraine, eine “Freundschaft
ohne Grenzen” beschworen hatten
. Mag Xi auch über den dilettantischen Strategen Putin
entsetzt sein, mag er ihn ein ums andere Mal vor dem Einsatz von Atomwaffen
warnen – China steht an Russlands Seite. Und dabei, so die vorherrschende
Meinung in Tokio, wird es auch bleiben. Denn im Systemwettbewerb mit den USA
hat Xi Jinping keinen stärkeren Verbündeten als Russland.

Der Westen ist geeint wie lange nicht

Eine Autokraten-Achse, gegen die man sich gemeinsam wappnen
muss, findet Japan. Also folgte Premier Kishida im Juni der Einladung zum
Nato-Gipfel in Madrid, gemeinsam mit den Regierungschefs aus Südkorea, Australien
und Neuseeland. Seine Regierung ist froh, wenn Europa endlich entdeckt, dass
Asien größer ist als China, und wenn es sich aus seiner wirtschaftlichen Abhängigkeit von der
Volksrepublik befreien möchte. Dass die erste Ostasienreise von Olaf Scholz als
Kanzler Anfang des Jahres nach Tokio führte und nicht nach Peking, wurde
natürlich genau registriert.

Aber auch dass die Deutschen – wie zuvor Briten und
Franzosen – im indopazifischen Raum nun Flagge zeigen, findet Beifall. Im
vorigen Jahr besuchte die Fregatte Bayern auf ihrer Fernostfahrt auch Tokio.
In diesem Jahr flogen Eurofighter der Luftwaffe, die an Manövern in Australien
teilgenommen hatten, anschließend nach Japan weiter. Und demnächst werden sich
Fallschirmjäger des Heeres an Übungen der japanischen Streitkräfte beteiligen.
Militärisch ist dies alles ohne große Bedeutung, aber die politische Symbolik
ist aus japanischer Sicht hoch erwünscht.

In der Financial
Times
schrieb der Kolumnist Gideon Rachman kürzlich von dem sich
herausbildenden “globalen Westen”, der sich nicht durch die Geografie
definiere, sondern durch gemeinsame Werte. Tatsächlich bildet sich im Dreieck
zwischen den Vereinigten Staaten, Europa und den demokratischen Staaten Asiens
und des Pazifiks so etwas wie ein “globaler Westen” heraus. Es geht dabei nicht
um ein weltumspannendes Bündnis, um handfeste Solidarität geht es sehr wohl. Japan
erließ nach dem Einmarsch in die Ukraine strenge Wirtschaftssanktionen gegen
Russland.

Das jedenfalls haben Putins Krieg und Xi Jinpings Drohungen
erreicht: Der Westen ist geeint wie lange nicht. Japans Sicherheit wird auch in
der Ukraine verteidigt, glaubt die Regierung in Tokio. Und handelt danach.