News: Christine Lambrecht, Wahlkampf in Berlin, Dry January

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heute geht es um die Frage, wer die Verteidigungsministerin vor sich selbst schützen könnte, um eine offenbar nervöse Berliner Bürgermeisterin und einen trockenen Januar.

Zwei Profis am Smartphone

Im Journalismus gilt das Vier-Augen-Prinzip, aus gutem Grund. Bevor ein Text veröffentlicht wird, liest und redigiert ihn ein Redakteur oder eine Redakteurin, mindestens, zumindest sollte das so sein. Im SPIEGEL lesen, redigieren und fummeln noch deutlich mehr Leute mit, die Chefredaktion, die Dokumentation, die Rechtsabteilung. Es herrscht hier, grob geschätzt, eher das Zehn-Augen-Prinzip. Fehler passieren natürlich trotzdem, aber eben seltener.

Ich empfinde das als Luxus, der mir immer dann besonders bewusst wird, wenn ich Dinge sehe oder lese, die außer der Verfasserin oder dem Verfasser offensichtlich niemand mehr gelesen, redigiert oder auch: verhindert hat. Besonders häufig ist das in den sogenannten sozialen Medien der Fall, wo auch Medienprofis immer wieder Beiträge in die Welt senden, die sie im Nachhinein lieber nicht produziert hätten. Über den Jahreswechsel haben sich hier zwei sozialdemokratische Kabinettsmitglieder besonders hervorgetan.

Da war zum einen Gesundheitsminister Karl Lauterbach, der auf Twitter seine Empörung darüber kundtat, dass Rettungskräfte in der Silvesternacht mit Böllern und Raketen angegriffen wurden. Lauterbachs Schlussfolgerung: »Rücksichtslose Gefährdung der Rettungskräfte sollte ein Grund zur Kündigung der Wohnung sein.«

Kündigung. Aha. Auf welcher Grundlage? Und durch wen? Den Vermieter, der dazu von wem genau aufgefordert oder gezwungen wird? Und dann? Obdachlosigkeit? Und wäre es eventuell denkbar, dass unter den Böller-Idioten auch Wohnungseigentümer waren? Was macht man dann mit denen? Enteignen?

Womöglich kam die eine oder andere dieser Fragen Lauterbach dann auch in den Kopf. Er löschte seinen Tweet.

Nicht auf Twitter, dafür auf Instagram war Verteidigungsministerin Christine Lambrecht unterwegs – mit einer Neujahrs- oder Silvesteransprache, wie man sie vielleicht so gerade eben noch in die WhatsApp-Gruppe des engsten Freundeskreises schicken kann, zumindest wenn man Hohn und Spott aushalten kann. Aber nicht an Tausende Follower.


Will angeblich Ministerin bleiben: Christine Lambrecht.

Will angeblich Ministerin bleiben: Christine Lambrecht.


Foto:

Christine Lambrecht / Instagram


Lambrecht steht in dem Video vor offensichtlich komplett willkürlich ausgewählter Berliner Kulisse, wird stellenweise vom einsetzenden Silvesterfeuerwerk übertönt oder ist zumindest schwer zu verstehen. Und sie sagt, begleitet vom Geknalle, Sätze wie diese: »Mitten in Europa tobt ein Krieg. Und damit verbunden waren für mich ganz viele besondere Eindrücke, die ich gewinnen konnte, viele, viele Begegnungen mit interessanten und tollen Menschen. Dafür sage ich ein herzliches Dankeschön.«

Ja, klar. Schon super, so ein Krieg. Wen man da alles kennenlernt. Immer wieder schön.

Wenn ich meinen Kindern hin und wieder kurz mein Telefon überlasse, habe ich jedes Mal Angst, dass sie damit Nachrichten verschicken könnten, nach denen mich die Empfänger für unzurechnungsfähig halten. Ich glaube, manchmal fühlen sich Pressesprecher ziemlich genau so, wenn der Minister oder die Ministerin zum Telefon greift.

Es gibt allerdings qualitativ doch ein paar Unterschiede zwischen Lauterbachs und Lambrechts Fehlgriffen, hier die beiden wichtigsten: Bei Lambrecht dürfte das Vier-Augen-Prinzip sogar gewahrt worden sein, schließlich muss irgendjemand die Kamera gehalten haben – das macht die Sache noch mal bedenklicher. Und, vor allem: Lauterbach hat als Minister nicht annähernd eine so desaströse Vorgeschichte wie Lambrecht. Aus ihrem ersten Amtsjahr habe ich spontan keine einzige positive Schlagzeile in Erinnerung.

