Warum die Inflation in Amerika stärker fällt als im Euroraum

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Im Euroraum sind die Inflationserwartungen von Verbrauchern laut einer Umfrage der Europäischen Zentralbank (EZB) gesunken. Im November erwarteten die Befragten auf Sicht von zwölf Monaten eine Inflationsrate von 5 Prozent, wie die EZB am Donnerstag mitteilte. Im Monat davor hatte die Erwartung noch bei 5,4 Prozent gelegen.

„Für eine Entwarnung ist es aber zu früh“, kommentierte Jörg Krämer, der Chefvolkswirt der Commerzbank: „Die Erwartungen liegen noch immer deutlich über 2 Prozent.“ Die EZB selbst rechnet laut ihrem am Donnerstag veröffentlichten Wirtschaftsbericht für das laufende Jahr mit durchschnittlich 6,3 Prozent Inflation, nach 8,4 Prozent im vergangenen Jahr.

Bemerkenswert dabei: Während in den Vereinigten Staaten die Inflationsrate im Dezember auf 6,5 Prozent gesunken ist, wie am Donnerstag bekanntgegeben wurde, lag sie im Euroraum immerhin noch bei 9,2 Prozent. Das war zwar auch ein Rückgang – aber längst noch nicht auf vergleichbare Werte.

Unterschiedliche Ursachen der Inflation

Ausführlich widmet sich die EZB in ihrem Wirtschaftsbericht den Unterschieden der Inflationsentwicklung in den Vereinigten Staaten und dem Euroraum. Auffällig ist dabei eine jüngere Entwicklung: Im Euroraum ist der Beitrag der Nachfrage zur Kerninflation – das ist die Teuerung ohne stark schwankende Preise wie die für Energie und Lebensmittel – nun seit ein paar Monaten höher als der des Angebots.

Das ist deshalb bemerkenswert, weil lange Zeit die Inflation im Euroraum, anders als die in Amerika, als ganz überwiegend angebotsgetrieben galt. „Im Einklang mit der schwächeren Erholung im vergangenen Jahr gewann die Nachfrage als treibende Kraft für die Kerninflation im Euroraum auch entsprechend langsamer und später an Bedeutung als in den Vereinigten Staaten“, heißt es in dem Bericht.

Die Inflationsrate in Amerika war früher angestiegen als im Euroraum, bis auf 9,1 Prozent im Juni vergangenen Jahres – war dann aber auch schneller wieder gesunken, bis auf 6,5 Prozent im Dezember. Im Euroraum war die Inflation noch bis Oktober vorigen Jahres gestiegen bis auf 10,6 Prozent, bevor sie im November und Dezember leicht zurückging auf zuletzt 9,2 Prozent.

„Die Inflationsdynamik setzte in den USA zwar früher ein, doch werden im Eurogebiet seit Juli 2022 höhere Werte ausgewiesen“, heißt es in dem Bericht.

Im Euroraum hätten dabei vor allem Energie- und Nahrungsmittelpreise stärker zum Inflationsanstieg beigetragen als in Amerika: Allein die Verteuerung von Energie machte im November im Euroraum 38 Prozent des Preisauftriebs aus – in den Vereinigten Staaten lediglich 14 Prozent.

Dabei kam den Amerikanern lange zugute, dass der Euro schwach und der Dollar stark war. Das trieb die Preise importierter Güter wie Energie im Euroraum stärker als in den Vereinigten Staaten. Der Bericht spricht von Wechselkurs- und „Terms of Trade“-Effekten“. Die Entwicklung der Wechselkurse hat sich mittlerweile aber zum Teil umgekehrt.

Unterschiedlich betroffen vom Ukrainekrieg

„Ein wesentlicher Grund für den stärkeren Anstieg der Energiepreise in den Euroländern sind die deutlich höheren Erdgaspreise“, heißt es in dem Bericht. Diese seien unter anderem eine Folge der hohen Bedeutung, die russische Gaslieferungen vor dem Krieg gegen die Ukraine für das Eurogebiet gehabt hätten.

Die Kerninflation, also die Teuerung ohne Energie und Nahrungsmittel, habe im Euroraum im November bei 5 Prozent gelegen, in den Vereinigten Staaten (mit etwas anderen Messmethoden) noch bei 6 Prozent. Allerdings habe sich diese Rate im Euroraum im November seitwärts bewegt, während sie in Amerika leicht rückläufig gewesen sei. Im Dezember fiel sie in den Vereinigten Staaten sogar von 6 auf 5,7 Prozent – im Euroraum dagegen stieg sie von 5 auf 5,2 Prozent.

EZB-Präsidentin Christine Lagarde hatte die Unterschiede unlängst so beschrieben: Erstens sei in Europa die Energie der Kerntreiber der Inflation. Die Preise für Strom, Gas und Kraftstoff machten im Euroraum 60 Prozent der Inflationstreiber aus. „In Amerika ist es die Hälfte davon.“ Zweitens seien die Löhne in Amerika deutlich stärker gestiegen. Der Lohnanstieg liege dort bei 5 bis 7 Prozent, im Euroraum hätten die Tariflöhne bislang weniger zugelegt. Auch hinsichtlich der Frage, ob die Inflation eher vom Angebot oder der Nachfrage getrieben werde, gebe es Unterschiede. „Unsere Inflation ist stark angebotsgetrieben“, sagte Lagarde. Angebotsengpässe und Störungen der Lieferketten hätten die Preise steigen lassen. „In Amerika ist die Inflation stärker nachfragegetrieben.“

Das könnte Konsequenzen haben für die Frage, wie schnell die Inflation wieder zurückgeht. „In den Vereinigten Staaten befinden wir uns in einem zyklischen Abschwung, also einem klassischen Zyklus, in dem jetzt die Nachfrage nachlässt“, sagt der Ökonom Cyrus de la Rubia von der Hamburg Commercial Bank. „In Europa ist es vor allem ein durch Angebotsschocks – Lieferketten, Verfügbarkeit von Rohstoffen – ausgelöster Abschwung.“ Das treibe die Preise, beziehungsweise es dauere länger, bis sie zurückgingen.

Unterschiede in der Geldpolitik

Der Ökonom Volker Wieland hatte allerdings auch schon die Möglichkeit ins Spiel gebracht, dass das frühere Eingreifen der amerikanischen Notenbank Fed im Vergleich zur EZB dazu beigetragen haben könnte, dass dort die Inflation auch schon schneller wieder sinkt. Dies könnte bereits Auswirkungen auf die Inflationserwartungen gehabt haben.

Für die Zukunft wird im EZB-Wirtschaftsbericht irgendwann mit einer Umkehrung der Verhältnisse gerechnet: Kurzfristig werde die Inflation im Euroraum zwar auf einem höheren Niveau bleiben als in den Vereinigten Staaten, da die Euroländer stärker von den Energiepreisschocks im Zusammenhang mit dem Ukrainekrieg betroffen seien.

Professionelle Prognostiker gingen aber davon aus, dass die Inflationsrate in zwei Jahren in den Vereinigten Staaten womöglich sogar etwas höher ausfallen könnte als im Euroraum.

Source: faz.net