Nach Porsche kommt bisher nicht viel
Der erste große deutsche Börsengang des Jahres enttäuscht den Kapitalmarkt: Der Webdienstleister Ionos bringt den Eigentümern weniger ein als von ihnen erhofft. Der Mehrheitseigner United Internet und der zu knapp einem Viertel beteiligte Finanzinvestor Warburg Pincus gaben am Freitag als Preisspanne für die Ausgabe der Aktien 18,50 bis 22,50 Euro je Anteilsschein bekannt. Daraus ergibt sich eine Marktkapitalisierung für das Unternehmen von höchstens 3,15 Milliarden Euro – verglichen mit bis zu 5 Milliarden Euro, die bis vor Kurzem noch in Aussicht gestellt worden waren.
Wie von der F.A.Z. berichtet, hatten die Beteiligten zuletzt schon vorsichtiger kalkuliert, mit einem Emissionserlös in der Größenordnung von 600 bis 800 Millionen Euro auf Basis eines Anteils von 15 bis 20 Prozent, der an der Börse platziert werden sollte, was maximal 4 Milliarden Euro Gesamtbewertung bedeutet hätte. Wie ebenfalls vorab berichtet, soll der Börsengang in der ersten vollen Februarwoche stattfinden, nämlich am 8. Februar.
Vorgesehen ist den Angaben vom Freitag zufolge, dass der Streubesitz von Ionos nach dem Börsengang bei 17,3 Prozent liegt – wenn denn alle angebotenen Papiere inklusive der Mehrzuteilungsoption verkauft werden. Daraus ergebe sich ein Emissionsvolumen von bis zu 543 Millionen Euro. Der Internetkonzern United Internet peilt an, knapp 19 Millionen Ionos-Aktien anzubieten, Warburg Pincus 5,2 Millionen Titel. Globale Koordinatoren des Börsengangs sind Deutsche Bank , JP Morgan , Berenberg und BNP Paribas.
Ionos stellt Websites für kleinere und mittlere Unternehmen bereit, erzielt in diesem Segment 90 Prozent des Umsatzes und beinahe das gesamte Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda). Das Unternehmen präsentiert sich in diesem Feld als europäischer Marktführer, bedeutende amerikanische Wettbewerber sind Godaddy und Squarespace . Eine kleine Sparte widmet sich der Cloud, die noch keinen nennenswerten Gewinn beisteuert oder ihn jedenfalls sofort reinvestiert. Ionos hatte für 2022 ein Umsatzwachstum von 15 bis 18 Prozent in Aussicht gestellt. 2021 lagen die Erlöse bei 1,1 Milliarden Euro.
2022 war ein verlorenes Jahr
Der Börsengang bläst dem Geschäft mit Neuemissionen in Deutschland neues Leben ein, nachdem 2022 ein verlorenes Jahr war, mit Ausnahme des – allerdings sehr großen – Börsengangs von Porsche. Der Ukrainekrieg, sprunghaft gestiegene Inflationsraten und damit einhergehend steigende Zinsen sowie unsichere Konjunkturaussichten belasten den Markt. Börsengangsfachleute berichten einerseits von einer gut gefüllten „Pipeline“, also dem Vorrat an geplanten Börsengängen – auch wegen eines Rückstaus: Unter anderem Beteiligungsgesellschaften hatten 2022 eine ganze Reihe von Unternehmen für die Börse vorbereitet, ihre Pläne aber aufgeschoben.
Andererseits richtet sich der Blick wegen der weiteren wirtschaftlichen und politischen Unsicherheit auf die zweite Jahreshälfte. „Auch im ersten Halbjahr 2023 werden wir keinen IPO-Boom erleben“, hatte zum Ende des Jahres Nadja Picard von der Beratungsgesellschaft PWC prognostiziert. David Rath, Kapitalmarktrechtler der Kanzlei Latham & Watkins, sprach von der Aussicht auf „mögliche einzelne IPOs noch vor der Sommerpause“.
