Ein Poet des Driftens

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Der Himmel kann für Petrolheads nur eine Rennstrecke sein, und ironisch, wie dieser Menschenschlag ist, müsste es die Grüne Hölle sein. So wird der Nürburgring von all den transzendentalen Racern genannt, die dort ihr Leben riskiert haben oder fast verloren. Dort oben im Himmel, in den ewigen Driftgründen, ist nun auch Ken Block angekommen: Tragischerweise verunglückt bei einem Snowmobil-Unfall mit nur 55 Jahren, im besten Alter eines testosteronbefeuerten Mannes, der gerade der Verbrennerkultur einen Weg in die elektrische Zukunft vorausgerast war.

Doch der Reihe nach: Block war ein Multitalent, der am visionärsten Ort des Westens, in Kalifornien, geboren wurde wie seine Altersgenossen, die Skateboard-Legende Tony Hawk oder die Rap-Impresarios Dr. Dre und Snoop Dogg, und der aufwuchs in einem Klima radikaler Freiheit und eines wild wuchernden Optimismus.

Block wurde jung erfolgreicher Rallyefahrer und gleichzeitig Unternehmer mit DC Shoes, einer Turnschuhmarke für Kids, die so waren wie er: rasend, hyperaktiv, skate- und snowboardend. Bis zu seinem viel zu frühen Tod am 2. Januar blieb er diesem Look des weißen B-Boys mit Basecap und freshen Sneakern treu. So wie Hawk, Dre und Snoop auch war er in seinem Auftreten und Werk früh klassisch.

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In einer illiberal ängstlichen Degrowth-Kultur wie in Deutschland verkörperte Block toxische Männlichkeit geradezu idealtypisch. Aufgewachsen in einem Nebel von Auspuffgasen und ins Freie gedrifteten Gummiteilen, entschied sich Block, neben der Sportkarriere seine Poetik des Drifts in ein Konzeptkunstwerk zu übersetzen, das unter dem Namen Gymkhana Abermillionen von Jugendlichen für das Auto als Ballettwerkzeug rekrutierte.

Ken Block (1967-2023)
Ken Block (1967-2023)
Quelle: via Monster Energy

Kurz nach dem „Fast & Furious“-Meisterwerk „Tokyo Drift“ destillierte Block aus dessen Driftszenen eine Art Bühnentanz. Was in den Parkhäusern Tokios begann, verbreitete Block über den gesamten Globus. In einer Zeit, in der die Mobilität aus ökologischen wie infrastrukturellen Gründen immer unzulänglicher die Freiheitsversprechen des Westens abbilden konnte, erinnerte der Visionär Block an die Wurzeln dieses Freiheitsversprechens.

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Das Automobil war Freiheitsgenerator für individuelle Bewegungsfreiheit, aber es war eben längst eine Inkunabel jener Freiheitsvorstellung, die der Westen und die Moderne von sich hatten. Individualistische Verantwortung am Steuerrad in Verbindung mit immer neuen Machbarkeitsexzessen der Ingenieure ermöglichte im Ideal nicht nur die rasante Veränderung von A nach B, sondern eben auch einen Tanz der Fahrzeuge.

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Der Drift ist weniger eine Art der Fortbewegung als eine Lebenshaltung. Der Drifter setzt Risiko über Sicherheit, Vergnügen über Versagen, das Abenteuer über die Routine, den Mut über die Angst, die Zuversicht über das In-die-Hose-Machen, das Können über das Versagen. Wer driftet, kommt dem Unfall näher. Der gerade Weg von A nach B mag schneller sein, er ist aber auch uninteressanter. Effizienz raubt Poesie. Das Geheimnis der Freiheit ist der Mut – dieser liberale Gassenhauer von Perikles ist von ewiger Gültigkeit, und Extremsportler wie Block haben das für das Ende des 20. und den Anfang des 21. Jahrhunderts ausdefiniert. Geht-nicht gibt’s nicht. Immer wieder während der Dreharbeiten zu den Videos fragte sich das Produktionsteam, ob es noch möglich sei, hier schneller, dort gefährlicher, an jeder Stelle halsbrecherischer über Brücken zu springen, in Werkstätten Donuts hinzulegen, über eine Snowboard-Piste zu springen – die Fragen wurden von Block stets mit einem Ja beantwortet.

Sich bis an den letzten Rand des Risikos vorzutasten und kurz vor dem Selbstmörderischen aufhören: Das war die Ethik und Ästhetik von Block. Und er folgte da den großen weisen Priestern der Raserei wie Ayrton Senna („If you no longer go for a gap that exists, you’re no longer a racing driver“) oder Walter Röhrl („Ein Auto ist erst dann schnell genug, wenn man morgens davor steht und Angst hat, es aufzuschließen“).

Was Block auch kunsthistorisch relevant macht, ist die hohe ästhetische Stringenz seiner Raserei. Die Videos selbst erinnern in ihrem minimalistischen Maximalismus an ein Stück Konzeptkunst – sie stehen in naher Verwandtschaft zu dem ebenfalls 1967 geborenen US-Künstler Matthew Barney und seiner Cremaster-Serie. Die Videos von Block und Barney markieren die beiden Enden einer Freiheitssehnsucht, in die sie als Babyboomer hineingeboren wurden.

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Diese Freiheit funktioniert nicht mehr. Sie kann nur mehr in Experimentanordnungen herausdestilliert werden: Block lässt Städte und Staaten absperren und stilllegen, um darin die Straßen als letztes Reservoir heroischer, mechanischer Wildtiere wie den Sportwagen aufleben zu lassen. Wenn die Stadt ein Jungle sein sollte, dann war Block ihr Fährtensucher. Er versuchte, die alten Träume und Visionen von Geschwindigkeit und Abenteuer, von illegalen Straßenrennen und Tankstellen-Park-ins aufzuspüren und zu verewigen.

Das hat er getan. In seinem letzten Video ist er Greta Thunberg und den ängstlichen, jungen Mensch:innen, den Klimakleber:innen und heulsusigen Apokalyptiker:innen entgegengedriftet. In seinem Vermächtnis namens Electrikhana. In einem Audi S1 Hoonitron fliegt er durch ein nächtliches Las Vegas und versucht zornig und rasend zu beweisen, dass E-Autos bis heute seelenlose, schwere Brocken sind, die nur mit absoluter Meisterschaft zum Tanzen zu bringen sind. Block gelang es. Für die grüne Transformation. Vielleicht war sein Audi der erste coole E-Racer.

Block wird es nicht mehr erleben. Am 2. Januar sprang er mit einem Snowmobil in einen steilen Abhang und wurde von seinem Apparat erschlagen. Er starb noch am Berg. Er hinterlässt eine Frau und drei Töchter. Die älteste hat mit 14 schon zu rasen begonnen: als Rallyefahrerin.

Source: welt.de