Geigenflüsterer: Der Violinist Irvine Arditti wird siebzig

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Musik hat die schöne Eigenschaft, dass sie klingt. Wenn sie aber ganz leise ist, wird der Interpret noch lange kein Pantomime – schon gar nicht Irvine Arditti, Primarius des 1974 von ihm in London gegründeten Arditti Quartetts und vor siebzig Jahren ebenda geboren. Im Gegenteil: Wenn Arditti zeitgenössische, meist auch dem Quartett gewidmete Kompositionen (ur)aufführt – die Repertoireliste umfasst gut 1200 Werke –, kann ein klangliches Ausbalancieren noch so zartester Flautandopassagen bis zu wahrlich frappanten Sturm- und Drangklangkaskaden den Gehörsinn umschlingen: Fast unhörbare Musik, diese aber mit aller denkbaren Pianissimointensität intoniert, daran zu feilen ist Ardittis und seiner Mannen gewissermaßen Tagwerk.

Wolfgang Rihms haptisch-eruptive dreizehn Streichquartette, Karlheinz Stockhausens „Helikopter-Streichquartett“ oder Rebecca Saunders’ experimentelle Klangauffächerungen bewegen sich hingegen auf der dynamischeren Seite in Ardittis Musikkosmos, in dem auch Brian Ferneyhoughs New Complexity nicht fehlen darf. Staunend zu erleben aber war die beschriebene Leiseorgie bei den Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik im Jahr 2000 während der Uraufführung des zweiten Streichquartetts von Jakob Ullmann. Die fabelhaften Vier spielten sichtbar wie die Berserker. Was das Ohr jedoch nicht mehr erreichen sollte, ergänzte ihm das Auge: Klangmimesis.

Ein Jahr zuvor, 1999, in dem Irvine Arditti mit seinem Streichquartett als erstem Ensemble überhaupt den renommierten Ernst von Siemens-Musikpreis zuerkannt bekam, wurde es bei Salvatore Sciarrinos „6 Quartetti brevi per archi“, entstanden von 1967 bis 1992, nicht minder sehr vernehmlich still im Konzertsaal. Beim betörenden Veratmen der tönend bewegten Luft modellierte Arditti Sciarrinos Pianissimi hochdramatisch verklingend als flüchtige Klangplastik in den Sendesaal des Hessischen Rundfunks hinein.

Was also mit einer Geige überhaupt möglich ist, das entscheidet sich an dem, was Irvine Arditti selbst auf ihr anbietet. „Komponieren Sie etwas, das wir nicht spielen können“, forderte er kürzlich bei der Vergabe eines Auftragswerks vom Komponisten. Damit reiht er sich in die mitkomponierenden Interpreten ihrer Zeit ein: Was der Klarinettist Richard Mühlfeld für Brahms, der Pianist Eduard Steuermann für die Zweite Wiener Schule, der Cellist Siegfried Palm für Bernd Alois Zimmermann waren – eine inspirierende Klangbibliothek –, das bedeutet die noch lange nicht ausgeschöpfte produktive (nicht nur reproduktive) Dimension des Geigers Irvine Arditti für alle, die das Instrument Violine ernst nehmen. Ernste Musik heißt eben nicht ohne Grund so, womit wir mit einem Bein in der Musikphilosophie stehen.

Irvine Arditti verkörpert auch die Philosophie der Neuen Musik und widerlegt mit seiner Kunst das Diktum des Komponisten Johannes Kreidlers, wer für Geige schreiben würde, schriebe nur ab. Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag also, Mister Streichquartett!

Source: faz.net