„Wir sehen Wachstum kritisch“

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„Wir sehen Wachstum kritisch und setzen uns intensiv damit auseinander“, sagt Antje von Dewitz und blickt ernst in ihre Webcam. Ein bemerkenswertes Statement, zumal es nicht etwa von einer linken Antikapitalistin kommt. Antje von Dewitz führt das mittelständische Familienunternehmen Vaude.

Ein Outdoor-Ausstatter, dessen Rucksäcke, Anoraks und Schuhe tausende Kunden in den Bergen und im Wald tragen und der sich besonders der Nachhaltigkeit, sozialer Gerechtigkeit und dem Umweltschutz verschrieben hat. Ein gewisses Maß an Aktivismus wohnen der Geschäftsführerin und ihrem Unternehmen also doch inne.

Trotzdem schlüpft Vaude nun auch in die Rolle des „Übels“. Denn das Familienunternehmen will wachsen, und zwar im großen Stil. Aus Deutschland heraus plant von Dewitz, den Outdoor-Markt in der DACH-Region und Westeuropa zu erobern.

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„Aber wir wachsen nicht um des Wachsens willen. Es ist eine hart umkämpfte Branche. Mit mehr Größe können wir auch mehr Nachhaltigkeit in die Welt tragen“, sagt die Geschäftsführerin.

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Das nachhaltige Sportequipment aus dem schwäbischen Obereisenbach nahe dem Bodensee soll ein Exportschlager werden und mit den großen Konkurrenten wie Mammut und Jack Wolfskin, aber auch North Face und Patagonia mithalten können. Das alles soll mit der Methode Fridays-for-Future-Kapitalismus funktionieren, die Gewinne und Wachstum mit Nachhaltigkeit und Klimaschutz kombiniert – ein ambitioniertes Vorhaben.

Vaude erzielt Rekordumsatz

Vaude, der Name setzt sich aus den Anfangsbuchstaben des Namens „Von Dewitz“, also V.D. zusammen, ist in einer ziemlich komfortablen Situation. Das Unternehmen hat 2020 einen Rekordumsatz von rund 110 Millionen Euro erzielt. Für 2021 rechnete der Outdoor-Ausstatter damit, noch mal um 13 bis 14 Prozent mehr einzunehmen.

Deutlich mehr als die Hälfte dieser Summe wird bislang noch in Deutschland erzielt. Im vergangenen Jahr erwirtschaftete das Unternehmen 131 Millionen Euro – 65 Prozent davon in Deutschland, die restlichen 35 Prozent im Ausland.

Das will Antje von Dewitz ändern. Einen ersten kleinen Sieg darf sie feiern: Im Ausland wächst Vaude schon genauso schnell wie im heimischen Markt.

Der Hauptsitz des Bergsportausstatters Vaude ist in Obereisenbach bei Tettnang
Der Hauptsitz des Bergsportausstatters Vaude ist in Obereisenbach bei Tettnang
Quelle: pa/dpa/Felix Kästle

Der jüngste Erfolg der Firma ist größtenteils ihr zu verdanken. Nachdem sie 2009 das Unternehmen von ihrem Vater und Unternehmensgründer Albrecht von Dewitz übernommen hatte, krempelte sie die Firma um.

„Wir müssen uns eingestehen: Als Teil der Textilbranche sind wir auch ein Teil des Problems Klimakatastrophe. Also ist es in unserer Verantwortung, dieses Problem auch zu lösen“, sagt von Dewitz. Homeoffice, Nachhaltigkeit und Klimaschutz sind deswegen seit 13 Jahren Teil der Vaude-Identität.

Grüne Revolution bei Vaude

Von Dewitz selbst versucht, ihren Mitarbeitern diese Werte vorzuleben. Zur Arbeit radelt sie, in ihrer Freizeit ohnehin. Um zu zeigen, wie wichtig ihr Work-Life-Balance ist, geht sie schon mal früher aus dem Büro. Gerade macht sie eine dreimonatige Trekkingauszeit durch die italienischen Alpen – weit weg vom Schwabenland.

Sie hat flexible Arbeitszeitmodelle eingeführt. Auch einen eigenen Kindergarten hat Vaude. Heute sind 60 Prozent der Belegschaft weiblich und 40 Prozent der Führungskräfte.

Von Dewitz treibt die Grüne Revolution in ihrem Unternehmen immer weiter an. Seit diesem Jahr sind alle Produkte klimaneutral. Jene Schritte der Produktion, an denen Emissionen nicht vermieden werden können, kompensiert Vaude, indem es in Klimaschutzprojekte investiert.

Diese Bestrebung verschaffen dem Unternehmen einen guten Ruf. Aber gleichzeitig fordert der Wandel zur Nachhaltigkeit das Unternehmen besonders auf einer betriebswirtschaftlichen Ebene heraus.

Zahlen Outdoor-Kunden mehr für Nachhaltigkeit?

Vaude steht nun vor einem Dilemma. Um zu wachsen, muss das Unternehmen vor allem neue Händler im Ausland dazugewinnen oder Produkte weiterentwickeln, mit denen Vaude bereits einen hohen Umsatz erzielt. Dazu benötigt die Firma finanzielle Mittel. Diese braucht sie aber auch, um weiterhin nachhaltig zu wirtschaften.

Nur woher soll das ganze Geld kommen? Wenn die Kosten steigen, müsste Vaude seine Preise erhöhen. Aber Kunden bevorzugen eher billigere Produkte – das könnte die Wachstumspläne bereits in ihrem Keim ersticken.

