Um an die Macht zu kommen, macht er sich erpressbar

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Ein Machtwechsel wird sich an diesem Dienstag in Washingtons Kapitol vollziehen. Wenn die Abgeordneten des im November neu gewählten Repräsentantenhauses erstmals tagen, so tun sie dies mit einer neuen Mehrheit. In den kommenden zwei Jahren werden die Republikaner eine recht knappe Majorität in der ersten Kongresskammer haben.

Bisher hatten die Demokraten hier das Sagen, zuletzt mit einem hauchdünnen Vorsprung. Im Senat, der vor zwei Monaten zu einem Drittel neu gewählt wurde, haben die Demokraten ihre Mehrheit gehalten.

Die symbolische und faktische Wirkung einer neuen Mehrheit im Repräsentantenhaus (kurz „Haus“) ist kaum zu unterschätzen. Die Republikaner können dem Präsidenten in der zweiten Hälfte seiner vierjährigen Amtszeit das Leben ziemlich schwer machen, ihn politisch stark unter Druck setzten. Joe Bidens schöne und – vergleichsweise – leichte Zeit, in der seine Partei beide Kongresskammern beherrschte, wird am Dienstag enden.

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Empfindlich erschwert wird Bidens Regieren, weil der Kongress das Haushaltsrecht besitzt. Jeder Dollar, den die Demokraten ausgeben wollen, muss somit die Zustimmung der Republikaner erhalten. Oder zumindest das grüne Licht etlicher republikanischer Abgeordneter. Das Haus stimmt zwar zumeist entlang parteipolitischer Linien ab, aber es gibt es keinen Fraktionszwang.

Die Republikaner dürften in künftigen Haushalten verstärkt ihre Prioritäten verankern. Deshalb haben die Demokraten vor Ablauf der Legislaturperiode noch schnell den 1,7 Billionen-Dollar-Bundeshaushalt durch das alte Haus gepeitscht.

Biden droht auch auf anderen Ebenen Ungemach. Die stärkste Partei im Repräsentantenhaus bestimmt die Tagesordnung von Plenum und Ausschüssen. Außerdem werden die Republikaner künftig sämtliche Ausschussvorsitzenden stellen. Gut möglich, dass sie Sonder- oder Untersuchungsausschüsse einsetzen, etwa um angebliche politische Indoktrination der Geheimdienste zu untersuchen.

Hunter Biden im Visier

Die Republikaner wollen zudem Hunter Biden ins Visier nehmen, den Sohn des Präsidenten. Der 52-Jährige hatte einst dubiose Geschäftsverbindungen gepflegt, etwa nach China und zu einer ukrainischen Gasfirma. Inzwischen betätigt sich der einst drogenabhängige Präsidenten-Sohn als Maler.

Mehrere Republikaner haben bereits angekündigt, Amtsenthebungsverfahren gegen einzelne Kabinettsmitglieder Bidens eröffnen zu wollen. Das soll unter anderem auf Alejandor Mayorkas zielen, den Heimatschutzminister. Die Republikaner werfen ihm Untätigkeit an der südlichen Staatsgrenze zu Mexiko vor.

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Ein weiterer Kandidat für ein Amtsenthebungsverfahren ist Justizminister Merrick Garland, und das, obwohl dieser noch immer keine Anklage gegen Ex-Präsident Donald Trump erhoben hat. Dass ein Impeachment gegen einen Biden-Minister erfolgreich enden würde, ist extrem unwahrscheinlich. Allerlei politischen Theaterdonner aber würde ein solches Prozedere allemal verursachen.

Es ist gut möglich, dass die republikanische Führung im Haus derlei fragwürdige Aktionen selbst dann ansetzen muss, wenn sie wenig davon hält. Durch die knappe Mehrheit – die Republikaner stellen 222 der 435 Sitze – haben einzelne, auch schrille oder rechtsradikale Abgeordnete, erheblichen Spielraum.

Das spürt seit Wochen schon Kevin McCarthy, der Sprecher des Hauses werden und die Demokratin Nancy Pelosi ablösen will. Ein einflussreicher und prestigeträchtiger Posten: Der Speaker of the House ist laut Verfassung die Nummer drei nach Präsident und Vizepräsident.

