Ansturm der Studenten – ein lauter Weckruf für Deutschlands antiquierte Ämter

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Ausgerechnet die schleppende Umsetzung der Energiepauschale in Höhe von 200 Euro, auf deren Auszahlung Studenten und Fachschüler bald ein halbes Jahr warten, könnte für einen Sprung bei der Digitalisierung der Verwaltung sorgen.

Innerhalb weniger Wochen werden mehr als drei Millionen Bürger kaum umhinkommen, die Voraussetzungen für die Nutzung digitaler Verwaltungsdienste zu schaffen. Denn um an die 200 Euro zu kommen, müssen sie ein sogenanntes BundID-Konto anlegen, mit dem sie ihre Identität nachweisen können.

Dieses Nutzerkonto für staatliche Leistungen gibt es bereits seit 2019. Doch bislang weiß kaum jemand davon. Noch weniger haben es bislang eingerichtet. Bis Ende Januar waren es 253.000. Nun könnten mit einem Schlag bis zu 3,5 Millionen Nutzer hinzukommen.

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So viele Studenten und Fachschüler haben Anspruch auf das Energiegeld. „Ich erhoffe mir davon einen Digitalisierungsschub für die Verwaltung in Deutschland“, sagt Marc Danneberg, der beim Digitalverband Bitkom für Themen rund um den öffentlichen Sektor zuständig ist. Je mehr Erfahrungen die Bürger mit Online-Verwaltungsleistungen sammelten, desto selbstverständlicher würden sie genutzt.

Danneberg sieht allerdings Chancen und Gefahren zugleich: Die Anwendung muss erst einmal funktionieren – in diesem Fall die Auszahlungsplattform für die 200 Euro. „Die Studenten und Fachschüler müssen danach zu der Erkenntnis kommen, dass der digitale Weg die Dinge beschleunigt und einfacher macht“, sagt Danneberg.

Und er sieht noch einen Haken: Bislang gibt es schlicht zu wenige Verwaltungsleistungen, die Bürger und Unternehmen vom fernen Computer oder Smartphone aus erledigen können. „Eine BundID bringt nur dann etwas, wenn sie regelmäßig genutzt werden kann“, sagt Danneberg.

Zeit für einen Rechtsanspruch auf digitale Verwaltung

Das 2017 von der Politik formulierte Ziel, innerhalb von fünf Jahren alle Leistungen, von der Kfz-Anmeldung, über die Ummeldung der Wohnung bis zum Elterngeldantrag bundesweit digital anzubieten, wurde bis Ende 2022 weit verfehlt. Vielerorts blieb für die Bürger bislang alles beim Alten: zur Behörde gehen, Papierantrag ausfüllen, warten.

„Wir müssen möglichst schnell einen Rechtsanspruch auf digitale Verwaltungsangebote gesetzlich verankern“, sagt Danneberg vom Digitalverband Bitkom. Das Onlinezugangsgesetz, das derzeit überarbeitet wird, sollte genau dies in Zukunft bringen.

Grundvoraussetzung sei allerdings, dass es mehr Angebote gibt und diese tatsächlich nutzerfreundlich sind, sagt Malte Spitz, Berichterstatter für das Thema digitale Verwaltung im Normenkontrollrat. „Die Menschen haben ein großes Interesse an digitalen Services des Staates, wenn die Anwendung aber komplizierter und zeitaufwendiger als der Gang zur Behörde oder das alte Papierformular ist, wird die Nutzung gering bleiben.“

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Die Direkthilfen für Studenten und Fachschüler offenbaren aus Sicht von Spitz einmal mehr ein Grundproblem der Politik: Es werden Gesetze gemacht, ohne an die praktische Umsetzung zu denken. „Bund und Länder haben sich zu einer gemeinsamen Lösung durchgerungen, die natürlich für die Studierenden sehr spät kommt und weiterhin mit einem hohen Aufwand bei allen Beteiligten verbunden ist“, sagt Spitz.

Noch ist nicht einmal klar, wann der Zuschuss tatsächlich auf den Girokonten der Studenten und Fachschüler eingeht. Noch vor Kurzem versprach Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP), dass die 200 Euro noch diesen Winter ausgezahlt werden.

Doch daraus wird nichts mehr. Nach aktuellen Planungen sollen ab dem 15. März überhaupt erst Anträge gestellt werden können – fünf Tage vor Frühlingsanfang. Testläufe gibt es in einzelnen Bundesländern schon früher.

Bis dahin könnten Studenten und Fachschüler die Zeit aber nun nutzen, um sich schon einmal das BundID-Konto zu eröffnen, heißt es auf der am Dienstag freigeschalteten Informationsseite mit der Adresse „Einmalzahlung200.de“.

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Die BundID werde benötigt, um sich zum Antrag anzumelden. Der soll später „nur ein paar Minuten“ dauern, sobald die Hochschulen und Schulen die Zugangscodes zur Plattform verteilt haben. Nur diese wissen schließlich, wer tatsächlich zum 1. Dezember 2022 immatrikuliert war.

Die Hürden lauern allerdings schon früher: bei der Einrichtung des BundID-Kontos. Das Bundesbildungsministerium wirbt für die Nutzung der BundID mit der Online-Funktion des Personalausweises – wer ein persönliches Elster-Zertifikat von der Steuererklärung hat, kann auch dies nutzen.

Ob’s klappt mit der Anmeldung?

Für die Online-Ausweisfunktion braucht es ein nicht allzu altes Smartphone mit NFC-Funktion und die Identifizierungs-App, beispielsweise AusweisApp2. Die App bringt aber nur etwas, wenn die Online-Ausweisfunktion beim Personalausweis überhaupt aktiviert ist.

Das gilt es zunächst zu prüfen. Die Funktion gibt es seit dem Jahr 2011. Da ein Personalausweis zehn Jahre gültig ist, ist mittlerweile gewährleistet, dass alle Ausweise die Funktion haben. Das Problem ist: Bei vielen dürfte die Funktion deaktiviert sein und es fehlt der Zettel mit der PIN, um sie zu aktivieren.

Dafür könnte dann doch wieder ein Behördengang notwendig werden. „Gehen Sie zu dem Bürgeramt in der Gemeinde, in der Ihr Wohnsitz gemeldet ist und lassen Sie die Online-Ausweisfunktion aktivieren. Das Bürgeramt erteilt Ihnen zusätzlich eine 6-stellige PIN“, heißt es auf der Anleitungsseite.

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Alternativ kann bei der Bundesdruckerei via App ein „PIN-Rücksetzungsbrief“ bestellt werden. Diese sendet innerhalb von sieben Werktagen eine PIN an die Meldeadresse.

Ob die Rechenkapazitäten für einen Ansturm auf die BundID ausgelegt sind, konnte das zuständige Bundesinnenministerium bis zum Nachmittag nicht beantworten. In schlechter Erinnerung ist noch die Überlastung des Elster-Steuersystems, als im Sommer zu viele Bürger gleichzeitig die verlangte Grundsteuererklärungen abgeben wollten.

Matthias Anbuhl, Vorstandsvorsitzender des Deutschen Studierendenwerks, hält die Antragsvoraussetzungen für insgesamt anspruchsvoll, zumal die Geduld der Studenten ohnehin durch die lange Zeit seit Ankündigung der Direkthilfen ohnehin schon reichlich strapaziert worden sei.

„Nach mehr als drei Jahren pandemiebedingter staatlicher Online-Hilfen muss man erwarten können, dass Bund und Länder über Expertise verfügen, wie man möglichst rasch solche Online-Hilfen aufsetzt.“

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Source: welt.de