Streit um Bismarcks Erbe: Noch ein Vorbild für deutsche Außenpolitik?

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Mangelndes historisches Be­wusst­sein, Geschichtsklitterung und, natürlich, Cancel Culture: Die reflexhafte Kritik an der Umbenennung des Bismarck-Zimmers im Auswärtigen Amt in Berlin war zu erwarten. Der holzgetäfelte Raum, in dem bis 1989 das Politbüro der SED tagte, heißt jetzt „Saal der deutschen Einheit“. Das Bismarck-Porträt Franz von Lenbachs wurde entfernt; womöglich findet es bald seinen Platz in der Bonner AA-Dependance, wo es noch immer ein Bismarck-Zimmer gibt. Die großkalibrigen Vorwürfe gegen Außenministerin Annalena Baerbock und die Spitze ihres Hauses tragen indessen zu einer sachlichen Auseinandersetzung mit Otto von Bismarck kaum bei, der in der Tat mit der Geschichte des Ministeriums in besonderer Weise verbunden ist. Nicht nur bestimmte er als erster Reichskanzler des Nationalstaats von 1871 dessen Außenpolitik, sondern ihm ist auch der Name des Auswärtigen Amts zu verdanken, das, gegründet schon 1870 als „Auswärtiges Amt des Norddeutschen Bundes“, gerade kein eigenständiges Mi­ni­ste­ri­um sein sollte.

Nach dem Zweiten Weltkrieg erhielt das neue Außenministerium der Bundesrepublik 1951 wieder den alten Namen. In der Bezeichnung spiegelte sich nicht nur der Anspruch des westdeutschen Staates, Rechtsnachfolger des untergegangenen Deu­tschen Reiches zu sein, sondern, eher unbeabsichtigt, auch die Tatsache, dass es erhebliche personelle Kontinuitäten zwischen altem und neuem Amt gab. Mit der Bezeichnung wollte man sich überdies durchaus selbstbewusst – anderswo in Bonn sprach man von „dünkelhaft“ – von den übrigen Ministerien abheben.

Source: faz.net