Hart aber fair: Warum muss Klamroth Plasberg spielen?

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Wie harmlos! Hier gab es keinerlei versteckte Gefahren, nicht einen einzigen bösen Hintergedanken, null Überraschungsangriff, ein erregtes Ins-Wort-Fallen schon gar nicht. Härte? Fehlanzeige I. Fairness? Fehlanzeige II. Einfach deshalb, weil, wo keine Härte, da auch kein Bedarf an Fairness, an Nachsicht, an einem „Lassen wir es gut sein“. Wobei die Sendung eher ein harmloses Schlafmittel (im Sinne von: macht nicht abhängig) als ein harmloses Vergnügen war (im Sinne von: man gönnt sich ja sonst nichts), denn vergnüglich ist es nicht, wenn es um Teuerungen, Inflation und verschärfte Armut von ohnehin materiell Minderbemittelten geht wie diesmal bei „Hart aber fair“ zum Thema: „Ein Land wird ärmer. Wer zahlt die Krisenrechnung 2023?“.

Was hatte der neue Moderator Louis Klamroth uns nicht alles versprochen. Er wolle bei überarbeitetem, in cyanblaues LED-Licht getauchtem Bühnenbild (ein bisschen so wie bei Richard David Prechts Sendung im spacelabartig gestylten ZDF-Studio, nur nicht so dunkel) die Gäste argumentezentriert miteinander ins Gespräch bringen (im Vorgriff sei gesagt: Fehlanzeige III). Formuliert war das so: „Meine Aufgabe ist es, durch gezieltes, und wenn es sein muss, hartnäckiges Nachfragen diese Argumente herauszuarbeiten und meine Gäste zur Diskussion zu bewegen.“ Das Versprechen nicht gehalten zu haben erfüllt somit den Tatbestand „wider besseres Wissen“. Hier wusste jemand, was er (nicht) tat.

Im Studio geht es eher vage zu

Da nicht gezielt, schon gar nicht hartnäckig nachgefragt wurde, blieb alles vorzugsweise im Ungefähren. „In Deutschland geht es eher ungerecht zu“: Schon die immer wieder beschworene Aussage auf der riesigen Stellwand, der laut ARD-Deutschlandtrend 58 Prozent der zu Jahresbeginn Befragten zustimmen, spricht ja nicht für sich selbst. Sie wirft vielmehr alle möglichen Fragen auf, ohne dass sie in der Sendung anders als anekdotisch oder suggestiv oder längst bekannt beantwortet wurden.

„In Deutschland geht es eher ungerecht zu“: Was heißt näherhin „ungerecht“? Was „eher“? Ist die Vorhaltung „eher ungerecht“ hart politisch oder philosophisch gemeint? Wenn Ersteres, dann in welchen Politikbereichen? Wer wird zu wessen Lasten privilegiert, absichtsvoll oder als unbeabsichtigte Nebenfolge, welche Wirkungsforschung von welchen Instrumenten politischer Steuerung steht hinter dem Adjektiv „ungerecht“?

Klamroths Versuche zu witzeln, das Herauskehren von nett, locker und einfühlsam – das machte die Sache nicht besser, sondern schlechter, legte den Eindruck nahe: Wir müssen uns irgendwie über die Sendezeit retten und, bitte, ohne uns dabei wehzutun, nein, auch nicht ein kleines bisschen, wir sitzen hier im Studio doch alle im selben Boot. Fehlte nur noch, dass einzelne der Gäste zwischendurch auf die Armbanduhr geschaut hätten: Was, so lange noch?

Wobei die Gäste ihre Sache durchaus gut machten, allen voran Engin Kelik, der Familienvater mit geringem Einkommen, der die Nöte beschrieb, seinen Kindern bei jedem Supermarkteinkauf die neue Knappheit erklären zu müssen. „Was macht das mit Ihnen, wenn Sie merken, Ihre Kinder wollen Sie schonen im Supermarkt?“, fragte Klamroth. Na ja, was macht das wohl mit einem Vater? Er müsse eben schauspielern, so gut es geht, sagte der Vater, das heißt so tun, als wäre das alles kein wirkliches Problem.

