Romane auf dem Theater: „ÖL!“ und „Der Zauberberg“ in Wien
Ursprünglich wollte Thomas Mann eine Erzählung als eine Art Fortsetzung oder Replik auf seine 1912 erschienene Novelle „Der Tod in Venedig“ verfassen. Herausgekommen ist dann freilich 1924 sein rund tausend Seiten starkes Werk „Der Zauberberg“. Upton Sinclair kam mit seinem Roman „Öl!“ bei der Veröffentlichung 1927 auf etwa die Hälfte dieser Seitenanzahl. Beide Romane wurden verfilmt, und Manns Bildungsroman, oder, wie er selbst es eher sah, sein Gegenstück eines solchen, diente Komponisten wie Robert Grossmann oder Gregory Vajda als Grundlage von Musikdramen. Und manch einer versuchte sich an einer Dramatisierung des Stoffes.
Wer immer an weiteren Bühnenadaptionen interessiert sein sollte, könnte nun in Wien das Volkstheater und das Burgtheater besuchen. Denn an zwei Tagen hintereinander hatten hier „ÖL!“ in einer Fassung „frei nach dem Roman von Sinclair“ von Anne-Kathrin Schulz und Sascha Hawemann, der auch Regie führte, und „Der Zauberberg“, Fassung und Inszenierung Bastian Kraft, ihre Premieren.
Leute, lasst die Finger von fossilen Brennstoffen
Bereits zu Beginn tropft auf einer Filmleinwand im Hintergrund blubberndes Erdöl fröhlich vor sich hin, ohne Rücksicht auf Flora oder Fauna. Ein riesiges Rohr, in verdrecktem Gelb und mit einigen Warnzeichen versehen, mündet in die rechte Hälfte der Volkstheaterbühne. Fast ständig schwebt die grelle Neonbeleuchtung vom Bühnenhimmel vor der Leinwand herab und gleich wieder hinauf. Fast zwei Stunden, bis zur Pause, geht das so, unterbrochen von Filmeinspielungen, teils direkt vor Ort oder irgendwann vorher außerhalb – naheliegender Verdacht: vor der Raffinerie Schwechat nahe Wien – aufgenommen. Dazwischen vergnügt sich das Ensemble des Abends, darunter Andreas Beck als „Daddy“ Ross, ein Selfmade-Erdölmillionär, Elias Eilinghof als dessen gutgläubiger Sohn „Bunny“ und Irem Gökcen als Bertie Ross, die leicht naive Schwester von „Bunny“. Außerdem Samouil Stoyanov, Nestroy-Preisträger des Vorjahres, der in höchst irritierenden Kleinstrollen zu sehen ist: vom sprechenden Wal über das ebenfalls plaudernde frisch geförderte Erdöl (im Kunststoffkostüm, quasi das Michelin-Männchen) bis hin zum austrofaschistischen Kurzzeitkanzler Engelbert Dollfuß.
Die wohl eigentlich gemeinte Botschaft des Abends kommt erst in der Dreiviertelstunde nach der Pause zur Geltung, unterstützt von Filmszenen aus Werner Herzogs Dokumentarfilm über die politischen und ökologischen Auswirkungen des sogenannten Zweiten Golfkrieges, „Lektionen in Finsternis“. Und sie lautet, wenig originell, aber eben leider seit mindestens einem halben Jahrhundert, bezieht man sich tatsächlich auf Upton Sinclair, wohl seit mehr als einem Jahrhundert unbeachtet: Leute, lasst die Finger von fossilen Brennstoffen, schützt die Erde und die Armen! Eine wichtige Warnung, leider entschieden zu klamauklastig umgesetzt. Das Volkstheater hat in seinem aktuellem Schwerpunkt zu diesem Thema noch „Black Flame“ auf dem Spielplan, einen Soloabend mit ähnlichem Inhalt, leider auf Schulfunkniveau. Weitere Veranstaltungen, auch Diskussionsabende, sollen folgen.
Vier Castorps schauen auf die Uhr
Keine Botschaft hingegen vermitteln Felix Kammerer, Dagna Litzenberger Vinet, Markus Meyer und Sylvie Rohrer. Sie alle vier klettern als Hans Castorp ziemlich vorn auf der Bühne des Burgtheaters herum. Dorthin wurde nach einem Entwurf von Peter Baur ein Ding gestellt, das zuerst wie ein Gewirr aus hellen, weißen, beigen Brettern und Türflügeln wirkt, sich aber bald als Bergmodell, bisweilen durch kalte, weiß-blaue Neonröhren betont, eben als Alpenlandschaft von Davos entpuppt, wo Thomas Mann sein Sanatorium „Berghof“ angesiedelt hat. Aber damit nicht genug, sind die vier auch noch viele weitere Gestalten des Romans, jeweils in vorheriger Filmaufnahme in je zeitgenössisch passendem Kostüm (Jelena Miletić) und Maske (Lena Damm) eingeblendet. Manchmal gar so gut verkleidet, sprächen sie nicht ihren Text lippensynchron auf der Bühne zu den Videoschnipseln, man wüsste fast nicht, wen man gerade vor sich hat. Man könnte einwenden, dass es vor dem Ersten Weltkrieg noch keine Armbanduhren gab – die vier Castorps tragen je eine, blicken hin und wieder darauf –, aber damit brächte man die vielleicht witzigste Szene des Abends aus dem Konzept, als nämlich Hans Castorp fürchtet, verkühlt zu sein. Er besucht ja an sich nur seinen Vetter Joachim im Sanatorium, doch aus den geplanten drei Wochen werden bekanntlich sieben Jahre und wären noch mehr geworden, wäre Thomas Mann noch etwas eingefallen und hätte er nicht in Ermangelung eines anderen Plans den Ausbruch des Weltkrieges eingefügt. Also eine Erkältung ahnend, stecken die vier Hänse sich das frisch erworbene (für fünf Franken – bei lebenswichtigen Anschaffungen soll man eben nicht knausern!) Fieberthermometer für sieben Minuten unter die Zunge. Und das Publikum darf auf das Ergebnis mitwarten – immerhin ganze vier Minuten ohne ein einziges Wort!
Auch wenn wir dieses, nein, jedes Mal erneut die Litanei anstimmen, dass man nicht immer wieder Romane auf die Bühne zu bringen braucht, darf man doch das Fazit ziehen: ein Volkstheater-Besuch verrät kaum etwas über Upton Sinclairs Buch und befördert, wenigstens nach der Pause, ein bisserl das Umweltbewusstsein, ein Besuch im Burgtheater bei Bastian Krafts Einfällen erspart ziemlich sicher die Lektüre von Thomas Manns Wälzer. Das ist dann ja auch nicht nichts!
Source: faz.net