Inflation in Frankreich: Politik mit dem heiligen Baguette

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2,50 Euro statt 95 Cent? Das Baguette wird in Frankreich teuer. Für Emmanuel Macron ist das ein Problem: Seine Regierung fürchtet ein Erstarken der Gelbwesten.

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Inflation in Frankreich

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Inflation in Frankreich: 250 Gramm Weltkulturerbe
250 Gramm Weltkulturerbe

Politik mit dem heiligen Baguette – Seite 1

In Zeiten steigender Preise sind die Bäckerinnen und Bäcker in
Frankreich nur selten allein. Ihre warmen Stuben werden von Bürgermeistern,
Ministerinnen und Abgeordneten besucht. Die Traube aus Menschen im Anzug, meist mit Krawatte und sich die Mehlstäube vom Ärmel wischend, wird dann stets von
Fotografen und Journalistinnen begleitet. Seitdem das Baguette droht einige Dutzend Cents teurer zu werden, ist ein Termin in den Backstuben des Wahlkreises zur
Pflicht geworden. Präsident Emmanuel Macron hat seine Abgeordneten sogar
angewiesen, ihre jeweiligen Bäckereien zu besuchen.

Die Regierung befürchtet offenbar, die Gelbwesten-Bewegung mit einem höheren
Brotpreis anzufeuern – jene Massendemonstrationen, die einst von einem höheren
Dieselpreis ausgelöst wurden. “In der Schlange beim Bäcker wird politische
Stimmung gemacht”, sagt der Politologe Bruno Cautrès. Denn im Nachbarland sind das lange Weißbrot und sein Preis
ein Politikum.

Das Baguette ist im Alltag sehr präsent – morgens wird es mit
Konfitüre verspeist, mittags und abends zum Menü gereicht, fast in jeder Küche
liegt stets eine der 250 Gramm schweren Stangen herum. Überhaupt gibt es kaum
eine andere Brotsorte zu kaufen, allenfalls mehr oder weniger große, runde oder
längliche Baguettevarianten. Und weil dieses eigentlich nur einen Tag knusprig
und lecker ist, lockt es das französische Volk auch täglich in die Bäckereien,
eine Art Klatschtreff für jedermann. 

Im vergangenen Jahre erklärte es die Unesco gar zum Weltkulturerbe, weil es im Gegensatz zu anderen Brotarten bei “zahlreichen gesellschaftlichen Anlässen” wichtig und jedes Produkt ein Unikat
sei.
An dem Tag der Unesco-Aufnahme war Emmanuel Macron gerade in den USA – und
sprach zu rund hundert ausgewanderten Franzosen, mit einem Baguette in der
Hand, über diesen “historischen Sieg nach langen Kämpfen”.

Tatsächlich drohen aktuell einige Bäckerinnen und Bäcker
damit, das kleine Weißbrot künftig für 2,50 Euro verkaufen zu müssen. Für das
Nachbarland undenkbar. Bislang kostet ein Baguette durchschnittlich 95 Cent.
Nun aber beginnen für viele neue Verträge mit den Gas- und Stromproduzenten, und diese haben die Preise häufig um ein Vielfaches erhöht. Dabei verbrauchen die
mannshohen Backöfen in den rund 35.000 französischen Bäckereien viel Energie,
so viel, dass die Rechnungen für viele Geschäfte auf Tausende Euro im Jahr
angestiegen sind, manche sprechen gar von einer Verzehnfachung der Kosten.

Die Bäcker empfangen in ihren Läden meist Vertreter von
Parteien, denen sie selbst nahestehen. Fréderic Roy ist besonders geschickt darin, sich zu inszenieren, er ist
einer der bekanntesten Bäcker Frankreichs, weil er für ein Label kämpft, das
handwerkliche Produkte auszeichnet. Vor seinem Laden in der Innenstadt des
südfranzösischen Nizza bilden sich stets Schlangen, auch dieses Mal, als
er den konservativen Parteichef Éric Ciotti und zahlreiche Medien zum
Baguettekauf einlud. Roy sagte in die Kameras, das Baguette drohe “astronomisch
teuer” zu werden. Éric Ciotti sekundierte und sprach gar von einem “Erwürgen”
der Bäcker.

Der Baguettepreis hatte es in jede Nachrichtensendung
geschafft und so kündigte die Pariser Regierung vor wenigen Tagen schließlich
eine Fülle von Maßnahmen an – von einem Gaspreisdeckel bis zum “Strompuffer” –
die, wie häufig bei öffentlichen Hilfen, weiter gehen als die deutschen. So
soll der Puffer den Preis für eine Kilowattstunde auf 18 Cent drücken
,
während die deutsche Strompreisbremse für kleinere Unternehmen einen
Bruttopreis von 40 Cent pro Kilowattstunde garantieren soll
.