Allerdings ist Antje von Dewitz davon überzeugt, dass Kunden gerade im Outdoor-Segment nicht mehr so sensibel auf Preise reagieren. Sondern bei nachhaltiger Qualität seien Konsumenten ihrer Auffassung nach eher bereit, ein paar Euro mehr zu zahlen.

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Eine Studie der Unternehmensberatung Deloitte gibt ihr zumindest theoretisch recht. Demnach sagen mehr als zwei Drittel der Verbrauchenden, sie seien bereit, mehr für Nachhaltigkeit auszugeben.

Besonders in der Gruppe der 18- bis 25-Jährigen legen Konsumenten der Studie zufolge viel Wert auf umweltverträgliche Produkte. Hier waren es 79 Prozent, die für grüne Produkte mehr bezahlen würden. Ob allerdings die Entscheidung an der Kasse des Kleidungsgeschäfts auch so getroffen wird, überprüft die Studie nicht.

Immerhin fühlen sich Outdoor-Sportler besonders mit der Natur verbunden, so von Dewitz‘ Theorie. Aber Vaude wandert hier an einem schmalen Grat. „Wir können es uns auch nicht leisten, die Preise zu hoch anzusetzen“, sagt Antje von Dewitz.

Doch die Produkte lassen sich auch unterschiedlich bepreisen. So könnte Vaude etwa bei manchen Hosen oder Jacken auf ein paar Prozent Marge verzichten. Dafür bei hochwertigeren Produkten wie Zelten die Preise etwas höher setzen und so die verlorenen Euro wieder hereinholen und bestenfalls ein bisschen Geld hinzuverdienen. Von Dewitz liebäugelt auch mit dieser Variante.

Eine andere Strategie setzt Vaude schon seit einigen Jahren mit Erfolg ein: Kosten verlagern. Um die nachhaltige Produktion finanziell schultern zu können, schrumpft das Budget für andere Unternehmensbereiche. Den Marketingetat hat die Geschäftsführerin beispielsweise zugunsten der Umwelt um eine halbe Million Euro verkleinert, was etwa zehn Prozent des Marketingbudgets des Unternehmens entspricht.

Mitarbeiter sehen Wachstum kritisch

Besonders viel braucht das Unternehmen auch nicht ins Marketing zu investieren. In der Szene ist die Marke wohlbekannt. Und den Rest erledigt die Chefin. Bevor sie die Geschäftsführung des Unternehmens übernahm, hatte Antje von Dewitz bereits seit mehr vier Jahren die Bereiche Öffentlichkeitsarbeit und Marketing geleitet.

Die Unternehmerin weiß, wie sie sich in Szene setzten kann. Und feiert dabei Erfolg nach Erfolg. „Grüne Gipfelstürmerin“ lautet der Titel eines Porträts über sie. Das Wirtschaftsmagazin „Forbes“ erhob sie gleich zur „Queen of Green“. Parallel dazu wird sie beinahe jährlich für ihr Engagement ausgezeichnet.

Dewitz hat an der Universität Passau Wirtschafts- und Kulturraumstudien studiert. Nach ihrem Diplom wollte sie für den Umweltschutz kämpfen, engagierte sich in NGOs. Bis sie ein Praktikum im Betrieb ihres Vaters Albrecht – der studierte natürlich Betriebswirtschaftslehre – absolvierte.

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Die finanziellen Herausforderungen sind nicht die einzigen, vor denen Vaude bei seiner Mission Wachstum steht. Ein Unternehmen wie Vaude zieht auch Menschen an, denen eine gewisse Ideologie innewohnt.

„Es gibt durchaus Mitarbeiter, die Wachstums-kritisch sind. Sie machen sich Sorgen, wie gesund es ist, zu wachsen und gleichzeitig seinen ökologischen Fußabdruck zu reduzieren“, sagt Benjamin Epp, Mitarbeitervertreter bei Vaude.

„Eine richtige Angst besteht aber nicht“, sagt Epp. Nachdem die Unternehmensführung die Firma und deren Mitarbeiter so erfolgreich und sicher durch die Corona-Krise gebracht hatte, vertraue man der Chefetage.

Kritiker könnten bei Vaude, dass sich besonders mit seinen Nachhaltigkeitsbestrebungen brüstet, skeptisch werden. Was, wenn das Unternehmen sich grüner verkauft als es ist, also Greenwashing betreibt? Gegen diesen Verdacht sprechen jedoch einige Umwelt-Siegel, die das Unternehmen erhalten hat.

Den Grünen Knopf, das staatliche Umwelt-Textilsiegel des Bundes, der für anspruchsvolle ökologische und soziale Standards bei Textilwaren steht, trägt Vaude genauso wie die Zertifikate von bluedesign und Global Organic Textile Standards. Das Informationsportal Siegelklarheit, eine Initiative der deutschen Bundesregierung, stuft die beiden letzteren als „sehr gute Wahl“ ein.

Die Siegel und die Zertifizierungen des Unternehmens seien das Beste, das es auf dem Markt gibt, beteuert auch eine Expertin der Verbraucherzentrale. Inzwischen hat Vaude auch eine eigene Zertifizierung eingeführt; das Green-Shape-Label.

Ein Siegel, dessen Kriterien über alle anderen hinausgehen soll. Vielleicht spricht Vaude damit weitere wachstumskritische Geister an. Und schafft so den Spagat zwischen Skepsis und Wachstum.

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Source: welt.de