Frühlingsfest in China: Die Toten sieht man nicht

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Die Betten in der Fieberklinik von Puxian sind leer. Vor dem Eingang stehen mehrere Krankenwagen ungenutzt in der Sonne. Auf dem Flur unterhalten sich drei Krankenschwestern. Sie wirken entspannt. Vor zwei Tagen seien zwanzig Corona-Patienten auf einmal entlassen worden, erzählen sie. Die Patienten seien „fast genesen“ gewesen. Die übrigen seien auf andere Abteilungen des kleinen Ortskrankenhauses verteilt worden.

Friederike Böge

Politische Korrespondentin für China, Nordkorea und die Mongolei.

In Pu­xian, einem ländlichen Bezirk der Provinz Shanxi im Nordosten Chinas, scheint das Virus seinen Schrecken verloren zu haben. Zumindest für jene, die keine Angehörigen verloren haben. Kaum etwas hier erinnert noch an die angespannte Lage von Ende Dezember, als das Krankenhaus innerhalb weniger Tage von Corona-Patienten überrannt wurde. „Es waren so viele, dass ich jeden nur zwei bis drei Minuten behandeln konnte“, sagt eine Ärztin.

Im größten Hotel von Puxian ist Ähnliches zu hören. „Wir hatten hier alle schon Corona“, sagt die Frau an der Rezeption. Tagelang seien die Straßen menschenleer gewesen. Aber jetzt seien alle wieder aus ihren Häusern gekommen. Zumindest in Puxian scheint sich die Erwartung, dass sich Corona erst mit der großen Reisewelle zum Frühlingsfest in Chinas ländlichen Gebieten verbreiten würde, nicht zu bestätigen. Das Fest beginnt an diesem Samstag. Das Virus aber ist hier in der vom Kohlebergbau geprägten Region schon vorher durchgerauscht. Gleich nach dem abrupten Ende der Null-Covid-Politik am 7. Dezember sei es losgegangen, sagt die Rezeptionistin im Liangshi-Hotel. Das spricht einmal mehr dafür, dass die Lage längst außer Kontrolle war, als die chinesische Führung vor gut sechs Wochen über Nacht alle Präventionsmaßnahmen einstellte.

Das Jahr des Hasen beginnt

Die leeren Betten in Puxian scheinen die Propaganda der chinesischen Führung zu bestätigen. Der Höhepunkt der Corona-Welle sei überwunden. Die Zahl der schwer Erkrankten sei zwischen dem 5. und 17. Januar landesweit um mehr als 40 Prozent zurückgegangen, gab die nationale Gesundheitskommission am Donnerstag bekannt. Kurz vor dem chinesischen Neujahr soll Optimismus verbreitet werden. Am Sonntag beginnt das Jahr des Hasen. In einer Videobotschaft zum Frühlingsfest beschwor Staats- und Parteichef Xi Jinping ein „Licht der Hoffnung“ am Ende des Tunnels.

Überfüllt: Covid-Betten im Krankenhaus von Jinghong am 9. Januar

Überfüllt: Covid-Betten im Krankenhaus von Jinghong am 9. Januar : Bild: AFP

Vielleicht wurde in Puxian ein bisschen nachgeholfen, um die Zahlen zu liefern, die Peking verkünden wollte. Stutzig macht jedenfalls die Aussage der Krankenschwester, „fast genesene“ Patienten seien auf einen Schlag entlassen worden. Auch die Verlegung von Patienten aus der Fieberklinik in andere Abteilungen könnte auf Zahlenkosmetik hindeuten. Chinesische Kader arbeiten mit Zielvorgaben, an die die Realität zur Not angepasst werden muss. Eine Funktionärin der Bezirksverwaltung war am Dienstag zu Besuch. Sie brachte eingeschweißtes Rindfleisch für das medizinische Personal, sprach von einem schwierigen Jahr, dankte für die harte Arbeit und rauschte in ihrer schwarzen Limousine wieder ab. Am Eingang verkündete ein Poster: „Das Herz des medizinischen Personals schlägt für die Partei.“

Auch in der Kreishauptstadt Linfen, eineinhalb Busstunden von Puxian entfernt, bietet sich ein Bild der Entspannung. Die Fahrt führt durch eine zerklüftete Landschaft, vorbei an Kohleminen und Xi-Jinping-Zitaten, die in großen roten Buchstaben an die Berghänge montiert sind. Eines handelt von grünen Bergen und blauen Flüssen – ein Traum, der sich noch nicht erfüllt hat. Jahrelang belegte Linfen in der Liste der Städte mit der höchsten Luftverschmutzung den ersten Rang.