Die Rechtsextremen wollen den EU-Energiemarkt auflösen

Emmanuel Macron hat selbst dazu beigetragen, dass die
Profession eine große politische Rolle spielt: Schon bei seinem ersten Empfang mit dem Bäckereiverband sagte er, die Zunft stehe für einen “Beruf der Exzellenz, der das französische Können und den Lebensstil”
verkörpere, und verglich sie kürzlich gar mit Geistlichen, die den “Glauben mit
Leib und Seele verteidigen”. Vor wenigen Tagen dann beschuldigte er die
Energiekonzerne, “Gewinne auf dem Rücken anderer” zu machen.   

Das klang fast so, als sei er für die Besteuerung von
Übergewinnen. Allein der französische Konzern TotalEnergies, einer der
wichtigsten Stromlieferanten von Frankreichs Bäckern, machte im vergangenen Jahr einen Gewinn von netto 6,6 Milliarden Euro.
Aber Macron hat diese Steuer ebenso wie eine Vermögenssteuer stets abgelehnt
und so beließ er es bei Aufrufen an die Energieerzeuger, “vernünftige” Preise
anzubieten.

Der französischen Opposition reicht dies nicht. Die
links-grüne Nupes machte mit beim Bäckereihopping und forderte, die
Stromrechnungen aller Bäckereien und Kleinbetriebe auszusetzen. Der
rechtsextreme Rassemblement National will das Baguette zum Anlass nehmen, die
Regeln des europäischen Energiemarktes aufzulösen: In einem Brief an die “lieben Bäcker” forderte ihr Parteivorsitzender Jordan Bardella, aus dem
europäischen Strommarkt auszusteigen, um die Preise endlich wieder “an die
französischen Kosten” anzulehnen. Der Ausstieg sei jederzeit möglich und koste
den französischen Steuerzahlern keinen Cent. Auch Bardella besuchte eine
Bäckerei, natürlich die eines Anhängers seiner Partei, und beschuldigte dort
erneut die Europäische Union, für den “Tod der Traditionsbetriebe”
verantwortlich zu sein.

Frankreich ist in der EU gerade selbst Preistreiber

Bardella spielt damit auf das sogenannte
Merit-Order-Prinzip im europäischen Energiehandel an. Das sei, so beschreibt es
der wissenschaftliche Dienst des Bundestages, eine “Reihenfolge
der Vorteilhaftigkeit”. Das bedeutet: Für den Großhandelspreis von Strom ist
immer das teuerste Glied in der Kette an Angeboten – von Solar- bis zur
Gasenergie – entscheidend. Die
derzeit letzten Anbieter in der Merit-Order-Reihenfolge seien häufig
Gaskraftwerke, deren Preise zuletzt stark anstiegen. Damit gingen dann auch die
Strompreise hoch. Deshalb wirken sich die gestiegenen Preise für Erdgas eben auch auf die Stromkosten für die Bäcker aus. 

Allerdings haben inzwischen verschiedene Politiker
gefordert, langfristig den Gas- und Strompreis zu entkoppeln – ohne dabei die
EU als Ganzes anzugreifen wie Bardella. Wirtschaftsminister Robert Habeck
beispielsweise hat schon im Herbst gefordert, das Merit-Order-Prinzip aufzugeben
, um letztlich die niedrigen Preise
der erneuerbaren Energien an die Verbraucherinnen und Verbraucher weiterzugeben.

Frankreichs Rechtspopulisten ignorieren in ihrer Pauschalkritik an der EU auch stets, dass Frankreich aktuell nur deswegen ausreichend Strom
an seine Bürgerinnen und Bürger geben kann, weil es ihn aus den benachbarten
Staaten importiert, unter anderem auch aus Deutschland. Denn noch immer ist ein
Teil seiner Atomkraftwerke vom Netz, weil die alten Anlagen lange gewartet
werden müssen oder neuere sicherheitsrelevante Korrosionsprobleme aufweisen.
Deshalb trägt Frankreich mit seiner zu geringen Stromproduktion selbst dazu
bei, das europäische Angebot zu verknappen und damit die Preise nach oben zu
treiben
.

Die finanziellen Hilfen der Regierung haben die Gemüter der Bäcker und Bäckerinnen ohnehin nicht
beruhigt. Frédéric
Le Roy, der Bäcker aus Nizza, hat angekündigt, am 23. Januar in Paris mit einem
neu gegründeten Verein gegen die hohen Preise demonstrieren zu wollen. Seine
Worte sind, wie immer, harsch: Die Energiepreise seien eine “Zeitbombe”.
Abzuwarten, wer diese politisch entschärfen wird.