Architekt Ole Scheeren im ZKM Karlsruhe

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Es ist lange her, dass Rem Koolhaas den Wettbewerb für die Gestaltung des neuen Zentrums für Kunst und Medien (ZKM) in Karlsruhe gewann. 1989 war das, drei Jahre später wurden die aufsehenerregenden Planungen für Koolhaas’ kühnen Kubus aufgegeben. Es fiel die Entscheidung, stattdessen die Munitionsfabriken von 1918 im Zentrum der Stadt für das Kunstzentrum herzurichten, was dann nach Plänen von Schweger + Partner geschah. Das war im Hinblick auf Nachnutzung zwar sinnvoll und wirkt aus heutiger Sicht überaus klug, hinterließ damals in der Stadt aber das Gefühl, um einen Coup, um den Bau eines international gefeierten Stararchitekten betrogen worden zu sein.

So ist es eine hübsche Pointe, dass jetzt in den großen Fabrikhallen eine Einzelausstellung zu einem der produktivsten Schüler von Koolhaas gezeigt wird, dem 1971 in Karlsruhe geborenen Architekten Ole Scheeren. Er gehört zu jenen ehemaligen Mitarbeitern von Kohlhaas wie Winy Maas, Bjarke Ingels, Ma Yansong, Joshua Prince-Ramus und Shohei Shigematsu, die die Architekturkonzepte des Niederländers unter eigenem Namen bis in die letzten Winkel der Welt tragen.

Während Scheeren in Ostasien große Hochhäuser entwarf, die auch gebaut wurden, ist er in Deutschland außerhalb von Fachkreisen wenig bekannt. Seit Jahren erkennbar bemüht, auch in der alten Heimat zu reüssieren (etwa mit seinem Beitrag zum Wettbewerb für den Springer-Verlag in Berlin), bleibt ihm die Erfüllung in Form eines vollendeten Großbaus bisher verwehrt. Die Karlsruher Ausstellung soll offenbar dazu beitragen, das zu ändern. Sie bietet „dem skulpturalen Charakter seiner Bauten eine Bühne“, wie es in der Presseerklärung heißt. In der Tat: Große Modelle, riesige Fotoposterwände und eine lange Zeitleiste des Œuvres sind durchgehend schick und prägnant gestaltet. Die Objekte in der Ausstellung wie in der Realität folgen dem „Größer ist besser“-Mantra. Bunte Diagramme, ein wesentliches Element jedes Entwurfs in der Koolhaas-Schule, sollen die Erklärungstafeln für die Gebäudekonzepte aufpeppen. Hundert 3-D-gedruckte Modelle sind entlang einer 42 Meter langen Achse aufgereiht. Der olympische Geist von „Ich habe in nur x Jahren x Tausend Quadratmeter Geschossfläche entworfen“ wirkt jedoch seltsam altmodisch, wie aus der Zeit gefallen.

Ole Scheerens Projekt „Empire City“ für Ho-Chi-Minh-Stadt

Ole Scheerens Projekt „Empire City“ für Ho-Chi-Minh-Stadt : Bild: Buro-OS

Scheerens Schlüsselprojekte wie die CCTV-Zentrale in Peking und die Em­pire City Towers in Ho-Chi-Minh-Stadt werden in der ZKM-Ausstellung wie riesige Totempfähle ausgestellt – als Großskulpturen ohne urbanen Kontext. Bauherren in kommunistischen Ländern wie China und Vietnam sind besonders begierig auf Scheerens Türme. Gute Grundrisse und angenehme Innenräume sind für die Auftraggeber offenbar nebensächlich: Am wichtigsten ist eine atemberaubende Form des Gebäudes und dessen sofortige Wiedererkennbarkeit. Die Zeiten haben sich allerdings geändert, der chinesische Präsident Xi Jinping verbot 2018 kurzerhand „seltsame Architektur“. Scheerens Architektur droht der Bannstrahl.

