Kunsthistoriker Hans Belting tot: Der Körper als Hort der Bilder

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Aby Warburg, Doyen der modernen Kulturwissenschaft, verspottete einst die hinderlich engen Demarkationslinien zwischen den Disziplinen als „ästhetische Grenzpolizei”. Ganz nach Warburgs Geschmack war der Kunsthistoriker Hans Belting, geboren 1935 im permeablen Dreiländereck-Römerstädtchen Andernach, ein lebenslang lustvoller Grenzüberschreiter, ein Agent Provocateur im Auftrag des Bildes und seines immer rückwirkenden Einflusses auf dessen Erzeuger.

Auch deshalb kannte und bewunderte man ihn nicht nur in vielen unterschiedlichen Disziplinen; und ein erstaunlich breites Publikum blieb über Jahrzehnte hinweg stets gut unterrichtet über seine durchgängig aufsehenerregenden Fachpublikationen genauso wie über sein großes Faible für den bildersatten Film und hier insbesondere die zeitweise intensive Beschäftigung mit dem Regisseur Peter Greenaway und auch über seine Projekte im 1989 gegründeten Karlsruher Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM), das er mit anderen aus der Taufe gehoben und in kürzester Zeit zu einem weltweit respektierten Innovationslabor gemacht hatte. In den Handbibliotheken zeitgenössischer Künstler in den Vereinigten Staaten wie in der Alten Welt wird man beinahe immer zwei Bücher finden: David Sylvesters Gespräche mit Francis Bacon. Und eben Beltings Opus magnum „Bild und Kult“.

Von den Anfängen und seiner Ausbildung her aber war er ein Mann des Mittelalters. Er hat 1959 auf diesem Gebiet in Mainz promoviert („Die Basilica dei SS. Martiri in Cimitile und ihr frühmittelalterlicher Freskenzyklus“ mit Bildern über gemalten Tüchern, einem sogenannten Sockelvelum, die er furchtlos hundert Jahre später datierte als alle Forscher zuvor), habilitierte sich mit „Studien zur beneventanischen Malerei” (also Malerei Süditaliens der Langobarden-Ära), war dann Harvard-Fellow im amerikanischen Byzantinistik-Forschungszentrum Dumbarton Oaks in Washington, wurde Dozent in Hamburg, wo er die noch heute überragende Abteilung für byzantinische Kunst aufbaute, bevor er in Heidelberg Professor wurde (später auch Gastprofessor des „Vatikans der Kunstgeschichte“, der Bibliotheca Hertziana in Rom) und während der bewegten Jahre von 1970 bis 1980 dort seine Methodik soweit schärfte, dass sie aus sich heraus etwa auch die Allzeitproblematik der Bild-Text-Relation bewältigen half, wie sie sich beispielhaft in dem gemeinsamen mit Dieter Blume herausgegebenen, unverändert lesenswerten Sammelband „Malerei und Stadtkultur in der Dantezeit“ oder in dem mit Dagmar Eichberger verfassten „Jan van Eyck als Erzähler“ niedergeschlagen hat, Panofskys Quellenarbeit weiterdenkend.

Dieses Gebiet der byzantinischen und westlichen Kunst eines weit gefassten, tief in die Neuzeit reichenden „Mittelalters“ hat Belting nie verlassen; sein Werk über den „Garten der Lüste“ von Hieronymus Bosch zeugt ebenso davon wie sein Versuch einer Perspektiv-Schubumkehr in „Florenz und Bagdad. Eine westöstliche Geschichte des Blicks” und alle Beschäftigung mit Modernen wie Beckmann, Duchamp, Struth, Sugimoto und Wall, die in letzter Konsequenz in der fließenden Übergangszone von Spätantike und Frühmittelalter wurzeln.

Über den Dutzenden von Beltings Büchern sollte jedoch ein Artikel nicht vergessen werden, der früh eine ketzerische Frage stellt, die in seinen folgenden Publikationen ausgeführt werden würde: In den nur wenigen Seiten Text von „Kunst oder Objekt-Stil?” räsoniert er über Kategorien einer Distinktion zwischen kunstvoll dekorierten Gebrauchs- und Kultgegenständen und möglichen „autonomen“ Kunstwerken im Mittelalter.