Corona in geringere Gefahrenkategorie herabgestuft

Auf dem Parkplatz des 1800-Betten-Krankenhauses von Linfen stehen sechs Krankenwagen bereit. Bis Dezember hatte hier, wie überall in China, niemand Zutritt ohne negativen PCR-Test. Selbst dann nicht, wenn er einen Herzinfarkt erlitten hatte. Inzwischen kann man ungehindert in die Notaufnahme laufen. In einem Raum liegen zwölf Patienten. Laut einer Tabelle auf dem Computerbildschirm eines Arztes sind sie zwischen 76 und 85 Jahren alt. Bei sechs von ihnen wurde Corona diagnostiziert. Sie von anderen Kranken zu isolieren hält man hier nicht mehr für nötig, seit China das Coronavirus in eine geringere Gefahrenkategorie herabgestuft hat. „Mein Vater hatte kein Problem, ein Bett zu bekommen“, sagt einer der Angehörigen, die um die Betten herumstehen.

Sehnsucht nach Normalität: Blumenmarkt in Hongkong

Sehnsucht nach Normalität: Blumenmarkt in Hongkong : Bild: EPA

Noch vor zwei Wochen war das anders. „Der Raum war so voll mit Patienten, dass es für uns medizinisches Personal kein Durchkommen gab“, erzählt eine Krankenschwester. Jetzt, da die erste Welle ihren Höhepunkt überschritten hat, berichtet sogar der lokale Staatssender darüber, dass das gesamte medizinische Personal von Linfen infiziert worden sei. „In der schwierigsten Phase wurde einer nach dem anderen krank, bis ein Zeitpunkt erreicht war, an dem niemand mehr zur Verfügung stand“, sagt der Leiter der Notaufnahme, Mao Chongtao, dem Sender. Er selbst sei so überarbeitet gewesen, dass er 14 Tage am Stück positiv getestet worden sei.

Das passt zum offiziellen Bild von den heldenhaft gemeisterten Mühen der Vergangenheit, die nun überwunden seien. Dahinter steht die Botschaft, dass das Land nach vorne schauen möge. Die Ungereimtheiten und Tragödien von Xi Jinpings Null-Covid-Politik und die abrupte Kehrtwende ohne Vorbereitung sollen möglichst schnell vergessen werden.

Viele alte Menschen sind gestorben

Eine Gruppe kommt in dieser Erzählung allerdings nicht vor: die Toten und ihre trauernden Angehörigen. „Viele alte Leute sind gestorben“, sagt die Besitzerin eines Nudelrestaurants in Puxian. Vor den Trauerhallen am Ortsausgang hätten sich lange Schlangen gebildet. Auch davon ist jetzt nichts mehr zu sehen. Nur in einer der vier dunkelgrauen Hallen findet gerade eine Trauerfeier statt. Der Verstorbene ist aber nicht an Corona gestorben. Aus der Halle dringt das Klagelied des Beerdigungssängers, das für ungeübte Ohren nach Pekingoper klingt. Stundenlang werden die Verwandten vor dem aufgebahrten Sarg knien und den Verstorbenen zur Rückkehr anrufen. So sieht die Tradition es vor.

Nur die Maske ist geblieben: in Hongkong am 20. Januar,

Nur die Maske ist geblieben: in Hongkong am 20. Januar, : Bild: Reuters

In den frühen Morgenstunden wird der Leichnam auf einem der umliegenden Felder beerdigt. Bunte Plastikblumen in der grau-weißen Winterlandschaft zeugen davon. Anders als in den großen Städten, wo die Verstorbenen aus Platzgründen eingeäschert werden, sind in Puxian noch Särge erlaubt. Zwei Geschäfte im Ort verkaufen alles, was die Toten im Jenseits benötigen: Totengeld, Gucci-Taschen, Karaoke-Anlagen, Lancôme-Pflegesets und Volkswagen – alles aus Papier. Bei der Beerdigung wird es verbrannt. In jüngerer Zeit seien die Geschäfte etwas besser gelaufen, sagt der Verkäufer. Mehr will er dazu nicht sagen.

