Altertümer für Kassel: Die große Herkulanerin geht auf die Reise

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Gelesen hatte er viel darüber, schließlich berichteten die Zeitungen auch in Nordhessen gern über die Antikenfunde in der Region Neapel. Nun war er in Portici angekommen, wahrscheinlich war es der Grabungsleiter persönlich, der den Siebenundzwanzigjährigen im Oktober 1753 empfing und über eine Treppe in einen Brunnen hinabsteigen ließ.

Der Boden, notiert der Besucher, setzt sich zusammen „aus mehreren Schichten Asche-Schlamm, vermischt mit Erde und Mineralien, Lava des Vesuv und ordinärer Erde“. Am Fuß der Treppe angekommen, betritt er mehrere in den Untergrund getriebene Gänge mit Abzweigungen, „die man ohne Plan und zufällig nach rechts und links geschlagen hatte“. Was man dort seit dem Beginn systematischer Ausgrabungen gefunden hatte, war weggeschafft worden – „Statuen, Malereien und Inschriften“, und der Besucher findet es „extrem ärgerlich“, dass man von Anfang an darauf verzichtet hat, „auf einmal einen beachtlichen Teil des Terrains abzutragen, und zumindest ein Gebäude gänzlich freigelegt hat. Sicher wäre man für diese Arbeit mit einer Menge an Kuriositäten, die anscheinend noch in der Erde sind, belohnt worden, ganz zu schweigen davon, dass man Statuen, Bas-Reliefs und Malereien im Ganzen gehabt hätte, die man nun zerstört hat, da man sie aus ihren Orten ziehen wollte.“

Johann August Nahl schuf diese Büste des Italienreisenden Simon Louis du Ry.

Johann August Nahl schuf diese Büste des Italienreisenden Simon Louis du Ry. : Bild: Arno Hensmanns

Die Briefe, die Simon Louis du Ry nach Kassel schickte, waren Teil seines Auftrags: Der Landgraf hatte die Ausbildung des Architekten in Stockholm und Paris finanziert und ihn nun als fürstlichen Baumeister nach Italien geschickt, wo er sich nicht lange in Rom aufhielt, sondern bald nach Neapel weiterreiste, um Zeuge der Ausgrabungen in Portici zu sein.

Verluste bei den Bergungen

Anders als in Pompeji war dort die antike Stadt, die man bald mit Herculaneum identifizierte, unter einer massiven festen Schicht begraben, und was man aus dem Untergrund barg, transportierte man über Tunnel und Schächte nach oben, wobei – du Rys Klagen berühren einen noch heute – vieles zerstört wurde. Er selbst beschreibt allerdings, wie er Farbreste, „mehrere Stücke, groß wie eine Hand, mit der Hilfe eines Messers abgenommen“ hat. Du Ry besichtigte das Theater Herculaneums und Teile der frisch gefundenen „Villa dei Papyri“, außerdem die Ausstellung der prächtigsten Funde, darunter 376 Malereien, im Schloss von Portici. Und er sah Statuen im öffentlichen Raum der Stadt.

Filippo Morghen/Antoine A. J. Cardon: Ansicht des Vesuvs von Süden während des Ausbruchs von 1754

Filippo Morghen/Antoine A. J. Cardon: Ansicht des Vesuvs von Süden während des Ausbruchs von 1754 : Bild: Museumslandschaft Hessen Kassel

Du Rys Italienreisen beleuchtet nun eine überschaubare Ausstellung im Hessischen Landesmuseum in Kassel. Sie findet in einem einzigen Raum statt, der allerdings geschickt durch Tafeln in Pompejanisch Rot strukturiert wird und dabei von seinem Thema anschaulich und konzise erzählt. Dabei greifen die Ausstellungsmacher auf großformatige Landschaftsfotos, Pläne und überwiegende Reproduktionen von Bildern und Grafiken zurück, aber auch auf Kopien wie Abgüsse von Statuen, die teils Jahrhunderte alt sind – etwa ein seit 1827 in Kassel nachgewiesener Gipsabguss der „Großen Herkulanerin“ aus Dresden, der aus der Werkstatt von Christian Daniel Rauch stammt. Das hat seinen eigenen Reiz, und die Intention von Sammlern wie den hessischen Landgrafen, in vorfotografischen Zeiten die schönsten Stücke in Reproduktionen mit nach Hause zu führen, teilt sich durchaus mit. Dass sich der Landgraf auch für zeitgenössische Kunst interessierte, dokumentiert der Ankauf von Jacob Philipp Hackerts „Vesuvausbruch am 12. Januar 1774“.

Erhabene Zeugin italischer Vergangenheit: Marburger Gipsabguss der Großen Herkulanerin

Erhabene Zeugin italischer Vergangenheit: Marburger Gipsabguss der Großen Herkulanerin : Bild: Mirja van IJken

Der Erinnerung an das „Herculanense Museum“ in Portici, dessen Bestände schließlich nach Neapel überführt wurden, gilt eine weitere Abteilung der Ausstellung und eine letzte der Rezeption antiker Architekturelemente in Kassel: in Wilhelmshöhe zum Beispiel die Innendekoration des Ballhauses, das „Grab des Vergil“ im Park und vieles mehr. Und man staunt darüber, wie vieles davon in dieser im Zweiten Weltkrieg so geschundenen Stadt die Zeiten überdauert hat.

Reise zum Vesuv. Bis zum 26. Februar im Hessischen Landesmuseum Kassel. Das Begleitbuch von Rüdiger Splitter kostet 60 Euro.

Source: faz.net