Innenministerin Esken? Eine unheilvolle Aussicht – aber keine realitätsferne

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Grundsätzlich sei es „keine schlechte Idee“, SPD-Vorsitz und Ministeramt zu trennen, befand Saskia Esken jüngst. In der Zeit der großen Koalition sei es zwar wichtig gewesen, dass sich ihre Partei als „eigenständige Kraft“ positioniert habe, sagte die SPD-Chefin dem „Spiegel“. Und auch heute finde sie Lars Klingbeil und sich als unabhängige Vorsitzende „ziemlich stark. Aber es mag Situationen geben, in denen man das anders beurteilt.“

Eine solche Situation könnte tatsächlich bald eintreten: falls Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) im Februar bekannt gibt, als Spitzenkandidatin bei der hessischen Landtagswahl im Herbst anzutreten. Die dann früher oder später notwendige Umbildung des Bundeskabinetts könnte Kanzler Olaf Scholz (SPD) zugleich nutzen, um seine fachlich überforderte und im Volk extrem unbeliebte Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) zu schassen.

Quelle: Infografik WELT

Als nächste Ressortchefin im Bendlerblock scheint Esken undenkbar – dafür hat die Sozialdemokratie unter ihrer Führung zu viel getan, um ihren einstigen Ruf als Soldatenpartei zu demontieren. So brachte die SPD-Spitze zu Zeiten der großen Koalition gemeinsam mit der Fraktionsführung um Rolf Mützenich viele Soldaten gegen sich auf – weil sie die Anschaffung bewaffneter Drohnen ablehnte und dagegen Revolte machte, dass in die Bundeswehr investiert und das Zwei-Prozent-Ziel der Nato erfüllt wird.

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Eher werden der Parteivorsitzenden ohnehin Ambitionen auf das Innenministerium nachgesagt. Auf die Frage des „Tagesspiegel“, ob sie gern Innenministerin wäre, befand Esken selbst: „Das ist auf jeden Fall eine spannende Aufgabe.“ Nun gibt es auch hier gewichtige Gründe, die dagegen sprechen. Sollte eine Frau oberste Dienstherrin der Bundespolizei werden, die vor rund zweieinhalb Jahren den Pauschalverdacht eines „latenten Rassismus in den Reihen der Sicherheitskräfte“ in den Raum gestellt hatte? Polizeivertreter waren empört; auch SPD-Minister in Bund und Ländern sahen sich damals zu einer Distanzierung gezwungen.

Zudem scheint Esken – wie Amtsinhaberin Faeser – ihren innenpolitischen Fokus vor allem auf den Rechtsextremismus zu legen. Beim Thema Islamismus bewies sie im Juli 2021 völlige Ahnungslosigkeit, als sie das Problem ausschließlich auf Terrorismus reduzierte und gefährliche legalistische Bestrebungen von Islamisten außer Acht ließ.

Kombo Frederik Schindler Saskia Esken
Meinung Saskia Esken

Auch steht Esken nicht im Verdacht, die Gefahr des Linksextremismus realistisch einzuschätzen und zu benennen. Nachdem etwa in der Silvesternacht 2019 ein Polizist im Leipziger Stadtteil Connewitz von linksradikalen Gewalttätern schwer verletzt worden war, hinterfragte sie die Einsatztaktik der Polizei. Und nachdem im Sommer 2020 das Büro ihres Berliner Parteikollegen Tom Schreiber mit Farbe, Blut und Kot beschmiert worden und der Abgeordnete als „Bullenknecht“ diffamiert worden war, fiel Esken dazu auf Twitter ein: „Was für eine sinnlose Tat und unpolitische Tat.“ Schreiber selbst sah in der „B.Z.“ „ganz klar“ Linksextremisten als Täter.

Irritationen löste zudem Eskens Bekenntnis aus, der Antifa anzugehören. Zwar war ihr Tweet mit dem Wortlaut „58 und Antifa. Selbstverständlich“ im Juni 2020 eine Reaktion darauf, dass der damalige US-Präsident Donald Trump die Antifa verbieten wollte.

Interview mit der SPD-Spitze im Juli 2020
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Saskia Esken

Esken dürfte aber bewusst gewesen sein, dass der Begriff Antifa hierzulande auch gewalttätige und vom Verfassungsschutz beobachtete Gruppen einschließt. Dass diese Politikerin künftig die innere Sicherheitspolitik des Landes maßgeblich bestimmen könnte, ist eine unheilvolle Aussicht.

Scholz und der selbst auferlegte Zwang zur Parität

Ginge es bei der Besetzung von Kabinettsposten nur um Qualifikation, könnte man dieses Szenario schnell beerdigen, denn es gibt geeigneteres SPD-Personal. Als Faeser-Nachfolger böte sich etwa Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius an. Und mit Eskens Co-Vorsitzendem Klingbeil könnte ein Politiker Verteidigungsminister werden, der eine starke Bindung zur Bundeswehr bewiesen hat.

Nun ist Qualifikation aber nicht das alleinige Entscheidungskriterium. Scholz legt Wert darauf, dass sein Kabinett paritätisch besetzt ist, also zu gleichen Teilen aus Frauen und Männern besteht. Scheiden Faeser und Lambrecht aus, kommen zwei Frauen zum Zug. Und um den Frieden innerhalb seiner SPD zu wahren, müsste Scholz dabei den linken Parteiflügel berücksichtigen – dem beide der möglicherweise bald scheidenden Ministerinnen angehören. Auch das macht eine Ernennung Eskens wahrscheinlicher, als es auf den ersten Blick scheinen mag. Die personellen Alternativen drängen sich nicht auf. Und Scholz selbst hatte Esken einmal „selbstverständlich“ für ministrabel erklärt.

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Eine Qualifikation brächte Esken in der Tat mit: eine gewisse Führungsstärke. Dass der linke Flügel nicht längst gegen den Kurs des Kanzlers aufbegehrt, ihn überhaupt als Kanzlerkandidat gekürt hatte, geht auch auf ihr Betreiben zurück. Dass sie mehr oder weniger offen mit einem Ministeramt kokettiert, ist auch als Zeichen ans eigene Lager zu verstehen: Sie signalisiert damit, dass die Parteilinke im Fall eines Kabinettsumbaus keinen Nachteil zu befürchten habe.

Eine Bundesinnenministerin von der Antifa? In Deutschland scheint 2023 vieles möglich.

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Source: welt.de