Frühlingsfest das wichtigste Familienfest des Jahres

Während in den Häusern der Verstorbenen getrauert wird, macht sich auf der Hauptstraße von Puxian Feierstimmung breit. Das einwöchige Frühlingsfest ist das wichtigste Familienfest des Jahres. Auf den Straßen werden Fisch, Rindfleisch und roter Schmuck mit Glücksbotschaften für die Haustür verkauft. Die Frisörläden sind voll. Die Kleidungsgeschäfte werben mit lauter Popmusik um Kunden. Die Bäume sind mit roten Laternen geschmückt. Die Reliquien der Null-Covid-Politik beginnen zu verblassen. Das Liangshi-Hotel wurde in dieser Zeit vom Staat als Quarantänezentrum verwaltet. Am 1. Januar wurde es wiedereröffnet. Am Busbahnhof sieht man junge Leute aus Peking und anderen Metropolen aussteigen. Zum Frühlingsfest kehren sie an den Ort ihrer Kindheit zurück, wo sie meist bei den Großeltern aufgewachsen sind.

Viele können das Fest zum ersten Mal seit drei Jahren im Kreis der Familie feiern. 2021 und 2022 verhinderten harsche Corona-Restriktionen das Reisen. Die Provinz Shanxi rief damals Parteimitglieder und Kader auf, sich vorbildhaft zu verhalten und nicht zum Frühlingsfest „nach Hause“ zu fahren. 2020 wurde die Feierstimmung von den dramatischen Bildern überfüllter Krankenhäuser in Wuhan überschattet. Deshalb begleitet das diesjährige Frühlingsfest die Sehnsucht nach einer Rückkehr zur Normalität. Im Dongyue-Tempel von Puxian werden am Neujahrstag zehntausend Besucher erwartet.

Im Jahr des Hasen: in einem öffentlichen Park in Peking am 20. Januar

Im Jahr des Hasen: in einem öffentlichen Park in Peking am 20. Januar : Bild: AP

Man könnte also glauben, dass die lokalen Parteikader relativ entspannt sind. Doch dem ist offenbar nicht so. Nachdem sich herumgesprochen hat, dass eine ausländische Journalistin im Ort ist, wird der gesamte Apparat aktiviert. Um halb zehn Uhr abends rücken fünf Mitarbeiter der lokalen Propagandaabteilung im Hotel an und stellen Fragen. Am nächsten Morgen um 8.30 Uhr sind sie wieder da, um jeden Schritt der Journalistin zu beschatten und sie zur Abreise zu bewegen. Zur Sicherheit wurden nachts auf dem Flur zwei Leute der Staatssicherheit postiert. Sie sind an ihrer auffällig unauffälligen schwarzen Kleidung zu erkennen.

China baut Druck gegenüber Berichterstattern auf

Die Polizei hat derweil die Wechat-Kommunikation und die Anrufverbindungen der Journalistin durchleuchtet und zwei lokale Gesprächspartner identifiziert. Nicht nur sie werden bis Mitternacht mit Anrufen traktiert, sondern auch deren Eltern und Onkel. Das ist in China ein bewährtes Mittel, um Druck aufzubauen. Es bestehe die Gefahr, dass der Bericht der F.A.Z. China schaden könne, behauptet die Polizei in den Telefonaten. Gespräche dürften deshalb nur in Anwesenheit von lokalen Regierungsvertretern stattfinden. Dann tauchen auch noch zwei Polizisten aus dem Nachbarbezirk Xixian auf. Sie sind gekommen, weil einer der Beteiligten von dort stammt. Selbst wenn Leute jahrzehntelang in Peking leben, ist für sie noch immer die Polizei in ihrem ursprünglichen Heimatdistrikt zuständig.

Findet sich weiterhin großartig: Xi Jinping

Findet sich weiterhin großartig: Xi Jinping : Bild: AFP

Der Druck zeigt Wirkung: Die Gesprächspartner sagen die vereinbarten Interviews ab. Auch die junge Frau aus Peking, die eigentlich im Mittelpunkt dieses Textes stehen sollte. Erstmals seit drei Jahren ist sie zum Frühlingsfest angereist. In dem Text sollte es um Familie, Corona und Heimat gehen. Um eine Generation junger Leute, die mit großen Hoffnungen aus Chinas ländlichen Gebieten nach Peking zog. Und die an Grenzen stößt, weil die Lebenshaltungskosten in Peking zu hoch sind, um eine Familie zu gründen.

