Horst Möller achtzig: Talent und Temperament

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Horst Möller ist ein Phänomen. Abgesehen von den grau gewordenen Haaren haben sich Gestalt und Physiognomie in den vergangenen Jahrzehnten kaum verändert und seine Gelehrtenpersönlichkeit ebenso wenig: Anregend, ja sprudelnd im Gespräch, informiert und interessiert wie eh und je, originell in seinen Beiträgen zu historischen wie aktuellen Fragen und entschieden in seinem Urteil – so kennt man ihn. Und vor allem ist er wissenschaftlich noch immer so produktiv wie seit inzwischen mehr als fünf Jahrzehnten. Vor wenigen Monaten erst erschien sein neuestes Buch „Deutsche Geschichte – Die letzten hundert Jahre“, in mancher Hinsicht die Summa eines langen Forscherlebens.

Dabei begann Möller gar nicht als Zeithistoriker, als der er heute vor allem be­kannt ist. Der Schüler Thomas Nipperdeys stieg in seine wissenschaftliche Laufbahn an der FU Berlin mit einer umfassenden Untersuchung zur preußischen Aufklärung ein; Möllers noch heute grundlegende Dissertation erschloss Le­ben und Werk des Berliner Verlegers und Schriftstellers Friedrich Nicolai. Zwei weitere wichtige Gesamtdarstellungen hat er zum achtzehnten Jahrhundert vorgelegt: „Vernunft und Kritik“ (1986) und „Fürstenstaat oder Bürgernation. Deutsch­land 1763-1815“ (1989) in der Reihe der Deutschen Geschichte bei Siedler.

Von Otto Braun zu Franz Josef Strauß

Daneben wurde schon bald die Zeitgeschichte sein Hauptarbeitsgebiet. Seit seiner Habilitation über den Parlamentarismus des Freistaates Preußen zwischen 1919 und 1932 hat er eine kaum übersehbare Fülle von Büchern, Beiträgen und Editionen zur Zeit- und Gegenwartsgeschichte publiziert, von denen hier nur die mittlerweile in einem Dutzend Auflagen vorliegende Geschichte der Weimarer Republik, das Lehrbuch „Europa zwischen den Weltkriegen“ und die erste wissenschaftliche Biographie von Franz Josef Strauß genannt seien. Die Welt der Politik kennt Möller übrigens, im Gegensatz zu den meisten seiner Fachkollegen, auch von innen – aus seiner Zeit als Mitarbeiter im Bundespräsidialamt unter Walter Scheel im Jahr 1978.

1982 nach Erlangen berufen, ging er 1989 nach Paris als Leiter des dortigen Deutschen Historischen Instituts. Seine vielfältigen Kontakte, die er dort knüpfen konnte und die ihn auch später immer wieder zur Wahrnehmung von Gastprofessuren nach Frankreich zurückführten, bestehen bis heute; drei Ehrendoktorate französischer Universitäten bezeugen das hohe Ansehen, das Möller bei unserem westlichen Nachbarn besitzt.

Die wichtigsten Jahre verbrachte er jedoch seit 1992 in München, wo er zwei Jahrzehnte lang als Direktor des Instituts für Zeitgeschichte amtierte und gleichzeitig an der Ludwig-Maximilians-Universität lehr­te. Möller nutzte sein außergewöhnliches Organisationstalent, um eine Fülle von neuen Projekten auf den Weg zu bringen und viele davon auch abzuschließen. Die Errichtung des Dokumentationszentrums am Obersalzberg gehörte zu seinen wichtigsten Vorhaben. Dass er daneben als Mitglied einer Fülle wissenschaftspolitischer Gremien, Beiräte und Kommissionen ein immenses Arbeitspensum bewältigte und zugleich auch noch als Herausgeber der großen Aktenpublikationen im Auswärtigen Amt fungierte, sei nur am Rande vermerkt.

Brutalismus als Ausdruck des Willens zu strenger Sachlichkeit: Das Institut für Zeitgeschichte in der Münchner Leonrodstraße war von 1992 bis 2011 die Wirkungsstätte Horst Möllers.

Brutalismus als Ausdruck des Willens zu strenger Sachlichkeit: Das Institut für Zeitgeschichte in der Münchner Leonrodstraße war von 1992 bis 2011 die Wirkungsstätte Horst Möllers. : Bild: Wikimedia Commons / CC BY-SA 4.0

Wer Horst Möller näher kennt, schätzt ihn nicht nur als überaus aufgeschlossenen, an allem Neuen interessierten, stets genau informierten und immer freundlichen Gesprächspartner mit einem außerordentlich eindrucksvollen, über das Historische weit hinausgehenden Bildungshorizont, sondern auch als Persönlichkeit, die aus ihren klaren und entschiedenen – dabei aber stets präzise begründeten – Standpunkten keinen Hehl gemacht hat. Möller hat sich stets in öffentliche Kontroversen eingemischt und auch dort Flagge gezeigt, wo keine allgemeine Zu­stimmung zu erwarten war – ging es nun um die Debatten über einen „deutschen Sonderweg“, um den Historikerstreit, die umstrittene Wehrmachtsausstellung oder die Bewertung der Vertreibungen im zwanzigsten Jahrhundert. Ernst Nolte, einen seiner akademischen Lehrer, hat Möller (auch wenn er sich keineswegs allen Thesen Noltes anschließen konnte) immer wieder verteidigt.

Sein neuestes Buch – das, wie man ihn kennt, sicher nicht sein letztes sein wird – trägt den auf den ersten Blick optimistischen Untertitel „Von Krieg und Diktatur zu Frieden und Demokratie“; es endet jedoch, den heutigen Zeitumständen entsprechend, mit einem eher nüchtern-skeptisch gehaltenen Blick auf die Gegenwart: Es könnte sein, merkt der Autor an, dass die Jahre nach den Umbrüchen von 1989/91 gar keine wirkliche Epochenwende bedeuteten und das folgende Jahrzehnt „nur eine freundliche Atempause“ war. Vielleicht, so gibt er fragend zu bedenken, leben wir „immer noch im 20. Jahrhundert, einem langen 20. Jahrhundert“. Die Folgerung, die Möller aus dieser Überlegung zieht, mag bei einem Konservativen überraschen: „Dann sollten wir alles daransetzen, dieses Jahrhundert zu beenden und tatsächlich, wie schon 1989/91 erhofft, ein neues Kapitel aufschlagen. Dass die Menschheit nichts aus der Geschichte lernt, heißt nicht, dass man nichts aus ihr lernen kann.“ Am heutigen Donnerstag feiert Horst Möller seinen achtzigsten Geburtstag.

Source: faz.net