Die Fragen zum Kernpunkt „Ungerechtigkeit“ ließen sich mit dem Ausweis der Betroffenheit freilich nicht beantworten. Die sachhaltigen Auskünfte der Wirtschaftsweisen Monika Schnitzer unterstützten denn auch gerade kein moralisches Verdikt. Und was Lars Klingbeil und Jens Spahn zu den Komplexitäten von Gesetzgebungsverfahren unter Unsicherheit und Zeitdruck beizutragen wussten, warf Schlaglichter auf dysfunktionale Verfahren politischer Entscheidungsfindung, wollte und konnte aber ebenfalls nicht ins Herz einer nahegelegten Gerechtigkeitsdebatte vordringen.

Die Runde am Montag mit Lars Klingbeil, Monika Schnitzer, Engin Kelik, Melanie Amann, Jens Spahn und Louis Klamroth (von links).

Die Runde am Montag mit Lars Klingbeil, Monika Schnitzer, Engin Kelik, Melanie Amann, Jens Spahn und Louis Klamroth (von links). : Bild: WDR/Oliver Ziebe

Früher konnte Klamroth hartnäckig sein

So viel in aller Härte. Aber der Fairness halber muss ergänzt werden: Klamroth kann auch angriffslustig, jedenfalls als er noch mit eigenem Namen titelte, siehe „Klamroths Konter“. Da, bei seiner bisherigen Sendung, gab es tatsächlich Momente des gezielten und hartnäckigen Nachfragens, wenn auch mit erstaunlich eng geschnittenen Kontexten, ein Nachfragen, das bis zu einer regelrechten Kontextvergessenheit geraten konnte, einem Kokettieren mit dem Momentum (oder weniger vornehm gesagt: mit der schmalen Basis), bar aller Bezüge von Herkunft oder Vergleichen, die sich einem halbwegs informierten Bürgerverstand aufdrängten, bei „Klamroths Konter“ aber regelmäßig entfielen, als handele es sich um eine kindliche Krachmacherei. Mit dem Ergebnis, dass auch gezieltes, aber eben im Ganzen doch splitternacktes Nachfragen sich als gerade nicht zielführend herausstellte. Jedenfalls war Leben in der Bude, seinerzeit bei „Klamroths Konter“. Ein Leben, das nun unter dem Namen „Hart aber fair“ ausgehaucht schien.

Ob es helfen würde, wenn die Sendung mit neuem Gesicht nun auch einen neuen Namen trüge: Klamroth? Kontext wären Maischberger, Maybrit Illner, Anne Will und so weiter, geht doch. Klar, der Titel „Hart aber fair“ ist eingespielt. Aber Hand aufs Herz: Ist mit Plasberg nicht auch „Hart aber fair“ vergangen? Wabert da jetzt nicht bloß eine leere Hülle herum, in der die Anwesenheit des Abwesenden umso deutlicher spürbar wird? Ist, mit anderen Worten, unter dem beibehaltenen Titel „Hart aber fair“ nicht eine permanente Plasberg-Assoziation gegeben, die es dem Werden von jemand Neuem, also von Klamroth, an Beinfreiheit gebrechen lässt?

Dass er den Gästen, wenn sie zu lange reden, genauso körperlich in den Arm fällt, wie Plasberg das tat, ist entwicklungspsychologisch keine Perspektive. Auch der von Plasberg abgeschaute Schwung des Zeigefingers beim Einschalten der Filmchen hatte im Hinblick auf die Individuation etwas Beunruhigendes. Plasberg-Mimikry kann es nicht sein, wenn es um Klamroths langen Weg zu sich selbst geht. Ganz ehrlich: Warum muss der Mann unter falschem Namen auftreten und damit ohne die Chance, seinen eigenen Namen mit Wohlklang zu erfüllen, jedenfalls wenn unter klangvollem Namen branchenüblich die Buchstaben zur Wiedererkennung gemeint sind?

Man hört die senderinternen Diskussionen ja schon auf sich zurollen, kaum dass ein paar Wochen vergangen sind, durch die der alte Formatname „Hart aber fair“ geschleppt wurde. Dann wird gefragt werden: Wer kennt Klamroth? Ist der Mann überhaupt labelfähig? So weit muss es ja nicht kommen, wenn rechtzeitig entschieden würde, auch Klamroth draufstehen zu lassen, wo Klamroth drin ist.

Source: faz.net