Erst angeheuerte Söldner, jetzt Maler: Eine Ausstellung in Prigoschins Petersburger Wagner-Zentrum

Get real time updates directly on you device, subscribe now.

Am 20. Januar wurde in Sankt Petersburg eine Ausstellung von Gemälden von Alexej Tschischow mit dem vielsagenden Titel „Die neue Ordnung“ eröffnet. Das Faszinierendste war dabei der ungewöhnliche Ausstellungsort. Tschischows Bilder werden im neuen Wagner-Zentrum gezeigt. Der am Stadtrand von Petersburg errichtete Bürokomplex wurde im vorigen November fertiggestellt. Er gehört Jewgenij Prigoschin, dem notorischen „Koch Putins“, einem Caterer und Gründer von drei Unternehmen – Troll-Farmen, die der Einmischung in die amerikanischen Wahlen beschuldigt und von der US-Regierung sanktioniert wurden. Seine größte Berühmtheit erlangte er je­doch durch ein privates Militärunternehmen, die soge­nannte Wagner-Gruppe.

Die Idee, die Söldnergruppe nach dem deutschen Komponisten zu benennen, stammt von Dmitrij Utkin, einem pensionierten Offizier der Spezialeinheiten des Hauptnachrichtendienstes (GRU) der russischen Armee und dem ersten Feldkommandeur der Prigoschin-Legionäre. Utkin bewundert nicht nur die deutsche klassische Musik, er ist auch ein Anhänger des Dritten Reiches. Vor dem Beginn des vollumfänglichen russischen Kriegs gegen die Ukraine kämpfte die Wagner-Gruppe in Syrien, im Donbass und in afrikanischen Ländern wie der Zentralafrikanischen Republik und Mali.

Seit dem Beginn der Aggression verwandelte sie sich in eine Privatarmee mit Dutzenden verurteilter Krimineller, die aus russischen Gefängnissen abgeworben wurden. Obwohl die Taten der Wagner-Gruppe international bekannt waren, lebten die Söldner bis vor Kurzem in einem rechtlichen Schwebezustand. Nach russischem Recht sind Söldneraktivitäten verboten. Sie werden mit Freiheitsentzug bestraft. Prigoschin hat mehrfach bestritten, dass die Gruppe mit ihm in Verbindung steht. Das private Militärunternehmen war nicht registriert und existierte de facto, aber nicht de iure.

Wahnsinn der Wachsamkeit

Heute hat sich die Situation geändert – das neu gegründete Wagner-Zentrum wurde am 27. Dezember offiziell als Gesellschaft mit beschränkter Haftung registriert, deren Tätigkeitsbereiche von der Buchveröffentlichung bis zur militärischen Grundausbildung „zur Steigerung der Verteidigungsfähigkeit Russlands“ reichen. Zum Direktor des neuen Zentrums wurde Alexej Tensin, ehemals Manager des Rüstungskonzerns Kalaschnikow, ernannt.

Aus Alexej Tschischows Serie „New Order“ Bilderstrecke

„Die neue Ordnung“ : Bilder Alexej Tschischow aus dem Wagner-Zentrum in Sankt Petersburg

Überraschenderweise hat nun auch die zeitgenössische Kunst die Aufmerksamkeit der Söldner auf sich gezogen. Es ist schwer zu sagen, ob man so „die Verteidigungsfähigkeit Russlands erhöhen“ kann, aber zweifellos entspricht es dem allgemeinen Trend der Wagner-Gruppe. Alexander Montlewitsch, der Kurator der Ausstellung, die „der dunklen Seite der amerikanischen Globalisierung“ gewidmet ist, begründete die Wahl des Ausstellungsortes mit der Möglichkeit „des Widerstands gegen neokoloniale Paradigmen außerhalb der traditionellen Kunstinstitutionen“. Montlewitsch, Dozent für Philosophie an der Vaganova Ballettakademie und Gründer der „Shift School of Contemporary Art“, ist Autor des nebulösen Traktats „Wahnsinn der Wachsamkeit. Spekulativer Realismus und bewusstes Träumen“.

Die Ausstellung der Werke von Alexej Tschischow ist sein erstes kuratorisches Projekt. Montlewitsch unterstützt den russischen Krieg gegen die Ukraine, aber diese Unterstützung hat etwas Seltsames an sich. Sein Facebook-Profil ist mit dem Buchstaben Z (der oft als „russische Halb-Swastika“ bezeichnet wird) in den Farben der LGBT-Regenbogenflagge geschmückt. Eine solche Demonstration von Hurrapatriotismus in einem Land, in dem „Schwulenpropaganda“ als Straftat verfolgt wird, erscheint wie ein Widerspruch in sich.

Kunst als zynische Parodie

Nicht weniger seltsam ist die Wahl des Künstlers, der oft homoerotische Gemälde mit Gruppen nackter junger Männer geschaffen hat. Im Wagner-Zentrum stellte Tschischow Gemälde aus, auf denen amerikanische Soldaten in Mohnfeldern, umgeben von Opium fressenden Papageien, zu sehen waren. Zur Erläuterung seiner Werke sagte der Künstler: „In der Serie ,Neue Ordnung‘ habe ich versucht, dem traditionellen dystopischen Pathos folgend, eine allgemeine Metapher moderner Geopolitik darzustellen. Hier symbolisiert der Schlafmohn (in Anspielung auf die alten Opiumkriege und die ererbten modernen neokolonialen Praktiken) die Präsenz einer herrschenden Ideologie (vom autoritären bis zum neoliberalen Konsum), die in Analogie zu Marx stets die Massen betäubt und in Schlaf versetzt.“

Tschischow ist Absolvent der Kunstakademie und wird oft als Neo-Akademiker bezeichnet. In Sankt Petersburg ist er auch als „Watnik“ bekannt (ein Pejorativ, das in Russland für Anhänger von Putins Propaganda verwendet wird). Die Ausstellung im Wagner-Zentrum wirkt wie eine zynische Parodie.

Die zweideutigen Erklärungen des Malers und des Kurators zur Bedeutung der Bilder, die sich eines zeitgenössischen „Kunst“-Jargons bedienen und sich auf Philosophen wie Slavoj Žižek berufen, erhöhen nur noch die Absurdität des Unterfangens. Warum sich die Wagner-Gruppe entschieden hat, kitschige Hochglanzbilder mit postmodernem Touch anstelle realistischer patriotischer Pastiches auszustellen, bleibt unklar. Es sieht so aus, als wolle Prigoschin nicht nur auf dem Schlachtfeld im Donbass ein Monopol haben und mit den offiziellen russischen Streitkräften konkurrieren. Auch das Feld der Kultur verlockt ihn.

Die Schau im Wagner-Zentrum zeigt auch, dass die neue russische Hurra-Kultur nicht nur eingefleischte Konservative an­zieht, die sich teils der Kulturfront anschlossen, sondern auch junge „Dekadente“, die mit der Kritischen Theorie spielen. Die Parade der „bewussten Träumer“, besser gesagt der Schlafwandler, hat erst begonnen.

Aus dem Englischen von Stefan Trinks.

Source: faz.net