„Angst vor Tech-Krieg“
Chinas Ballon-Zwischenfall hat am Montag Spuren am Aktienmarkt hinterlassen. Analysten führten die teils deutlichen Kursabschläge von chinesischen Internetkonzernen auch auf die „Angst vor einem neuen Tech-Krieg“ zurück. Die amerikanische Luftwaffe hatte am Samstag auf Befehl von Präsident Joe Biden einen mutmaßlichen chinesischen Spionageballon abschießen lassen, nachdem dieser den Luftraum über dem amerikanischen Festland verlassen hatte und ein paar Kilometer über den Atlantik getrieben war.
China behauptet, der Ballon diene der Erforschung des Klimas. Der amerikanische Außenminister Anthony Blinken hatte seinen für Sonntag geplanten Besuch in Peking abgesagt. Dies wird allgemein als weitere Verschlechterung des ohnehin schon sehr angespannten Verhältnisses zwischen den beiden Wirtschaftsmächten gewertet. China wirft Amerika vor, durch immer neue Sanktionen wie ein weitreichendes Exportverbot von hochleistungsfähigen amerikanischen Halbleitern in die Volksrepublik den technologischen Aufstieg des Rivalen stoppen zu wollen.
Viele Anleger halten es offensichtlich für möglich, dass der Spionageballon die amerikanische Regierung dazu treiben könnte, als Vergeltungsmaßnahme weitere Sanktionen gegen chinesische Unternehmen zu erlassen. Im Oktober hatte Washington Exportbeschränkungen für Chips erlassen, deren Ziel es nach Einschätzung von Beobachtern ist, das Land von westlicher Hochtechnologie insgesamt abzuschneiden. Vergangene Woche war bekannt geworden, dass hochrangige Beamte in der Biden-Regierung planen, den nicht börsennotierten Technologiekonzern Huawei mit einem vollständigen Verbot für den Kauf von amerikanischen Halbleitern zu belegen.
Banken warnen vor Handelskrieg
Am Montag gaben an der Hongkonger Börse die Werte von Alibaba (minus 2,7 Prozent) und Tencent (minus 2,1 Prozent) nach. Das Papier von Sensetime, einem Hongkonger Hersteller von Überwachungstechnologie mit vermuteter Nähe zur chinesischen Volksbefreiungsarmee, stieg hingegen im Preis um 6,3 Prozent. Iris Pang, China-Chefökonomin bei der Bank ING, warnte in einer Einschätzung, dass auch die chinesische Seite ihrerseits mit Wirtschaftssanktionen antworten und es dadurch zu einem neuen Handelskrieg kommen könne.
Auch die europäischen Aktienmärkte sind verhalten in die neue Woche gestartet. Der Dax büßte bis zum Mittag gut 1 Prozent auf 15.300 Punkte ein. Der M-Dax gab sogar um 1,8 Prozent nach. Es fiel das beliebte Stichwort der Gewinnmitnahmen. Diese gibt es aber nicht ohne Anlass und die diplomatischen Verstimmungen zwischen den Weltmächten China und USA sind aus Sicht der Anleger ein guter Grund, wieder etwas mehr Vorsicht walten zu lassen.
Zuletzt waren die Aktienmärkte geradezu in Euphorie verfallen und der Blick in die Zukunft geriet rosarot. Es setzte sich die Erwartung fest, dass die Rezession in den wichtigsten Volkswirtschaften milder würde als im Herbst noch gedacht oder gar ganz ausfällt. Zugleich wurden die Notenbanken-Sitzungen aus der Vorwoche dahingehend interpretiert, dass sie in ihrer Zinspolitik mindestens einen Gang zurückschalten könnten.
Konjunkturdaten bestätigten am Montag den positiven Blick der Märkte: So stiegen die Auftragseingänge der deutschen Industrie im Dezember um 3,2 Prozent zum Vormonat. Gerechnet worden war allenfalls mit einem Plus von 2 Prozent. Zudem wurde der November-Wert von minus 5,3 Prozent auf minus 4,4 Prozent nach oben korrigiert. Auch der Sentix-Konjunktur-Indikator erreichte den höchsten Stand seit einem Jahr. Zwar haben Monatswerte eine begrenzte Aussagekraft und die Daten sind auch einen Gegenreaktion zu den zuvor sehr schwach ausgefallenen Daten, aber es sind weitere Mosaiksteine im positiven Weltbild, das die Märkte derzeit malen.
Dies hat den Dax binnen vier Monaten um mehr als 30 Prozent steigen lassen. Besonders schwungvoll entwickelte sich zuletzt vor allem der M-Dax, nachdem Nebenwerte 2022 zu den Verlierern gehört hatten. Der Index erreichte ein Plus von 19 Prozent seit Jahresbeginn. Einige Titel erzielten Kurszuwächse von mehr als 30 Prozent wie Kion, Fraport, Jungheinrich, Sixt und Thyssen-Krupp. Entsprechend gehörten sie am Montag zu den größten Verlierern mit Abschlägen von 3 bis 5 Prozent. Auch im Dax lagen die bisherigen Gewinner des Jahres Adidas, Vonovia, Covestro, Infineon und Zalando am Indexende.
In Amerika hatte schon am Freitag die Stimmungswende eingesetzt und die zuletzt sehr stark gelaufenen Technologiewerte ins Minus gedrückt, allen voran Amazon mit einem Abschlag von 8 Prozent. Ein grundsätzlicher Stimmungsumschwung deutet sich bisher aber nicht an. Politische Börsen haben bekanntlich kurze Beine, so dass niemand derzeit erwartet, dass die Ballon-Affäre nachhaltig zu einer anderen Einschätzung an den Finanzmärkten führt. Hier wird stets abstrahiert, ob etwas die Geschäftsaussichten trübt und hierfür sind Amerika und China viel zu stark voneinander abhängig, als dass sie es nun zu einer Eskalation kommen lassen würden.
Einer der sensibelsten Märkte in einem solchen Szenario ist für gewöhnlich der deutsche Aktienmarkt, der besonders weltkonjunkturabhängig ist, während in den großen Indizes in Amerika relativ konjunkturunabhängige Werte wie Wal-Mart oder Pfizer wichtig sind. Entsprechend war auch der Dax bis Ende September besonders tief gefallen und hat sich seither deutlich stärker erholt als die amerikanischen oder chinesischen Aktienmärkte.
Source: faz.net