In einem Interview beschrieb Scheeren selbst die Auswirkungen der Zeitenwende auf seine Arbeit: „Ich gehöre einer Generation an, die Chancen in der globalen Vernetzung sah. Ich habe in zehn Ländern gelebt. Eine Zeit lang habe ich nirgendwo gewohnt, ich bin zwischen den Kulturen hin und her gereist. Der Gedanke der Vernetzung stand im Vordergrund. Wir hatten 25 Nationalitäten in meinem Büro. Aber jetzt leben wir in einer Zeit der Re-Nationalisierung, die die Dinge umkehrt.“

Scheerens berühmtestes Gebäude, das „Interlace“, vor zehn Jahren in Singapur fertiggestellt, illustriert die Gradlinigkeit des Architekten. Hier hat jemand keine Angst gehabt, er könne Fehler wiederholen, die in den Sechzigerjahren im Massenwohnungsbau begangen wurden. Die Wohnriegel hat er so geschickt gestapelt, dass vielfältige Dachgärten und Höfe entstehen, in denen sich die Bewohner ungezwungen treffen können.

Scheerens jüngere Projekte hingegen scheinen eher dem Geschmack der Nouveau Riche und der Nachfrage auf den Luxus-Immobilienmärkten in Schwellenländern zu entsprechen. „Wir brauchen das Spektakel“, sagt Scheeren in entwaffnender Schlichtheit. Drei Schlüsselprojekte – der Maha-Nakhon Tower in Bangkok, die DUO Tower in Singapur und das Guardian Kunstzentrum in Peking – wurden allesamt 2018 fertiggestellt. Damit könnte aber auch der Höhe- und Wendepunkt in Scheerens Karriere erreicht sein. Nicht nur der chinesische Präsident äußert sich skeptisch zu ausgefallener Architektur. Groß ist auch in Teilen der westlichen Welt die Abneigung gegenüber großen, ausgefallenen und voll klimatisierten Betontürmen, egal wie verdreht sie sind. Scheeren ficht das bisher offenbar wenig an. Er interpretiert seine Architektur als „Bühne, auf der sich das Leben entfaltet“. Er möchte, dass seine Gebäude über die reine Funktionalität hinaus „Vorstellungskraft, Fantasie und Emotionen“ befördern. Sein Motto lautet „form follows fiction“, ein durch und durch postmoderner Satz. Womöglich ist Scheeren seiner Zeit aber auch voraus, wenn er für „soziale Nachhaltigkeit“ anstatt für Holz-Hochhäuser plädiert: „Ressourcen auf dem Papier einzusparen hilft nichts, wenn wir Gebäude bauen, in denen Menschen nicht langfristig gern leben und arbeiten wollen“, sagt er.

Die Schau im ZKM ist Scheerens erste große Einzelausstellung. Leider wird nicht in jedem Fall klar, welche Teile welcher Entwürfe überwiegend OMA (dem ehemaligen Arbeitgeber von Scheeren) zuzuschreiben sind (oder dem genialen Ingenieur Cecil Balmond) und welche Scheeren unabhängig entworfen hat. Scheeren hat sein Büro mit Niederlassungen in Hongkong, Peking, Berlin und London erst 2010 gegründet. Das ebenfalls während Scheerens Zeit als „Direktor für asiatische Projekte“ bei OMA in Rotterdam entworfene Taipeh Performing Arts Center wird in der Ausstellung beispielsweise kaum erwähnt.

In seiner deutschen Heimat sollte Scheeren ein Bürogebäude aus dem Jahr 1977 in Frankfurt zu Luxuswohnungen umbauen. Für den ehemaligen Union- Investment-Tower hat er große Balkone und neue Penthouse-Geschosse entworfen. Aber das Projekt „Riverpark Tower“ ist verkauft, längst soll ein anderer Architekt beauftragt sein. Die Ausstellung erwähnt das nicht.

Ole Scheeren: Spaces of Life. Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe, bis 4. Juni. Kein Katalog.

Das von Ole Scheeren entworfene Hochhaus „Maha Nakhon“ ist mit seinen siebenundsiebzig Stockwerken das höchste Gebäude Thailands.

Das von Ole Scheeren entworfene Hochhaus „Maha Nakhon“ ist mit seinen siebenundsiebzig Stockwerken das höchste Gebäude Thailands. : Bild: dpa

Source: faz.net