Sein „Bild und Kult“ ist eine Bibel in der Alten und Neuen Welt

Magistral blieb aber stets sein „Bild und Kult“ von 1990, das die seit Ernst von Dobschütz’ Buch „Christusbilder“ von 1899 umfassendste Studie des Bildkultes im Christentum darstellt. Was Belting unverwechselbar machte, war sein auch andere anspornender Unwillen, einen Gegenstand ohne scharfe und überraschende Thesenbildung darzustellen; im Fall von „Bild und Kult” war es die Pointierung der Erkenntnis, dass die Erfindung der „Kunst“ ein Phänomen der Moderne sei, vor dem man die Betrachtung der mittelalterlichen Kunst gewissermaßen in Schutz zu nehmen habe.

Diese beschützende Unterscheidung hat er seither zu einzigartiger Perfektion getrieben. Sein in München, wohin er 1980 berufen wurde, vorgelegtes Buch über „Das Ende der Kunstgeschichte“ (die erste Auflage mit, die zweite ohne Fragezeichen) war ironischerweise seine in Buchform gegossene dortige Antrittsvorlesung und prangt bis heute wie ein Menetekel an der Wand des Faches. Das „Ende“ ist hier aber nicht als Abgesang, sondern im Hegelschen Sinn als eine Befreiung aus Zwängen, als „Ausrahmung“ der Felder und Methoden gemeint.

Es konnte vor diesem Hintergrund keinen besseren Fachvertreter geben als Belting, um am neugegründeten ZKM Karlsruhe die Kunstgeschichte zu verkörpern. Und wohl niemand anders als ein Byzantinist konnte sich derart feinnervig einlassen auf alle neuen Formen einer technoiden Idolatrie, wie sie im Euphorietaumel der digitalisierungsseligen Neunziger dringlich zu hinterfragen waren. Zahlreiche Bücher, von denen etwa „Das Unsichtbare Meisterwerk“ von 1998 diese Impulse aufnahm und zugleich relativierte, weshalb es als eine Art Einlösung der in „Das Ende der Kunstgeschichte“ gegebenen Versprechungen gelten kann, zeugen vom permanenten Innovationsgeprassel jener Zeit, dem sich Belting ausgesetzt, das er aber auch souverän durchdrungen hat.

Wie sieht die Fruchtfliege in die Welt? Hans Belting im Gespräch mit einem anderen Ordensmitglied des „Pour le mérite“, der Biologin und Nobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-Volhard.

Wie sieht die Fruchtfliege in die Welt? Hans Belting im Gespräch mit einem anderen Ordensmitglied des „Pour le mérite“, der Biologin und Nobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-Volhard. : Bild: Archiv des Orden Pour le mérite

Gerade auch in den medial ungleich stärker geprägten USA gehörte Beltings „Bild-Anthropologie“ von 2000 über Jahre hinweg zu den meistdiskutierten Werken. Mit seinem Versuch einer Anthropologie der Medien wie auch des Körpers hat er in diesem Werk die vielleicht tiefgreifendste Revision von „Understanding Media“ des kanadischen Kommunikationstheoretikers Marshall McLuhans vollzogen. Beltings Beschreibung und Auffassung von Bildern waren indes schon vorher immer körperlich-anthropologisch, was naturgemäß auch den Tod einschließt. Auch sein Buch „Faces. Eine Geschichte des Gesichts“ von 2013 bildet hierin keine Ausnahme, denn Belting zufolge erstarrt das Gesicht im Bild zur Maske, gegen die das lebendige Gesicht als Antagonist auftritt. Zu Hochzeiten der Selfie-Manie entstanden, hat dann auch die Kulturwissenschaft direkt auf das Buch reagiert.

Die Liste von Beltings Auszeichnungen ist ehrfurchteinflößend. Eine ihm persönlich wichtige Ehre war die Aufnahme in den Orden Pour le Mérite 1999 sowie der „Europäische Lehrstuhl” des College de France in Paris, den er von 2002 bis 2003 als damals schon Emeritierter bekleidete und in dessen Rahmen er eine Vorlesung über die „Geschichte des Blicks” hielt, abermals eine Anthropologie. Auch die Leitung des Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften in Wien (2004-2007) – obschon nur konsequent – war ihm wichtig, gehört er doch mit Gottfried Boehm und Horst Bredekamp zu den Protagonisten einer für die Existenzbedingungen menschengemachter Bilder sensiblen Bildwissenschaft, die so immer auch zugleich Kulturwissenschaft ist. Nun ist dieser Ergründer der Bilder vom Menschen, dessen Forschung wirklich jeden etwas lehren kann, in der Nacht auf Dienstag im Alter von 87 Jahren gestorben.

Source: faz.net