Überlastung: Das lange Warten auf den Steuerberater
So etwas haben viele noch nicht erlebt – wie der 53-jährige Kunde eines Steuerberaters. Seit zehn Jahren leitet er seinem Berater immer bis zum Sommer alle nötigen Unterlagen für die Einkommensteuererklärung weiter. Bisher hat die Kanzlei die Erklärung dann innerhalb weniger Wochen ausgearbeitet und weit vor der Abgabefrist an das Finanzamt geschickt. Doch jetzt ist alles anders. Über ein Jahr lagen die Belege unbearbeitet beim Steuerberater, die Erklärung ging dann sogar erst ein paar Tage nach der Frist beim Fiskus ein. Und nicht nur das: Dem Wunsch, doch bitte bei der komplizierten Grundsteuer zu helfen, wurde entgegnet, man solle es lieber selbst probieren. Der Grund für beides: Arbeitsüberlastung des Steuerberaters.
Frank Urich vom Steuerberaterverband Hessen und selbst Steuerberater kennt solche Fälle zur Genüge. Sie sind zum Normalfall geworden. „Wir kommen nicht mehr mit der Arbeit hinterher, wir sind mit allem hintendran. Einkommensteuererklärungen und Jahresabschlüsse sind mindestens drei bis neun Monate verzögert im Vergleich zu früher.“ Schlimmer noch: „Manche Steuerberater müssen im Ausnahmefall sogar jahrelangen Stammkunden kündigen, weil sie es nicht mehr schaffen.“ Wer neu einen Berater sucht, den trifft es noch härter, er findet erst gar keinen. „Wir müssen neue Mandanten ablehnen, weil wir sie nicht mehr gut betreuen könnten. Das gab es bis zur Corona-Pandemie noch nie. Und fast alle meine Kollegen machen es genauso.“
Es scheint fast alle Kanzleien zu treffen. „Das gilt für kleine wie für große und für solche in Großstädten oder in ländlichen Gegenden“, sagt der Präsident der Bundessteuerberaterkammer Hartmut Schwab. Die großen Kanzleien haben allenfalls den Vorteil, dass sie intern die Arbeiten etwas umverteilen können, aber überlastet sind sie auch.
Nun klagen Steuerberater ja gerne, dass sie viel zu tun haben. Aber seit Beginn der Pandemie hat sich die Arbeit in der Tat vervielfacht und die Folgen sind heute noch negativ zu spüren. Neue Belastungen wie die Grundsteuer und einige Gesetzesänderungen kamen außerdem dazu.
Corona-Hilfen überlasten Steuerberater
Alles begann mit den Corona-Überbrückungshilfen für Selbstständige und Unternehmen. Da die anfänglichen Soforthilfen betrugsanfällig waren, sollte bei den folgenden staatlichen Unterstützungen genauer hingesehen werden, ob überhaupt einen Anspruch auf Hilfe bestand. Das sollten sogenannte „prüfende Dritte“ übernehmen. Das waren Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer und eben Steuerberater, die die Bilanzen der Unternehmen genauer kannten. Sie sollten die Anträge stellen.
Die Masse der Mittelständler wandte sich an die Steuerberater, weil von ihnen ohnehin jeder einen hatte. Die Folge: Eine riesige Flut an Corona-Hilfsanträgen rollte auf die Branche zu. Die ist nun zwar vorbei, aber sie hat noch heute Auswirkungen. Denn nun sind die „Schlussabrechnungen“ für die Überbrückungs-Hilfen fällig. Bis Ende Juni müssen sie abgegeben werden. Damit belegen die Unternehmen, dass sie die Unterstützung in der gewährten Höhe wirklich gebraucht haben. Ziel dabei ist natürlich, Rückzahlungen zu vermeiden. Auch das Kurzarbeitergeld muss jetzt abgerechnet werden. Dafür müssen die Steuerberater teilweise noch per Hand einzelne Lohnabrechnungen von Mitarbeitern sichten, weil kleinere Unternehmen sie nicht digital aufbereitet haben – ein Aufwand übrigens, der nicht nur viel Zeit kostet, sondern auch Geld für den Steuerberater, der den Unternehmern vom Staat nicht erstattet wird. Sogar schon bis Ende März muss die Endabrechnung für die „Neustarthilfe“ abgegeben werden.
Zur finalen Abwicklung der Corona-Hilfen kommen jetzt noch die liegengebliebenen Standardaufgaben der Steuerberater hinzu, vor allem die Jahresabschlüsse und die Einkommensteuererklärungen. Sie bekamen in der Pandemie großzügige Fristverlängerungen, die nun aber anstehen. Die Bilanz 2021 soll bis 11. April abgegeben werden, die Einkommensteuer 2021 bis Ende August. Und die ersten Mandanten kommen jetzt schon mit den Belegen für 2022.
Die nervige Grundsteuer
Und als wäre das nicht schon genug, nervt jetzt seit Monaten auch noch die Grundsteuer als Sonderereignis. Seit Juli 2022 müssen alle rund 30 Millionen Immobilienbesitzer in Deutschland die Daten für die neue Grundsteuer abgeben, die von 2025 an in geänderten Form erhoben wird. Das hat das Bundesverfassungsgericht so vorgegeben, aber die Arbeit haben nun auch die Steuerberater, die ihren oft überforderten Mandaten mit der Deklaration helfen müssen. Viele Steuerzahler versuchen es zwar alleine, auch auf Wunsch der Steuerberater. Aber in komplizierteren Fällen werden die Experten dann eben doch eingeschaltet, etwa bei gewerblich und privat genutzten Häusern und wenn Gebäude auf landwirtschaftlichem Gelände stehen. Die richtigen Flächenangaben sind das Hauptproblem.