Corona-Isolation hat China paranoider gemacht

Es ist ein Thema, von dem man glauben könnte, dass es politisch unbedenklich ist. Doch die drei Jahre Corona-Isolation haben China noch paranoider gemacht. Je mehr die chinesische Führung wegen des öffentlichen Unmuts über die Null-Covid-Politik unter Druck stand, umso mehr machte sie Stimmung gegen ausländische Medien, um den Nationalismus anzuheizen. In Puxian und Linfen trifft die Propaganda bei den Kadern auf fruchtbaren Boden. Den Umgang mit Ausländern ist man hier nicht gewohnt. In Linfen, der größten Stadt der Region, gibt es nicht einmal ein Hotel, das Ausländer beherbergen darf.

Dekorationen für das Frühlingsfest in Nanning am 19. Januar

Dekorationen für das Frühlingsfest in Nanning am 19. Januar : Bild: EPA

Vielleicht ist die Überreaktion der lokalen Kader aber auch ein Zeichen von Nervosität. Die wirtschaftlich verheerende Null-Covid-Politik hat soziale Spannungen geschürt. In der Nachbarprovinz Henan haben sie sich Anfang Januar in gewaltsamen Protesten entladen. Auslöser war das Feuerwerksverbot, das die Polizei in einer feiernden Menschenmenge versuchte durchzusetzen.

Videos zeigen, wie ein junger Mann, angefeuert von johlenden Schaulustigen, auf der Kühlerhaube eines Polizeiautos tanzt und dessen Nummernschild wie eine Trophäe in die Höhe hält. Die Windschutzscheibe ist eingeschlagen. Später wird das Fahrzeug von der Menge umgestürzt. Die Polizei reagierte mit sechs Festnahmen auffallend verhalten. Zahlreiche Städte lockerten im Anschluss das Böllerverbot, das in den vergangenen Jahren vielerorts wegen der hohen Luftverschmutzung und aus Brandschutzgründen verhängt worden war.

Botschaft: Alles wird besser

Feuerwerk ist tief im chinesischen Volksglauben verwurzelt. Es dient traditionell dazu, die Götter gnädig zu stimmen. Zum Beispiel Cai Shen, den Gott des Reichtums. Geld ist auch sonst ein bevorzugtes Gesprächsthema während des Frühlingsfests. Wenn die Verwandten zusammenkommen, wird verglichen, wessen Sohn oder Tochter mehr Geld verdient hat. Für die Unterlegenen des Vergleichs ist das nicht immer angenehm, ebenso wie die jedes Jahr wiederkehrende Frage an junge Frauen, warum sie noch immer nicht verheiratet sind.

Untrennbar mit dem Frühlingsfest verbunden ist auch die Gala, die zum Jahreswechsel im Staatsfernsehen ge­zeigt wird. Mit offiziell mehreren Hundert Millionen Zuschauern ist sie die wohl meistgesehene Sendung der Welt. Darin werden an diesem Samstag wieder die bekanntesten Schauspieler, Sänger und Komiker des Landes auftreten und patriotische Botschaften verbreiten. Die Hauptbotschaft in diesem Jahr steht schon fest: Alles wird besser.

Die Reisewelle hat begonnen: vor dem Pekinger Bahnhof am 16. Januar.

Die Reisewelle hat begonnen: vor dem Pekinger Bahnhof am 16. Januar. : Bild: Reuters

„Es spricht alles dafür, dass die Corona-Welle deutlich am Abklingen ist“, sagt ein westlicher Gesundheitsfachmann in Peking. In der Hauptstadt hätten sich nach seiner Schätzung zwischen siebzig und achtzig Prozent der Bevölkerung angesteckt. Dabei stützt er sich unter anderem auf Fehlzeiten in westlichen Betrieben und Institutionen in Peking. In den ländlichen Regionen sei der Anteil der Infektionen wohl etwas niedriger. Deshalb sei dort im Zuge der millionenfachen Reisebewegungen zum Frühlingsfest mit einer „Nachwelle“ zu rechnen. Wegen der begrenzten medizinischen Ressourcen in den ländlichen Gebieten und dem hohen Anteil älterer Menschen könnte selbst eine „Nachwelle“ verheerende Folgen haben.