Als ich mir ihr Video zum zweiten Mal angesehen hatte, musste ich, warum auch immer, an Rudolf Scharping denken, der sich einst mit seiner damaligen Freundin beim Planschen im Pool fotografieren ließ, während die Bundeswehr kurz vor einem Einsatz in Mazedonien stand. Es dauerte dann noch etwas, aber im Juli 2002 war es so weit. Scharping wurde auf Bitten Gerhard Schröders vom Bundespräsidenten entlassen.

Mehr Nachrichten und Hintergründe zum Krieg in der Ukraine finden Sie hier:

  • Selenskyj warnt vor »Abnutzungskrieg«, Russen melden Drohnen über Sewastopol: Kiew befürchtet ein Andauern russischer Drohnen-Attacken. Die ukrainische Polizei entdeckte bisher 25 Folterlager in Charkiw. Und: In Druschkiwka wurde offenbar eine Eishalle zerstört. Die wichtigsten Entwicklungen.

  • Das ist über den tödlichen Angriff von Makijiwka bekannt: Die Ukraine will bei einem Raketenangriff 400 russische Soldaten in der Region Donezk getötet haben. Moskau bestätigt 63 Tote. Doch selbst kremltreue Beobachter vermuten eine höhere Opferzahl – und kritisieren schwere Versäumnisse. 

  • EU-Ukraine-Gipfel soll in Kiew stattfinden: Am 3. Februar wollen sich die Ukraine und die Europäische Union beraten. Bisher wurde vermutet, dass Staatschef Selenskyj dafür nach Brüssel reisen wird. Nun teilte das ukrainische Präsidialamt mit, das Treffen werde in Kiew stattfinden.

  • Russische Gasexporte in Drittstaaten sinken um fast die Hälfte: Die Folgen des Angriffskriegs gegen die Ukraine zeigen sich bei Russlands Gasexporten. Außerhalb der GUS gehen sie um 45 Prozent zurück. Nun sollen Lieferungen nach China den Einbruch ausgleichen.

Die Böller der anderen

Gestern war ich ein bisschen in der Stadt unterwegs und habe tatsächlich die ersten Wahlplakate entdeckt. Sie erinnern sich, die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus muss wiederholt werden, am 12. Februar ist es so weit. Wahlkampf im Winter, Parteimitglieder hassen das, weil es normalerweise bedeutet, bei Minusgraden Plakate aufzuhängen und in Fußgängerzonen herumzustehen. Meine These ist auch, dass Politiker in solchen Winterwahlkämpfen auf besonders seltsame Ideen kommen, jedenfalls erinnere ich mich an einen Landtagswahlkampf in Hessen, in dem Roland Koch, damals noch Ministerpräsident, im Januar mit dem Thema Ausländerkriminalität punkten wollte. Er hätte dann fast gegen Andrea Ypsilanti von der SPD verloren, was man auch erst mal hinbekommen musste.

Aber der Winter fällt ja gerade sowieso aus. Das führt bislang allerdings nicht dazu, dass nun die Klimakatastrophe zum dominanten Thema des Berliner Wahlkampfs würde – obwohl sie, Stichwort Radwege, auch auf lokaler Ebene bekämpft werden kann (und muss), zumindest ein bisschen. Stattdessen war in den letzten beiden Tagen bemerkenswert viel von der Regierenden Bürgermeisterin zu hören.


Will definitiv Regierende Bürgermeisterin bleiben: Franziska Giffey.

Will definitiv Regierende Bürgermeisterin bleiben: Franziska Giffey.


Foto: Christophe Gateau / dpa

Zwei Tage nach der stellenweise schwer eskalierten Silvesternacht fordert Franziska Giffey nun eine »bundesweite Diskussion« über Konsequenzen – Begründung: »Wir können bestimmte Regelungen nicht alleine in Berlin treffen.« Das mag formal richtig sein, sieht aber natürlich trotzdem etwas seltsam aus, wenn die eigene Stadt brennt und man erst mal eine »bundesweite Diskussion« fordert. Vielleicht wäre eine berlinweite Diskussion ein Anfang. (Und ja, andernorts ist auch manches aus dem Ruder gelaufen, aber Berlin spielt selbstverständlich mal wieder in einer eigenen Liga.)

Ich glaube, in Wahrheit ist Giffey spätestens seit zwei Tagen ziemlich nervös. Sie galt mal als Sozialdemokratin der Law-and-Order-Schule, als Bezirksbürgermeisterin in Neukölln hatte sie sich Respekt verschafft – und jetzt war ausgerechnet Neukölln das Epizentrum des Irrsinns. Darüber gibt es übrigens tatsächlich eine bundesweite Diskussion. Sie läuft nur etwas anders, als Giffey sich das vorgestellt haben dürfte.

