„Tatort“ aus Ludwigshafen: Teil der Tötungsmaschinerie

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Frau Odenthal nervt. In diesem „Tatort“ aus Ludwigshafen besonders. Freilich ist die Hauptkommissarin Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) hier nicht diejenige, die die Gemüter spaltet, sondern ihre Tante, Dr. Nikola Odenthal (Ursula Werner), legendäre Ex-Staatsanwältin, wie es heißt, mit einem „Ruf wie Donnerhall“.

An der Karriere der Nichte lässt sie kein gutes Haar. Zehn Jahre im Beruf habe sie noch, so legt es das Drehbuch von Stefan Dähnert der ehemaligen Star-Anklägerin in den Mund, warum also in Ludwigshafen versauern? Dr. Odenthal habe Beziehungen, Vorschläge gegen Lena Odenthals vermeintliche Antriebslosigkeit („Mir gefällt es hier“).

Wer nun denkt, dass „Lenas Tante“ (so der Titel des 77. Falls dieses SWR-„Tatorts“) gekommen ist, um mit der Hauptkommissarin und ihrer Kollegin Johanna Stern (Lisa Bitter) über weibliche Selbstermächtigung im Beruf zu diskutieren, befindet sich auf einem von mehreren konstruierten Holzwegen. Erledigt wird freilich auch dieses Thema in „Lenas Tante“, als selbstironische Volte dieser unter Abhakzwang befindlichen Ermittlung. Bei Pizza, Wodka und Zigaretten stellt Dr. Odenthal ihre ungemütliche Hartnäckigkeit aus. Bis die Nichte, enerviert von den Versuchen der Tante, auch den aktuellen Fall an sich zu reißen, Tantes Kommunikationsfreude ein Ende setzt. Das Resolute hat sie von der Verwandten, den Durchblick allerdings nicht. Denn die Tante hat eine geheime Agenda und ist vielleicht sogar eine Mörderin.

Zu sehen ist ein schlechter Film

Stefan Dähnerts um drei Ecken konzipierter Krimiplot, zwar passabel inszeniert von „Tatort“-Neuling Tom Lass und unauffällig ins Bild gesetzt von Michael Merkel, mäandert zwischen Wichtigem und Verzichtbarem. Er hätte besser daran getan, manchen Holzweg auszulassen. Wendungen kommen aus dem Nichts, starke Charaktere wie Dr. Odenthal wirken unplausibel. Warum hat Nikola Odenthal, von Beruf und Leidenschaft Nazijägerin, wie man erfährt, trotz ihres fortwährenden Scheiterns vor Gerichten bei der juristischen Aufarbeitung von SS-Taten einen gloriosen Ruf als Erfolgreiche? Schlimmer ist jedoch, wie „Lenas Tante“ die eigentliche Unrechts-Geschichte durch dramaturgische Gleichstellung mit aktuell beliebten Skandalen immanent banalisiert.

Dies hätte ein sehr interessanter „Tatort“ werden können. Zu sehen aber ist ein schlechter Film. Der mit wohlfeilem Grusel beginnt. Im Krematorium schiebt sich ein greise Hand aus dem Sarg, bevor ihr Besitzer, der 96-jährige Fritz Herrweg, lebendig verbrennt. Die Spur führt in ein Seniorenheim mit einer gestressten Leiterin (Cristin König), die Kaffee und Kuchen aus Kostengründen rationiert und mutmaßlich ihre Insassen manipuliert, um höhere Pflegesätze zu erhalten. Der Pflegeschlüssel ist menschenverachtend, was die junge Pflegerin Simona (Maja Zeco) nicht daran hindert, sich aufopferungsvoll um Herrn Kahane (Rüdiger Vogler) zu kümmern. Angst ist für sie ein Fremdwort: „Ich bin aus Bosnien.“ Der Arzt Hanno Roters (Johannes Dullin), der den Totenschein ausstellte, wirkt inkompetent und überfordert. Als er bekennt, gerade verlassen worden zu sein, geht Kommissarin Stern stante pede mit ihm aus und ins Bett. Was mit den weiteren Entwicklungen weiter nichts zu tun hat.

Verschwörungsanhänger und Holocaust-Leugner

War Herrweg der verbrecherischen Heimleitung auf der Spur und wurde deswegen mit Insulin ins Koma gespritzt? Sein Enkel glaubt an Staatsversagen, Deep State und was des Unfugs mehr ist. Im Hauptberuf Verschwörungsanhänger, nebenbei Holocaust-Leugner, vermutlich Neonazi, organisiert er eine Beerdigung, auf der steinalte SS-Kameraden verbotene Lieder singen und der Kranz den SS-Wahlspruch trägt. Worauf Lena Odenthal von der Tante erst animiert werden muss, kraft ihrer Polizeigewalt und ihrer demokratischen Überzeugung die Versammlung am Grab aufzulösen. Solche staatsbürgerlich gebotene Zivilcourage könnte eindrucksvoll sein, verdünnisiert sich hier aber gleich wieder in der parataktischen Abfolge der Szenen ins bloß Gutgemeinte. Kollegin Stern recherchiert inzwischen in der elsässischen Gedenkstätte des KZs Natzweiler-Struthof. Könnte Herrweg der berüchtigte SS-Sadist „die Schlange von Natzweiler“ gewesen sein? Warum hat ihn die Tante am Vortag seines Todes aufgesucht, und warum wird ein zweiter Bewohner des Seniorenheims ermordet?

Zurzeit stehen die letzten der KZ-Täter vor Gericht. Sie sind nun weit über neunzig Jahre alt. Erst seit dem Prozess gegen den Ex-Wachmann John „Iwan“ Demjanjuk vor dem Landgericht München II, in dem der Angeklagte am 12. Mai 2011 wegen der Beihilfe zum Mord an 28 060 Juden im Lager Sobibor verurteilt wurde, verlangen Gerichte keinen direkten Tatnachweis des Mordens mehr. Es reicht, nachweislich Teil der Tötungsmaschinerie gewesen zu sein. Rechtskräftig wurde das Urteil gegen Demjanjuk nicht, er verstarb zuvor.

Es gibt nicht mehr viele Gelegenheiten für die hochbetagten Überlebenden, die Ermordeten und ihre Angehörigen sowie für unsere Gesellschaft insgesamt, juristische Aufarbeitung zu bekommen. „Tatorte“, Kriminalfilme überhaupt, können der Relevanz des Themas gerecht werden. 2021 hat immerhin der „Polizeiruf 110“ im Fall „Hermann“ einen bis in die Gegenwart reichenden, ähnlich brisanten Fall von Olga Lenski (Maria Simon) und Adam Raczek (Lucas Gregorowicz) aufklären lassen. Bedeutung der Geschichte für die Zukunft war „Hermann“ eingeschrieben. Er sei nicht nur dem Ludwigshafener Team empfohlen.

Der Tatort: Lenas Tante läuft am Sonntag um 20.15 Uhr im Ersten.

Source: faz.net