Endlich, Herr Bundeskanzler! Aber jetzt auch Kampfpanzer für die Ukraine
Nach dem Beschluss des französischen Präsidenten Emmanuel Macron zur Lieferung von bewaffneten Radpanzern AMX an die Ukraine und einer entsprechenden Entscheidung von US-Präsident Joe Biden für Schützenpanzer Bradley hat Bundeskanzler Olaf Scholz seine lang andauernde Ablehnung aufgegeben und sich zur Abgabe von Schützenpanzern Marder bereit erklärt. 40 Stück, die Ausstattung eines Panzergrenadierbataillons, sollen noch in diesem Quartal geliefert werden. Diese gehen nicht zu Lasten der Bundeswehr, sondern kommen aus Industriebeständen, die schon seit vielen Monaten angeboten werden.
So positiv diese Entscheidung im Sinne der Ukraine zu werten ist, so deutlich muss man doch sagen: endlich! Wie viele Monate sind verloren worden, seit der Bundestag am 28. April vergangenen Jahres der Bundesregierung geradezu den Auftrag erteilte, der Ukraine schwere Waffen zu liefern. Man stelle sich vor, wie anders die Kriegslage aussehen könnte, wären in großer Zahl Schützenpanzer (und dann bestimmt nicht nur von Deutschland) und im Gefolge sicherlich auch Kampfpanzer geliefert worden. Wie viel mehr ukrainische Soldaten wären noch am Leben?
Ehrlich ist auch festzustellen: Der Beschluss kam erst im Gefolge der französischen und amerikanischen Bereitschaft; die „militärische Führungsmacht“ Deutschland (so Ministerin Christine Lambrecht) hatte sich den Erwartungen an Führung versagt – was ja nicht „Vorpreschen“ oder „Alleingänge“ bedeuten musste, aber aktive Initiative verlangt hätte.
Doch jetzt sollte die Bundesregierung ihre Entscheidung als Befreiungsschlag betrachten und auch bei Kampfpanzern nicht weiter zögern. Es ist doch so offenbar, dass neben Flugabwehr und Artillerie die Ukraine dringend gepanzerte Gefechtsfahrzeuge benötigt, will sie weitere Fortschritte machen beim Zurückdrängen der russischen Truppen und beim Wiedererobern von geraubtem Territorium. Es geht um Kampf-, Schützen- und Transportpanzer.
Es gibt keine „furchtbare Eskalation“
Endlich sollte auch erkannt werden: Bedenken gegen die Lieferung bestimmter Waffensysteme können sich nicht an Typ, Kaliber oder Gewicht orientieren. Es war schon unglaubwürdig, als der Kanzler seinerzeit im Auswärtigen Ausschuss die Lieferung von Schützenpanzern als Anlass für eine „furchtbare Eskalation“ bezeichnete. Wenn das jetzt nicht mehr befürchtet wird, warum sollte es dann für Kampfpanzer gelten? Putin eskaliert, wie er will, unabhängig davon, was westliche Unterstützer-Nationen tun oder unterlassen.
Besonders artifiziell – und jetzt erst recht hinfällig – ist auch die Unterscheidung zwischen Steilfeuerwaffen (Artillerie, Flugabwehrkanonenpanzer) und Waffensystemen, die auf Sichtweite feuern. Hat doch auch der Gepard Munition für Direktes Richten.
„Es ist der Traum jeden Panzerfahrers, mit dem Leopard 2 bis nach Simferopol zu fahren“
36 Stunden sollen die Waffen zum orthodoxen Weihnachtsfest ruhen, versprach Moskau, aber hält es offenbar nicht ein. WELT-Reporterin Tatjana Ohm besucht ukrainische Soldaten, die versuchen, an der Front Traditionen aufrecht zu halten.
Quelle: Tatjana Ohm
All das bedeutet: Es ist jetzt auch Zeit für die Abgabe von Kampfpanzern. Fast 100 Leopard werden seit langem von der Rüstungsindustrie angeboten, aber Deutschland ist sogar so weit gegangen, eine Lieferung dieser Systeme durch Spanien abzulehnen, wofür eine deutsche Genehmigung erforderlich ist.
Westliche Waffenlieferungen sind die „Lebensader“ der Ukraine. Dass sie diesen Krieg „nicht verlieren“ darf, wird von den meisten westlichen Politikern immer wieder betont. Was die Durchsetzung von Putins verbrecherischen, zerstörerischen Zielen auch für uns bedeuten würde, wird ebenfalls klarer. Und für die Ukraine kann eine Durchkreuzung dieser Ziele nur heißen: wirksame Verteidigung an allen Fronten und gegen den Terror aus der Luft sowie Zurückdrängen der russischen Truppen bzw. – bei gleichzeitigem diplomatischem Druck – Erzwingen ihres Abzugs.
Die Ablehnung deutscher „Alleingänge“ – nun offenbar bezogen auf Kampfpanzer – scheint zunehmend vorgeschoben. Seit langem wurde die Blaupause zu ihrer Vermeidung vorgeschlagen: Verabredung der 13 europäischen Leopard-Nationen und deren Absprache über gemeinsame Lieferung beträchtlicher Zahlen.
Würde Deutschland hier endlich die Initiative ergreifen, würden viele folgen, und es wäre eine abgestimmte Aktion von enormer Wirkung. Neben der Artillerie werden für ein wirksames „Gefecht der Verbundenen Waffen“ Schützen- und Kampfpanzer gebraucht. Auch im sogenannten Ramstein-Format (Ukraine Defence Contact Group) sollte der leitende Gedanke nicht sein, was man abzugeben bereit ist, sondern was die Ukraine benötigt, um sich durchzusetzen.
Man kann nur an den Bundeskanzler appellieren: Verlieren Sie keine weitere Zeit, lassen Sie die Ukraine nicht wieder viele Monate warten, bis es dann doch zur Abgabe auch von Kampfpanzern kommt! Gewinnen Sie auch das Vertrauen unserer ostmitteleuropäischen Partner zurück, das durch langes Zögern beschädigt ist!
Obwohl auch jetzt bei gefrorenem Boden Operationen von Kettenfahrzeugen möglich sind, sollten spätestens im Frühjahr gepanzerte Gefechtsfahrzeuge für wirksame größere Gegenoffensiven in ausreichender Zahl und mit ausgebildeten Besatzungen zur Verfügung stehen.
Brigadegeneral a.D. Klaus Wittmann lehrt Zeitgeschichte an der Universität Potsdam.
Source: welt.de