Rasantes Infektionsgeschehen hat Fachwelt erstaunt

Eine Studie der Universität Peking schätzte jüngst, dass sich seit Dezember schon 900 Millionen der 1,4 Milliarden Chinesen infiziert hätten. Das rasante Infektionsgeschehen hat die Fachwelt in Staunen versetzt. „Die Geschwindigkeit und das Ausmaß der Verbreitung sind ohne Beispiel“, sagt Yanzhong Huang vom Council on Foreign Relations in einem Podcast der Denkfabrik. Eine Theorie besagt, dass sich das Virus deshalb schneller als in anderen Ländern verbreiten konnte, weil die Immunisierung der chinesischen Bevölkerung so gering gewesen sei. Die ohnehin weniger wirksamen Impfungen hätten häufig so lange zurückgelegen, dass sie ihre Wirkung vollends verloren hätten.

Jeder Erklärungsversuch krankt allerdings daran, dass China keine verlässlichen Zahlen vorgelegt hat. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO), die China zu Anfang der Pandemie noch mit Lob zu mehr Transparenz bewegen wollte, spricht das inzwischen unverblümt aus. Man habe keine Daten, die die von China dargestellte Übersicht belegen würden, heißt es im jüngsten Wochenbericht der WHO zur weltweiten Corona-Lage. Die von Peking verkündeten Totenzahlen seien nicht in die globale Statistik aufgenommen worden, da die WHO noch auf Daten warte, die nach Provinzen und Wochen aufgeschlüsselt seien.

Der Andrang ist vorbei: Vor einem Covid-Testzentrum in Jiin am 15. Januar 2023 in Jilin.

Der Andrang ist vorbei: Vor einem Covid-Testzentrum in Jiin am 15. Januar 2023 in Jilin. : Bild: EPA

Für die Zeit vom 8. Dezember bis 12. Januar hat China bisher 59 938 Corona-Todesfälle in Krankenhäusern bekannt gegeben. Personen, die zu Hause gestorben sind, sind darin nicht enthalten. Das könnten viele sein, denn auf dem Höhepunkt der Welle waren die Krankenhäuser so überlastet, dass etliche Kranke abgewiesen wurden. Hinzu kommen Berichte, wonach Ärzte angewiesen worden seien, in Totenscheinen möglichst selten Corona als Todesursache anzugeben. Im Fall von Vorerkrankungen sollten diese genannt werden, heißt es in einer schriftlichen Weisung, über die die Nachrichtenagentur Reuters berichtete.

Die britische Datenanalysefirma Air­finity schätzt, dass seit Dezember 608 000 Chinesen an oder mit Corona verstorben seien. Für die Tage des Frühlingsfests geht Airfinity von bis zu 36 000 Todesfällen täglich aus. Das Unternehmen stützt sich auf Vergleichswerte aus anderen Ländern. Laut dem westlichen Gesundheitsfachmann, der namentlich nicht genannt werden will, ist ein Anstieg der Todesfälle trotz sinkender Fallzahlen denkbar. „Die Todeszahlen hängen hinterher. Es handelt sich um teils wochenlange Krankheitsverläufe“, sagt er.

Auch in der chinesischen Bevölkerung ist die Skepsis über die offiziellen Angaben groß. Die chaotischen Wochen nach dem Ende der Null-Covid-Politik haben den Glauben an eine effiziente Führung erschüttert. Peking steht spürbar unter Druck, Zahlen vorzulegen, die näher an der Realität liegen. Die nationale Gesundheitskommission gestand diese Woche eine „mögliche Unterschätzung“ der Todesfälle ein und kündigte die Veröffentlichung von Zahlen zur Übersterblichkeit an. Xi Jinping sah sich genötigt, seine frühere Null-Covid-Politik zu rechtfertigen. Sie verlangte der Bevölkerung Entbehrungen ab, die im Nachhinein völlig unnötig erscheinen. China habe „die richtige Wahl“ getroffen, sagte Xi.

Damit das niemand infrage stellt, hat die Internetaufsichtsbehörde eine Kampagne gegen die Verbreitung von „Gerüchten“ zur Corona-Lage angekündigt. Das richte sich etwa gegen „erfundene Patientenerfahrungen“. Die verstärkte Zensur solle während des Frühlingsfestes „düstere Gefühle“ verhindern und eine „festliche und friedliche“ Onlineatmosphäre gewährleisten.

Source: faz.net