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Nach den für die Republikaner enttäuschenden Zwischenwahlen ist McCarthy bei der namentlichen Abstimmung im Plenum am Dienstag auf fast jedes Fraktionsmitglied angewiesen. Sind alle Abgeordneten anwesend, braucht er 218 Stimmen. Verweigern nur fünf Parteifreunde ihre Zustimmung, wackelt sein jahrelanges politisches Karriereziel.

Der 57-Jährige hat allen Grund, nervös zu sein. Bei einer fraktionsinternen Wahl im November stimmten nur 188 Republikaner für McCarthy, sein rechter Herausforderer Andy Biggs erhielt 31 Stimmen. McCarthy kämpft derzeit um jedes Fraktionsmitglied. So hat er der rechtsradikalen Abgeordneten und Verschwörungstheoretikerin Marjorie Taylor Greene bereits die Mitgliedschaft in einem wichtigen Ausschuss zugesagt.

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In den vergangenen Tagen machte McCarthy dem rechten bis rechtsradikalen Flügel seiner Fraktion zahlreiche Zugeständnisse. Doch selbst das garantiert ihm noch immer keine Mehrheit am Dienstag. Er ging gar am Sonntag so weit, dass er ein Misstrauensvotum gegen den Sprecher zulassen will.

Demnach sollen fünf Mitglieder des Hauses ein solches Misstrauensvotum erzwingen können. Das erhöht das Erpressungspotenzial durch die stramm rechten Abgeordneten. McCarthy also ist bereit, den Posten, von dem er seit Jahren träumt, institutionell zu schwächen, um ihn erklimmen zu können.

Ob das genügt? Noch nach den Zugeständnissen schilderten neun republikanische Abgeordnete, die ihr Abstimmungsverhalten am Dienstag offengelassen haben, in einem Brief ihre Unzufriedenheit mit McCarthy.

Einst Trump-Kritiker, nun völlig loyal

Diese Gruppe will, dass ein einzelner Abgeordneter das Recht erhält, eine Abstimmung zum Sturz des Sprechers zu beantragen. Es wäre nicht verwunderlich, beugte sich McCarthy selbst diesem Ansinnen. Längst ist er zu einem Mann der Konzessionen geworden.

Positionswechsel passen zum politischen Leben des stets gut gebräunten Mannes aus Kalifornien, während er programmatisch weitgehend blank ist. Einst war McCarthy ein Kritiker Donald Trumps, 2016 sagte er, Trump werde „von Putin bezahlt“.

Dann biederte er sich bei dem Präsidenten an. Nach der Erstürmung des Kapitols fand er kurz kritische Worte, auch an Trump gerichtet, bevor er den Ex-Präsidenten in seinem Domizil in Mar-a-Lago aufsuchte.

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FILE PHOTO: Former U.S. President Donald Trump attends a rally to support Republican candidates ahead of midterm elections, in Dayton, Ohio, U.S. November 7, 2022. REUTERS/Gaelen Morse/File Photo

Kritik an Trump ist von McCarthy seither nicht mehr zu vernehmen. Während Trump wiederum zahlreiche führende Republikaner regelmäßig schilt („Sie zerstören unser Land“), schont er McCarthy. Sollte dieser der neue Sprecher werden, läge die Frage auf der Hand, inwieweit Trump ihm eine Agenda aufdrückt. Denn der agiert stets nach der Devise: keine Leistung ohne Gegenleistung.

Wird McCarthy also zu einer Marionette Trumps? Gut möglich, zumal der rechtsradikale Flügel der Fraktion strikt loyal zu Trump steht. Die Gefahr für McCarthy: ein Verlust des Rückhalts bei moderaten Republikanern. Er könnte heute sogar im ersten Wahlgang durchfallen. Das wäre eine Sensation. Dass ein Sprecher einen zweiten Wahlgang braucht – das nämlich gab‘s zuletzt anno 1923.

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Source: welt.de