Zu den Börsenkandidaten, die schon Investmentbanken mandatiert haben, zählen etwa der Prothesenhersteller Ottobock , Schott Pharma , Stepstone und Thyssenkrupps Wasserstoff-Tochtergesellschaft Nucera . Nach F.A.Z.-Informationen gibt es erste informelle Überlegungen rund um Flixbus – wobei ein Börsengang vermutlich erst 2024 anstünde. Kirchhoff Consulting spricht anhand von offiziellen Informationen und Marktgerüchten von „derzeit rund 100 potentiellen Emittenten. Darunter befinden sich Fintechs wie Solaris und Abspaltungen von Konzernen wie Ionos.“
Konkreter wird nun der Plan Axel Springers, das Stellenportal Stepstone an die Börse zu bringen – wohl noch im Verlaufe des Jahres. „Dass Stepstone seinen Umsatz in zwei Jahren verdoppelt und erstmals die Schallmauer von einer Milliarde Euro Umsatz durchbrochen hat, ist ein echter Meilenstein Richtung IPO“, sagte kürzlich Konzernchef und Großaktionär Mathias Döpfner.
2022 hatte auf der einen Seite in Form des Sportwagenherstellers Porsche mit gut 9 Milliarden Euro Emissionserlös den zweitgrößten IPO in Deutschland nach jenem der Deutschen Telekom vor mehr als einem Vierteljahrhundert gebracht. Auf der anderen Seite gab es nur einen weiteren – und zudem äußerst kleinen – klassischen IPO, die Immobilien-Investmentplattform EV Digital Invest .
Was in freundlicherem Börsenumfeld möglich ist, hat das Jahr 2021 gezeigt, als einige Techunternehmen mit Börsengängen auch in Frankfurt hohe Erlöse erzielten. Im Nachhinein zeigte sich, dass dies für die Unternehmen ein gutes Timing war, denn die Beliebtheit von Wachstumsunternehmen an der Börse war hoch, und Anleger öffneten ihre Portemonnaies gerne für technologiebasierte Wachstumsunternehmen.
So erzielten 2021 bis zum Sommer in Frankfurt das Brillen-Onlineunternehmen Mister Spex gut 300 Millionen Euro, das Computerunternehmen Cherry knapp 400 Millionen Euro, der Online-Fahrrad- und -Zubehörhändler Bike24 320 Millionen Euro, der Online-Modehändler About You 840 Millionen Euro, das Softwareunternehmen Suse gut eine Milliarde Euro, der Labordienstleister Synlab 750 Millionen Euro, der Hörspielfigurenhersteller Tonies 300 Millionen, der Pipelinespezialist Vorwerk Group 414 Millionen Euro, der Funkmastenkonzern Vantage Towers 2,2 Milliarden Euro und der Online-Autohändler Auto1 1,8 Milliarden Euro.
Von Sommer 2021 an rauschten die Kurse junger und auch etablierter Wachstumsunternehmen in den Keller in der Erwartung einer Zinswende. Der Kursrückgang beschleunigte sich noch, als die Zinswende nach dem Rohstoffpreis-Schock mit Beginn des Ukrainekrieges viel stärker und schneller kam als gedacht. Der Aktienkurs von Auto1 zum Beispiel, der zum Börsengang euphorisch in die Höhe schoss, sackte von mehr als 50 Euro auf nun 7,70 Euro ab. Die zwischenzeitliche Aufnahme in den M-Dax wurde von der Börse mittlerweile revidiert. Dieses und viele ähnliche Beispiele lassen viele Marktteilnehmer vor Börsengängen derzeit noch zurückschrecken. Die Anleger scheinen noch nicht bereit für neue Abenteuer, und die möglichen Preise, die Unternehmen mit dem Börsengang erzielen können, sind gerade für Wachstums-unternehmen drastisch gesunken. Doch aktuell steigt die Risikobereitschaft der Anleger wieder. So schlecht wie 2022 dürfte das neue Jahr für Börsengänge dann vielleicht nicht werden.
Source: faz.net