Großbritannien: Parteien in Nordirland bekommen mehr Zeit zur Lösung von Brexit-Streit
Im Streit um die Umsetzung des Brexit-Abkommens will die britische Zentralregierung den führenden Parteien in Nordirland mehr Zeit einräumen. Der für Nordirland zuständige Minister Chris Heaton-Harris kündigte an, die Frist für eine Regierungsbildung in Nordirland werde um ein Jahr verlängert. Die nordirischen Parteien haben nun bis zum 18. Januar 2024 Zeit, eine gemeinsame Regierung zu bilden. Gelingt dies nicht, muss binnen zwölf Wochen eine Neuwahl angesetzt werden.
Nordirland ist seit gut einem Jahr ohne eigene Regierung. Auch nach einer Wahl im vergangenen Mai gelang es der mehrheitlich protestantischen DUP und der katholisch-republikanischen Partei Sinn Fein nicht, eine Einigung zu erzielen. Die Frist für eine Regierungsbildung war eigentlich bereits im Januar abgelaufen.
Eine Neuwahl sei in den kommenden Wochen jedoch weder erwünscht noch hilfreich, sagte Heaton-Harris. Zu diesem Schluss sei er nach Gesprächen mit politischen Vertretern, Unternehmen und Gemeinden in Nordirland gekommen.
Unionisten befürchten Abtrennung vom übrigen Königreich
In dem Streit geht es um die Umsetzung des sogenannten Nordirland-Protokolls, das im Zuge des britischen EU-Austritts vereinbart worden war. Es sieht für Nordirland besondere Zollregeln vor, um die Grenze zwischen der britischen Provinz und dem EU-Staat Irland offenzuhalten – auch, um ein Wiederaufflammen des Nordirland-Konflikts zu verhindern. Durch die Vereinbarung ist aber de facto eine Zollgrenze in der Irischen See entstanden, die Nordirland vom Rest des Vereinigten Königreichs trennt.
Die Unionisten sehen in der Vereinbarung eine Gefahr für die Bindung zum Königreich und blockieren daher bislang aus Protest die Regierungsbildung. Sie fordern drastische Änderungen am Nordirland-Protokoll, das seit Langem auch für Streit zwischen der EU und der britischen Zentralregierung sorgt. In den Verhandlungen zwischen der EU und Großbritannien schien es zuletzt Bewegung zu geben. Sollten die Regierung in London und die EU zu einer Einigung kommen, müsste die britische Zentralregierung die Unionisten in Nordirland aber immer noch davon überzeugen, ihre Blockadehaltung aufzugeben.
Nordirland ist Teil des Vereinigten Königreichs. Die Gesellschaft dort ist aber tief gespalten in Protestanten, die sich meist als Briten verstehen, und Katholiken, die sich oft als Iren definieren und vielfach eine Vereinigung des Landesteils mit der Republik Irland fordern. Drei Jahrzehnte lang bekämpften sich militante Gruppen beider Seiten sowie Polizei und das britische Militär in einem Bürgerkrieg, der erst 1998 mit dem sogenannten Karfreitagsabkommen endete. Gemäß dem Friedensabkommen müssen sich die jeweils stärksten Parteien beider konfessioneller Lager auf eine Einheitsregierung einigen.