Angriffe auf Einsatzkräfte: An zu laschen Gesetzen liegt es nicht

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Auch an Tag drei nach Silvester ist die Polizei in Berlin noch damit beschäftigt, die Nacht aufzuarbeiten. Eine Sprecherin korrigiert die Zahl der Festnahmen von 103 auf 159. Wer weswegen festgenommen worden sei, könne sie nicht sagen. “Die Ermittlungen laufen noch.” Mittlerweile ist ein Großteil der Festgenommenen wieder frei.

In der Hauptstadt, aber auch in vielen anderen deutschen Städten, hatten Menschen Einsatzkräfte von Polizei und Feuerwehr angegriffen und mit Pyrotechnik beschossen. Ausmaß und Brutalität der Täter überstiegen das bisher Bekannte. Ein Sprecher der Hamburger Polizei sagte zu ZEIT ONLINE: “Die Angriffe auf die Einsatzkräfte hatten definitiv eine neue Qualität.” Der Berliner Hauptbrandmeister Baris Coban berichtete in der Süddeutschen Zeitung, dass man aus Angst vor Angriffen einen Brandort verlassen habe: “Wir haben uns einfach verpisst”, sagte Coban. “Das war das erste Mal, dass ich ein Feuer nicht gelöscht habe.”

Vor allem Politikerinnen und Politiker der Union fordern nun, Randalierer der Silvesternacht mit der “ganzen Härte des Gesetzes” (Daniel Günther, Ministerpräsident von Schleswig-Holstein) zu bestrafen. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sprach von “Silvester-Chaoten”, die “einen spürbaren Denkzettel und gegebenenfalls auch Freiheitsstrafen” nötig hätten. 

Die Härte des Gesetzes, das sind die Paragrafen 114 und 115 des Strafgesetzbuches, welche die große Koalition im Jahr 2017 beschlossen hat. Seitdem können Menschen, die Polizisten, Feuerwehrleute oder Rettungskräfte angreifen, mit einer Haftstrafe von drei Monaten bis fünf Jahren bestraft werden. Eine Geldstrafe ist nicht vorgesehen.

Als Begründung für die damals neu geschaffenen Paragrafen nannte die Koalition “eine Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten”. Härtere Strafen würden eine abschreckende Wirkung haben, lautete die Hoffnung. Diese Wirkung wurde eindeutig verfehlt, das zeigt die polizeiliche Kriminalstatistik. Dort werden seit 2018 tätliche Angriffe auf Vollstreckungsbeamte, Feuerwehr und Rettungskräfte aufgelistet. Die Zahlen sind bis zum Jahr 2021 um 22 Prozent gestiegen. Für das vergangene Jahr liegen noch keine vor.

In den Jahren 2020 und 2021 war der Anstieg nach Angaben des Bundeskriminalamts unter anderem auf Corona-Proteste und die Gewaltbereitschaft der dortigen Demonstranten zurückzuführen. 

Nur wenige Gefängnisstrafen

Interessant ist auch ein Abgleich zwischen den erfassten Fällen von Gewalt gegen Polizei und Rettungskräfte und den erfolgten Urteilen. Denn in der aktuellen Debatte um die Silvesternacht dominiert dieses Mal eher die Forderung nach harten und schnellen Urteilen durch die Gerichte, nicht nach härteren Strafen. So sagte etwa der Landesvorsitzende der Polizeigewerkschaft in Niedersachsen: “Harte Hand statt Samthandschuh – als Gesellschaft dürfen wir so etwas nicht zulassen und müssen uns wehren.” Er fordert im Gespräch mit ZEIT ONLINE Urteile am oberen Ende des Strafmaßes.

Ein Blick auf die Gerichtsurteile im Jahr 2021 bei Angriffen auf Vollstreckungsbeamte zeigt allerdings: Es gab lediglich etwa 9.000. Bei knapp 90.000 erfassten Fällen sind das gerade einmal zehn Prozent. Beide Zahlen lassen sich nicht ohne Weiteres ins Verhältnis setzen, denn die meisten Taten, die 2021 vor Gericht landeten, sind in früheren Jahren begangen worden. Dennoch geben die Zahlen ein Gefühl für die Größenordnung. In gerade einmal sieben Fällen stand 2021 am Ende eine Haftstrafe von mehr als drei Jahren.

Der Schwund von 90.000 erfassten Fällen auf eine viel kleinere Zahl an Urteilen ist dabei völlig üblich und auch für andere Straftaten zu beobachten. Denn die Zahl aus der Kriminalstatistik umfasst alle der Polizei bekannten Fälle. Häufig können keine Tatverdächtigen ausgemacht werden und falls doch, lassen sich die Taten längst nicht immer beweisen und die Behörden müssen die Ermittlungen einstellen. Auch in der Silvesternacht war es der Polizei nicht möglich, alle Tatverdächtigen zu identifizieren. 

Und schließlich ist nicht jeder Fall, der vor Gericht landet, so gravierend, dass eine Gefängnisstrafe von mehreren Jahren gerechtfertigt ist. Haftstrafen von bis zu zwei Jahren können zur Bewährung ausgesetzt werden. Von dieser Möglichkeit machen Gerichte auch im Fall von Angriffen auf Polizei und Rettungsdienste häufig Gebrauch. 

Die bisherigen Sanktionsmöglichkeiten tragen also nicht dazu bei, dass es zu weniger Übergriffen auf Polizei und Rettungsdienste kommt. Für die Silvesternacht werden jedoch aktuell auch Vorschläge wie Böllerverbotszonen oder verschärfte Regelungen für den Verkauf von Schreckschusspistolen diskutiert. Letztere können bislang von jeder volljährigen Person, auch ohne kleinen Waffenschein, gekauft werden.