Saarländer „Tatort“: Showdown am Rio Sarre

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Nein, wir können nichts dafür, dass wir Sie schon wieder mit Mördern im Saarland konfrontieren müssen. Nach den Kommissaren Judith Mohn und Freddy Breyer aus Saarlouis, die zur ZDF-Reihe „In Wahrheit“ gehören, ermitteln diesmal die kernigen, wie aus der Jeansreklame ins Krimireich gesprungenen Cowboys vom „Tatort“ in Saarbrücken. Mit jedem Blick, den sie austauschten, wuchsen einem Adam Schürk (Daniel Sträßer) und Leo Hölzer (Vladimir Burlakov) in den ersten drei Folgen fester ans Herz – gar nicht zu reden von ihrer gemeinsamen Geschichte, die bis in die Jugendjahre zurückreicht. Zu Ende erzählt ist sie nicht.

Allerdings befindet sich die Story an einem Punkt, an dem die Kommissare, die eines Tages das erste homosexuelle Ermittlerpaar des „Tatorts“ abgeben könnten, stärker ins Alltagsgeschäft finden müssen. Das Drehbuch für die vierte Episode „Die Kälte der Erde“ stammt nicht mehr von Hendrik Hölzemann, sondern aus der Feder der jungen Drehbuchautorin Melanie Waelde, deren Spielfilmdebüt „Nackte Tiere“ bei der Berlinale 2020 auffiel. Im Mittelpunkt standen damals eine jugendliche Kampfsportlerin und ihre Freunde, und der „Spiegel“ lobte die „schroffe, intensive Körperlichkeit“ der von der Autorin selbst besorgten Inszenierung.

Ein Leben am Rand der Gesellschaft

Diese Formulierung darf man sich merken. Auch zu Waeldes „Tatort“ gehört nämlich eine Frau, die alles aus sich herauszuprügeln versucht: die von Bineta Hansen („Loving Her“, Wir“) mit blauen Haaren, ätzender Bockigkeit, überkochender Aggressivität und entwaffnendem Witz („Gürkchen?“) gespielte, ge-meinsam mit ihrem Bruder Bastian (Lorris Andre Blazejewski) in einem unrasierten Reihenhaus lebende Arbeiterin Alina Barthel.

Es ist zweifellos das Leben, das Alina so werden ließ: ein Leben am Rand der Gesellschaft. Aber es gab ihr auch ein Ventil. Alina gehört zu einer Gruppe Saarbrücker Hooligans, die sich bei Handlungsbeginn mit Hooligans aus Kaiserslautern zur „dritten Halbzeit“ verabredet haben. Sie belauern sich wie weiland die Sharks und die Jets, nur ohne Tanz und Gesang, und als die Fäuste fliegen, geht ein Bekannter Alinas blutend zu Boden. Er kann sich gerade noch in ein Krankenhaus schleppen, wo er in der Automatiktür stecken bleibt und zu den ratlosen Blicken des diensthabenden, vom Hooligan-Aufkommen in der Notaufnahme genervten Arztes Friedemann Lech (Till Butterbach) seinen letzten Atemzug macht.

Zum Glück wird nicht alles gezeigt, weil die Regie (Kerstin Polte) für einen Mo­ment zu den Kommissaren Schürk und Hölzer hinüber schaltet, die andernorts von friedfertigen Fußballfans umspült werden, sind Täter und Todesursache in diesem Fall nicht so eindeutig, wie es beim Blick auf einen einäugigen Schläger (Tamer Tahan) eben noch schien.

Homoerotisches Knistern

Ein wenig leidet dieser „Tatort“ an dem Programmfähnchen, das er dem Zuschauer bei der Vorstellung seiner Figuren ins Gesicht hält: Waelde und Polte wollen eine möglichst diverse, traditionelle Muster aufbrechende Story. Das beginnt bei der verbal und nonverbal um sich schlagenden, leicht untersetzten jungen Mutter Alina, setzt sich bei den Ermittlungen im Fanmilieu fort, in dem sich mit Kommissarin Esther Baumann (Brigitte Urhausen) natürlich eine Frau bestens auskennt und eine Sozialarbeitern mit asiatischen Wurzeln auftritt (Jing Xiang), und führt zu einem schwulen Paar. Wenn einem solche Dinge auffallen, ist es des Guten womöglich zu viel, da zum Kern des neuen Saarbrücker „Tatorts“ ja auch noch das homoerotische Knistern zwischen Schürk und Hölzer zählt.

Schön ist hingegen, dass nach drei Fällen, in denen die Männer des vierköpfigen Ermittlerteams im Vordergrund standen, endlich auch Esther Baumann und Pia Heinrich (Ines Marie Western­ströer) mehr Profil erhalten – ohne dass das Sonderverhältnis zwischen Schürk und Hölzer dadurch zurücktreten würde. „Wenn ihr ein Paar wärt“, sagt Heinrich zu Hölzer, „dann würde man sagen, ihr habt eine toxische Beziehung.“

Waeldes Dialoge sitzen, und sehenswert ist auch die Kameraarbeit von Christiane Buchmann. Sie bringt uns mit der Handkamera ganz nah an die Figuren, blinzelt wie im Western in tief stehendes Licht. Einen „Industriewestern“ wollte Regisseurin Kerstin Polte drehen, „in dem wir unter glatte Oberflächen tauchen sowie das Rohe, Verborgene, Unperfekte, Verletzliche in Menschen und Landschaften aufspüren“.

Die Fußballkneipe der Gastwirtin Manuela Baron (Ursula Berlinghof) wird zum staubigen Saloon. Über allem liegt sandiges Gelb. Industriebrachen wirken wie Felswände am Rio Sarre. Und selbst Pferdestärken hat dieser harte Tatort aus dem Wilden Westen Deutschlands zu bieten, einem Landstrich, in dem jeder ordentlich Wut mit sich herumzutragen scheint.

Nicht zuletzt Adam Schürk. Er scheint regelrecht darauf zu warten, endlich selbst wieder die Fäuste einsetzen zu dürfen.

Der Tatort: Die Kälte der Erde läuft am Sonntag um 20.15 Uhr im Ersten.

Source: faz.net