Die Mehrbelastung hängt dann sehr vom Bundesland ab, je nachdem, welches Grundsteuermodell dort angewandt wird. Denn es gibt kein bundeseinheitliches Verfahren, die Länder hatten das Recht, eigene Modelle zu entwickeln und ein paar haben davon Gebrauch gemacht. Es gibt nun Länder wie Baden-Württemberg, in denen wenig Daten geliefert werden müssen, und solche wie die Mehrzahl, die viele Informationen verlangen, etwa in Nordrhein-Westfalen oder in Ostdeutschland. Hessen, Bayern und Niedersachsen nehmen eine Mittelposition ein.
Stichtag für die Abgabe der Grundsteuer-Daten war Ende Januar. Dann ist die Arbeit aber nicht vorbei. Einige Immobilieneigentümer haben Fristverlängerung beantragt, schicken also erst in ein paar Wochen, und auf der anderen Seite haben die ersten schon ihre Bescheide vom Finanzamt bekommen. Die müssen die Steuerberater nun prüfen und eventuell Einspruch einlegen.
Der Gesetzgeber ist in dem Dilemma auch keine Hilfe. Zwar hat er Fristen verlängert, die aber jetzt fällig werden. Gleichzeitig sorgen Gesetzesänderungen für zusätzlichen Beratungsbedarf der Mandanten. „Viele Fragen gibt es derzeit zum Beispiel zu den Neuerungen bei der energetischen Haussanierung, etwa zur Förderung von Solaranlagen. Und zur Versteuerung der Hilfszahlungen wegen der hohen Inflation“, klagt Steuerberater Frank Urich.
Seit Jahresbeginn ist zudem das elektronische Steuerberaterpostfach Pflicht. Es soll die Kommunikation mit Gerichten, Rechtsanwälten, mit Berufskammern und anderen Steuerberatern erleichtern. Die E-Mail ist dabei keine Alternative. Das neue Postfach soll zu einer Steuerberaterplattform ausgebaut werden, die in ein paar Jahren alle Tätigkeiten des Steuerberaters aus seiner Software heraus weiterleiten kann. Was später mal eine Entlastung sein wird, sorgt jetzt zur Einführung für zusätzliche Arbeit. Vor allem kleinere Kanzleien mühen sich damit.
Nachwuchsmangel auch in Steuerkanzleien
Schließlich sorgen auch die Finanzbehörden für zusätzliche Arbeit. „Kurz vor Weihnachten schickten sie uns 350 korrigierte Steuerbescheide, in denen die Zinsen zum Beispiel für die verspätete Abgabe reduziert wurden“, erzählt Frank Urich. Das war nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts nötig geworden, das zu hohe Zinsen monierte. Die Schreiben müssten alle noch einmal kurz angesehen werden, ob alles in Ordnung sei. Durch die hohe Zahl erzeugt auch das weitere nennenswerte Mehrarbeit. Weiteres Beispiel: Bei Selbstständigen wurde im vergangenen Herbst die staatliche Energiepreispauschale über geringere Steuervorauszahlungen gewährt. Alle Mandanten mussten darüber informiert werden, damit sie ihre Daueraufträge kürzten. Hinderlich ist auch, dass es für die Corona-Hilfen zwei Schlussabrechnungen gibt. Die zweite darf erst abgegeben werden, wenn das Finanzamt einen Bescheid zur ersten verschickt hat. „Also müssen wir jeden Fall zweimal anfassen“, schimpft Frank Urich.
Zu alledem kommt ein Problem, das derzeit viele Branchen betrifft: der Nachwuchsmangel. Die zusätzliche Arbeit muss dadurch von weniger Personal geleistet werden. Es gibt zwar noch nicht zu wenige Steuerberater, die Zahl wächst sogar noch. Engpässe entstehen aber bei den Mitarbeitern, den Steuerfachangestellten. „Weniger junge Menschen wollen die Ausbildung machen, der Beruf wirkt auf viele weniger attraktiv als etwa eine Ausbildung zum Mediengestalter“, klagt Kammerpräsident Hartmut Schwab. „Die Lebenseinstellung der Jugend hat sich geändert. Die Sinnhaftigkeit des Tuns für die Gesellschaft und genug Freizeit mit geregelten Arbeitszeiten stehen mehr im Mittelpunkt. Zu wenig Jugendlichen ist bekannt, dass all das die Ausbildung zum Steuerfachangestellten auch bietet. Noch dazu ein gutes Gehalt und Jobsicherheit.“ Auch habe die Qualität der Absolventen nachgelassen, einige Bewerber müssten deswegen abgelehnt werden.
Positive Nachrichten hört man derzeit von keinem Steuerberater. Noch nicht einmal baldige Besserung wollen sie versprechen. „Bis der Stau abgearbeitet ist, wird es mindestens noch zwei Jahre dauern, vielleicht sogar länger. Vor 2025 ist keine Entspannung zu erwarten“, schätzt Steuerberater Frank Urich. Wer daher jetzt einen Berater sucht, hat es schwer. „Da alle Kanzleien betroffen sind, kann man keinen Tipp geben, wie man an einen kommt. Da hilft nur: Alle durchtelefonieren.“ Immerhin kann man dabei durch die verstärkte digitale Arbeit der Berater bundesweit suchen. Es muss also nicht mehr der örtliche Steuerberater um die Ecke sein. Das ist aber auch der einzige Trost.
Source: faz.net