Ruhestand mit 65: Macrons neuer Anlauf zur Rentenreform

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Pünktlich zum Jahresbeginn packt der französische Präsident Em­manuel Macron eines der schwierigsten Reformprojekte an. Wenn es nach ihm geht, soll schon „von Sommer 2023 an“ eine Reform der Alterungssicherungssysteme in Frankreich greifen. Geplant ist die schrittweise Anhebung des Renteneintrittsalters von derzeit 62 auf mutmaßlich 65 Jahre, De­tails sind aber noch nicht bekannt. „Wir müssen mehr arbeiten“, sagte Macron in seiner Neujahrsansprache. Ziel sei es, die Finanzierung der Renten dauerhaft si­cherzustellen, „die andernfalls bedroht wären, denn wir finanzieren sie mit Krediten“, so der Staatschef.

Michaela Wiegel

Politische Korrespondentin mit Sitz in Paris.

Gewerkschaften und Linksopposition laufen schon vor der offiziellen Vorstellung am 10. Januar im Ministerrat Sturm gegen das Reformprojekt. „Der Januar wird heiß“, drohte der linke Wortführer Jean-Luc Mélenchon von der Partei „Das Unbeugsame Frankreich“ (LFI). Am 21. Januar soll ein erster Protestmarsch organisiert werden.

„Macron lügt“, sagte die LFI-Abgeordnete Clémentine Autain am Montag im Radiosender France Inter. Es sei nicht wahr, dass die Finanzierung der Renten nicht gesichert sei. Die neue grüne Parteivorsitzende Marine Tondelier sagte im Radiosender RFI: „Wir sind total mobilisiert, um die Regierung zu einem Rückzug bei der Rentenreform zu bringen.“ Der kommunistische Parteivorsitzende Fabien Roussel beklagte, dass Ma­cron das Land mit der Reform spalten werde. „Wir werden keine Reform zulassen, die uns zwingt, von 2023 an länger zu ar­beiten“, sagte der Kommunist. Die Fraktionsvorsitzende des Rassemblement Na­tional (RN), Marine Le Pen, hat ebenfalls Widerstand gegen die geplante Reform be­kundet. Sie fordert zwar nicht länger eine Rückkehr zur Rente mit 60, will aber eine Erhöhung des Renteneintrittsalters ab­wenden.

Macrons politischer Nachlass

Auch die wichtigsten Gewerkschaften können dem Vorhaben nichts abgewinnen. Der Vorsitzende der gemäßigten CFDT, Laurent Berger, hat wiederholt ge­äußert, dass er eine Anhebung des Renteneintrittsalters ablehne. „Eine so brutale Maßnahme, die vor allem die Beschäftigten mit den niedrigsten Einkommen trifft, ist keinesfalls notwendig“, heißt es bei der CFDT. Berger fragte, ob die Regierung „Lust hat, das Land in Brand zu setzen und diese vor allem für einfachere Ar­beiter zu­tiefst ungerechte Reform durchzuführen“? Berger hat an diesem Dienstag ein Ge­spräch mit Premierministerin Elisabeth Borne, die auch andere Gewerkschafts- und Arbeitgebervertreter zu letzten Konsultationen empfängt. Schon bei den vergangenen Be­ra­tungen gelang es der Re­gierungschefin nicht, mit den Sozialpartnern einen Kompromiss auszuarbeiten.

Jüngste Umfragen zeugen davon, wie unbeliebt der Reformvorstoß im Land ist. Laut einer Meinungsbefragung für ViaVoice lehnen es 55 Prozent der Befragten ab, länger zu arbeiten; 35 Prozent sind da­mit einverstanden. Das Umfrageinstitut Odoxa hat ermittelt, dass es 67 Prozent der Be­fragten für eine „schlechte Reform“ hielten, das Renteneintrittsalter auf 65 Jah­re anzuheben. In Frankreich geht es Rentnern noch überwiegend gut, sie können größtenteils den Lebensstandard halten, den sie im aktiven Berufsleben hatten. Der Meinungsforscher Bernard Sananès hat in der Zeitung „Les Echos“ vor der sozialen Sprengkraft der Rentenreform gewarnt. Es drohe ein sozialer Flächenbrand: „Es braucht nur einen Funken“, sagte Sananès. Die Pandemie, aber auch der Ukrainekrieg, die Klimakrise und die Inflation hätten die Einstellung vieler Franzosen zur Arbeit grundsätzlich verändert. „Es ist we­niger populär, mehr und länger zu arbeiten“, so der Meinungsforscher.

Für Macron hingegen geht es um seinen politischen Nachlass als Reformpräsident. Für den Umbau der Alterssicherungssysteme hatte er rund um den Jahreswechsel 2019/20 wochenlange Streiks durchgestanden. Doch die Pandemie führte dazu, dass er die Reform schließlich zurückzog. Mit dem alten Reformprojekt, das die Einführung eines komplizierten Punktesystems vorsah, soll das neue nicht mehr viel gemein haben.

„Nicht um jeden Preis“

Macron betonte in den 20 Minuten langen Neujahrswünschen, den längsten der V. Republik, dass es ihm um die langfristige Finanzierbarkeit der Renten gehe. Der Präsident stützt sich dabei auf Berechnungen des im Jahr 2000 eingesetzten Rentenaufsichtsgremiums „Conseil d’orientation des retraites“ (COR), wonach fortan Defizite drohen. Das Gremium hat keine Vorgaben gemacht, wie die Finanzierung langfristig gesichert werden sollte. Die Ge­werkschaften zweifeln die Berechnungen der Regierung an.

Macron hat bei seinem Reformehrgeiz auch die EU im Blick. Frankreich steht aufgrund seiner hohen Schuldenquote in der Pflicht, seine haushaltspolitische Se­riosität zu beweisen. Die wichtigste Hürde muss die Minderheitsregierung von Premierministerin Borne in der Nationalversammlung nehmen. Borne hofft ganz of­fensichtlich auf Unterstützung durch die Republikaner (LR), die in der Vergangenheit immer für eine Rentenreform plädiert haben. Präsidentschaftskandidat Francois Fillon wollte schon 2017 die Rente mit 65 Jahren einführen. Der neue LR-Parteichef Eric Ciotti hält nichts mehr davon. Nach einem Gespräch mit Borne kurz vor Weihnachten lehnte Ciotti die Rente mit 65 „zu brutal“ ab. Frankreich brauche eine Rentenreform, „aber nicht um jeden Preis“, sagte Ciotti. Der LR-Fraktionsvorsitzende Olivier Marleix hat sogar mit ei­nem Misstrauensvotum gedroht, sollte Macron an der Rente mit 65 festhalten.

Source: faz.net