Fachkräftemangel im öffentlichen Dienst: Wie teuer ist ein starker Staat?

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Der öffentliche Dienst hierzulande wächst seit einigen Jahren deutlich – aber nach An­sicht seiner Beschäftigtenvertreter längst nicht stark genug. Auch die inzwischen 5,1 Millionen Angestellten und Beamten reichten nicht, um alle po­litisch beschlossenen Aufgaben zu erfüllen. Mit dieser Botschaft hat der DBB Beamtenbund am Montag auf seiner Jahrestagung in Köln den Rahmen der Tarifrunde für mehr als 2,5 Millionen Beschäftigte von Bund und Kommunen abgesteckt: Ihre Bezahlung soll auch deshalb kräftig steigen, da nur so der Wettstreit um knappes Personal gegen andere Ar­beitgeber zu gewinnen sei. Die Tarifrunde beginnt am 24. Januar.

„Stand heute fehlen uns mehr als 360.000 Fachkräfte“, trug DBB-Chef Ulrich Silberbach im Beisein von Bundesinnenministern Nancy Faeser (SPD) vor, gestützt auf Daten der Fachgewerkschaften in seinem Verband. Besonders groß sind die Lücken demnach bei Kita-Erziehern, Lehrern und IT-Fachkräften, die die Digitalisierung der Verwaltung voranbringen sollen. Zugleich seien mehr als 1,3 Millionen Beschäftigte – gut ein Viertel – älter als 55, müssten also binnen zehn Jahren altershalber ersetzt werden.

„Nun haben wir zwei Möglichkeiten: Entweder, die politisch Verantwortlichen streichen die Aufgaben der Daseinsvorsorge dramatisch zusammen“, erklärte Silberbach. Oder aber es bleibe nur die aus seiner Sicht einzig realistische Lösung: „Mehr Personal für den öffentlichen Dienst!“

„Wenn sie dem x-ten fassungs­losen Geringverdiener erklären müssen…“

Dahinter verbergen sich indes enorme Kosten: In der Tarifrunde verlangen der DBB und die Gewerkschaft Verdi 10,5 Prozent mehr Geld für die Tarifgruppen oberhalb von 4762 Euro Mo­natsgehalt. Für alle anderen sollen es 500 Euro mehr im Monat sein, was bis zu 25 Prozent entspricht. Nach Berechnungen von Bund und Kommunen liefe dies auf jährliche Mehrausgaben von 20 Milliarden Euro hinaus. Auf knapp 30 Milliarden Euro im Jahr lassen sich daneben die Mehrausgaben für 360.000 neue Be­schäftigte hochrechnen; die Durchschnittskosten werden mit rund 80.000 Euro je Stelle angesetzt.

Dies zeigt, dass es mit den Forderungen um eine Grundsatzfrage nach der Bedeutung des öffentlichen Dienstes für Politik und Gesellschaft geht. Die Silvesterkrawalle gegen Polizei und Rettungskräfte in Berlin und anderswo sind für den DBB insofern ein weiterer Beleg, dass ein Kurswechsel dringlich sei – ein durch politische Taten und Geld unterlegtes Bekenntnis zu einem handlungsfähigen Staat. „Die größte Gefahr für die Demokratie, unsere Wirtschaft und unseren Wohlstand ist ein kaputtgesparter öffentlicher Dienst“, warnte Silberbach. Die politisch Verantwortlichen müssen sich „endlich ehrlich machen“ und Bürgern „nichts versprechen, was nicht zu halten ist“.

Doch allzu oft müssten die Beschäftigten ihre Köpfe dafür hinhalten, dass es anders laufe. Etwa mit der groß angekündigten Wohngeldreform zum 1. Januar, die für zwei Millionen Haushalte Wohn- und Heizkosten abfedern soll: „Wundert sich hier irgendjemand“, fragte Silberbach die 450 Tagungsgäste, „dass Mitarbeitende von Wohngeldämtern dieser Tage verzweifeln, wenn sie dem x-ten fassungs­losen Geringverdiener erklären müssen, dass es von der Wohngeldbeantragung bis zur Entscheidung Monate dauern kann?“

Der Vorwurf des „Kaputtsparens“ trifft heute indes, anders als früher, auf eine Realität mit Personalaufbau. Laut Statistischem Bundesamt ist die Gesamtzahl der Staatsbediensteten allein von 2020 auf 2021 um 128.000 auf 5,1 Millionen gestiegen. Seit einem Tiefstand von 4,6 Millionen im Jahr 2010 kamen eine halbe Million hinzu. So gibt es heute 260.000 Erzieher in kommunalen Kindertagesstätten, doppelt so viele wie 2006.

Der frühere Bundesverfassungsrichter Udo Di Fabio warnte auf der Tagung vor der Erwartung, dass mehr Personal die alleinige Lösung sei. Da Personal überall knapp sei, könne man damit Probleme nur verlagern. Umso stärker müsse Politik da­rauf achten, dass ihre Gesetze mit den ge­gebenen Kapazitäten umsetzbar seien. Im Grundsatz stimmte aber auch Di Fabio dem Ruf nach Stärkung des öffentlichen Dienstes zu. Zu lange seien nicht nur In­vestitionen in Brücken und Schienen vernachlässigt worden – Politik habe sich auch zu wenig darum gekümmert, ob das Fundament des öffentlichen Dienstes den realen Belastungen noch gewachsen sei.

Die Innenministerin versicherte indes den Beschäftigten des öffentlichen Dienstes ihre Wertschätzung. Wie sie dies als Verhandlungsführerin der Arbeitgeber in der Tarifrunde auszudrücken gedenkt, ließ sie aber offen. Es werde „nicht ganz einfach“, aber man werde sicher „gemeinsam zu einem angemessenen Ergebnis kommen“, sagte Faeser. DBB und Verdi haben schon klargemacht, dass dem wohl ein spürbarer Streik vorausgehen wird.

Source: faz.net