Auf dem Trockenen

Wir haben noch gar nicht über gute Vorsätze geredet, aber am 3. Januar ist es dafür noch nicht zu spät. Hier also mein Vorsatz, der sich zwar nur auf einen Monat bezieht, aber es ist ein Anfang. Ich mache dieses Jahr beim »Dry January« mit, beim trockenen Januar, trinke also einen Monat keinen Alkohol (alle, die sowieso und dauerhaft keinen Alkohol trinken, dürfen jetzt weiterschalten).

Ein sehr guter Freund von mir macht das seit Jahren und ist begeistert. Bislang hatte ich eine Beteiligung abgelehnt, aber wenn ich mal ehrlich bin, dann trinkt man (also ich) sich in einem durchschnittlichen Dezember mit Weihnachtsfeiern, Weihnachtsmarkt, Feiertagen und Silvester doch ganz schön was zusammen. Außerdem habe ich kürzlich gelesen, dass so ein Monat des Verzichts, anders als ich immer dachte, auch mittel- und langfristig positive Effekte haben kann, also keine reine Symbolpolitik am eigenen Körper ist.


Will irgendwann wieder getrunken werden: Bier

Will irgendwann wieder getrunken werden: Bier


Foto: Andreas Gebert/ dpa

Warum ich das erzähle? Weil ich gelesen habe, dass der »Dry January« mittlerweile schwer im Trend ist, als zeitgeistiges Phänomen also auch in dieser Lage einmal behandelt gehört. Und weil ich vorhin daran denken musste, nachdem ich eine Meldung mit der Überschrift »Betrunkener Reiterin droht wegen Polizistenattacke Haftstrafe« gelesen hatte. Die Frau war offenbar bereits vor einigen Tagen mit 3,17 Promille in Mecklenburg-Vorpommern unterwegs gewesen. Auf einem Pferd.

Ich habe bei der Lektüre zwei Dinge gelernt. Erstens: Man darf zwar nicht betrunken Fahrrad fahren, kommt aber offensichtlich straffrei davon, wenn man betrunken auf einem Pferd sitzt (die Strafe droht der Frau nur, weil sie die Polizisten getreten haben soll). Zweitens: Es ist offenbar möglich, sich mit mehr als drei Promille im Blut noch im Sattel zu halten. Ich merke mir beides mal vorsichtshalber für den Februar.

Hier geht’s zum aktuellen Tagesquiz

Die Startfrage heute: Welcher der folgenden Staaten ist nicht (!) nach föderativen Prinzipien aufgebaut?

Gewinner des Tages…

…ist Gabriel Clemens. Noch nie gehört? Ich auch bis vor vorgestern nicht. Dann nahm ich allmählich wahr, dass gerade die Weltmeisterschaft im Darts ausgetragen wird und der Deutsche Clemens, Kampfname »German Giant« sich offenbar zur Überraschung des Turniers entwickelte. Ich will hier gar nicht vorgeben, irgendetwas von Darts zu verstehen, ich dachte zum Beispiel erstaunlich lang, man müsste einfach nur die Mitte der Scheibe treffen. Ich wusste nicht, was ein Set ist (wissen Sie’s?), was Triple 20 bedeutet und warum die 180 beim Darts eine wichtige Zahl ist. Glücklicherweise kennt sich meine Freundin da ziemlich gut aus, sie erklärte mir ein bisschen was. Jetzt bin ich immer noch weitgehend ahnungslos, kann aber immerhin einordnen, dass Gabriel Clemens im Viertelfinale am Sonntag eine Sensation gelungen ist, als er den Weltmeister von 2021 aus dem Turnier warf, einen Mann namens Gerwyn Price. Gestern Abend hat Gabriel Clemens nun sein Halbfinale verloren, er ist raus. Ich finde, ein Gewinner ist er trotzdem.


Die jüngsten Meldungen aus der Nacht

  • Iran will offenbar 18-jährigen Demonstranten hinrichten: Seit September protestieren Iranerinnen und Iraner gegen das Mullah-Regime. Das reagiert brutal, hat bereits zwei Menschen hinrichten lassen. Nun sollen wohl weitere folgen.

  • 300 bis 500 Tote pro Woche wegen katastrophaler Versorgungslage in Notaufnahmen: Im Vereinigten Königreich müssen derzeit Zehntausende Menschen mehr als zwölf Stunden warten, bis sie in Notaufnahmen medizinisch versorgt werden. Klinken schlagen Alarm. Premier Sunak verspricht nun Besserung.

  • Deutsche Amtsärzte fordern europaweite Testpflicht für Reisende aus China: Die Sorge vor einer Mutation des Coronavirus in China wächst. Deshalb verlangen deutsche Ärzte ein grenzübergreifendes Testsystem für Einreisende aus dem Land – mit Isolation bei positivem Schnelltest.



Die SPIEGEL+-Empfehlungen für heute

Ich wünsche Ihnen einen guten Start in den Tag.

Ihr Christoph Hickmann