Kommunikationsstrategie Chinas: Pekings Spiegelfechterei in der Ballon-Affäre

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Am Anfang stand ein Satz, wie man ihn nur selten vom chinesischen Außenministerium zu hören bekommt: „China bedauert, dass das Luftschiff versehentlich durch höhere Gewalt in die Vereinigten Staaten abgedriftet ist.“ Das war vor zwei Wochen Pekings erster Versuch, sich gesichtswahrend aus der Ballon-Affäre zu ziehen. Das geäußerte Bedauern war als Appell an Washington gedacht, die für China peinliche Angelegenheit möglichst geräuschlos beizulegen. Es beruhte wohl auf einer Fehleinschätzung.

Eine gute Stunde später gab die amerikanische Regierung bekannt, dass Außenminister Antony Blinken seine geplante Reise nach Peking nicht antreten werde. Einen Tag später schoss das amerikanische Militär den Ballon ab. Den Befehl dazu hatte der amerikanische Präsident nach eigener Aussage schon Tage vorher gegeben.

Aktuelle Äußerungen amerikanischer Regierungsmitarbeiter über die ersten Tage der Krise zeichnen das Bild eines schwerfälligen chinesischen Apparats, in dem die linke Hand nicht weiß, was die rechte tut. Laut einem am Donnerstag veröffentlichten Bericht der „New York Times“ brauchte China drei Tage, um substanziell auf die Krise zu reagieren. Erst dann habe es der amerikanischen Seite erklärt, dass Verantwortliche sich bemühten, den Ballon so schnell wie möglich aus dem amerikanischen Luftraum zu lenken.

Es spricht einiges dafür, dass Chinas außenpolitischer Apparat erst durch die amerikanische Seite von dem mutmaßlichen Spionageflug erfuhr. Mitarbeiter des State Department berichten, die zur Rede gestellte Chargé d’affaires der chinesischen Botschaft habe überrascht gewirkt. Danach brauchte China 36 Stunden, um eine Sprachregelung zu der Affäre zu finden. Sie stand erst einige Stunden, nachdem eine Sprecherin des Außenministeriums sich erstmals dazu äußern musste.

Von Xi Jinping höchstpersönlich abgesegnet

Längst hat sich die Ballon-Affäre zu einer diplomatischen Krise ausgewachsen, in der beide Seiten bemüht sind, den Eindruck von Schwäche zu vermeiden. China hat den Ton stetig verschärft und mit militärischen und wirtschaftlichen Gegenmaßnahmen gedroht.

Als Antwort auf die Exportverbote, die Amerika gegen sechs mutmaßlich beteiligte chinesische Unternehmen erlassen hat, setzte China am Donnerstag die Rüstungsunternehmen Lockheed Martin und der Raytheon auf seine Sanktionsliste. Allerdings hat Peking sie schon in der Vergangenheit sanktioniert.

Zu Pekings üblichen Ablenkungsmanövern gehört es, amerikanische Anschuldigungen spiegelbildlich mit unbelegten Gegenvorwürfen zu kontern. So wie am Mittwoch: „Seit Mai vergangenen Jahres haben die Vereinigten Staaten eine große Zahl an stratosphärischen Ballons von ihrem Staatsgebiet losgeschickt, die kontinuierlich die Erde umkreist haben und illegal über chinesischen Luftraum geflogen sind, unter anderem über Xinjiang und Tibet, mehr als zehn Mal“, so ein Sprecher des Außenministeriums. In die gleiche Kategorie der Spiegelfechterei gehört vermutlich auch die Mitteilung, dass der Flugverkehr in der Stadt Shijiazhuang am Donnerstag wegen eines Ballons vorübergehend ausgesetzt worden sei.

International mag China mit derlei Manövern seine Glaubwürdigkeit untergraben, auch wenn es sie über westliche soziale Medien weltweit verbreitet. Im eigenen Land erfüllen sie aber den gewünschten Zweck. Sie bedienen das fest etablierte Narrativ von amerikanischen Geheimdienstaktivitäten, insbesondere in Chinas Grenzregionen Tibet, Xinjiang und Hongkong. Es fußt auf belegten historischen Beispielen wie der Ausbildung tibetischer Guerilla-Kämpfer durch die CIA in den Sechzigerjahren.

Inmitten der harschen Rhetorik sendet Peking aber auch das Signal an Washington, dass es kein Interesse daran hat, die Krise endlos eskalieren zu lassen. Gegenüber dem „Wall Street Journal“ ließen Regierungsmitarbeiter am 12. Februar durchblicken, dass das Wort des Bedauerns von Staats- und Parteichef Xi Jinping höchstpersönlich abgesegnet worden sei. So wurde es zehn Tage nach der ersten Mitteilung noch einmal bekräftigt und als Bekundung von ganz oben aufgewertet. Das Durchstechen solcher Interna an ausländische Medien gehört zur chinesischen Außenkommunikation. Von der „Financial Times“ ließen chinesischer Funktionäre sich zum Beispiel mit der Aussage zitieren, Putin sei verrückt.

Keine ernsten Gegenmaßnahmen

Zumindest bisher hat China keine ernsten Gegenmaßnahmen ergriffen, sondern eher versucht, die Affäre kleinzureden. Nur einmal ließ es Muskeln aufblitzen, als die Meeresaufsichtsbehörde der Stadt Qingdao eine Nachricht an Fischer in der Region versandte, wonach es Vorbereitungen gebe, ein nicht identifiziertes Flugobjekt abzuschießen. Die Fischer sollten sich bereithalten, ins Meer fallende Trümmerteile zu bergen. Das reichte Chinas Nationalisten als Signal dafür, dass das chinesische Militär den Amerikanern die Stirn bieten könne. Einen Abschuss gab es nicht.

Insgesamt hat der chinesische Propaganda-Apparat viel getan, um die öffentliche Aufmerksamkeit von der Ballon-Affäre abzulenken oder sie ins Lächerliche zu ziehen. Bei der Ablenkung half zunächst das verheerende Erdbeben in der Türkei, über das umfangreich berichtet wurde. Danach griff China dankbar die vermeintliche Enthüllung des früheren Investigativ-Journalisten Seymour Hersh auf, Amerika habe angeblich die Ostseepipelines Nord Stream 1 und 2 gesprengt. Inzwischen wird intensiv über den Chemie-Unfall in Ohio berichtet. Die für China wichtigste Frage in der Affäre wurde öffentlich dagegen gar nicht diskutiert. Wie konnte es passieren, dass das chinesische Militär die amerikanische Lufthoheit ausgerechnet in einem Moment verletzt, in dem der gesamte außenpolitische Apparat auf eine Stabilisierung der Beziehungen zu Amerika ausgerichtet ist? Man kann nur vermuten, dass innerhalb des Parteiapparats der Druck auf Xi Jinping wächst, angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Lage im Land unter Beweis zu stellen, dass er in der Lage ist, die Handelsbeziehungen zu den Vereinigten Staaten zu stabilisieren.

Sensibilisierung anderer Länder

Die Kommunikation zwischen den Streitkräften beider Länder hat sich in dieser Krise einmal mehr als besonders schwierig erwiesen. Der chinesische Verteidigungsminister weigerte sich, mit seinem amerikanischen Amtskollegen zu telefonieren. Zur Begründung hieß es aus Peking, die Vereinigten Staaten hätten keine „geeignete Atmosphäre für Dialog und Austausch zwischen den beiden Streitkräften geschaffen“. Für den möglichen Fall eines ungewollten militärischen Zusammenstoßes wirft das ernste Fragen auf.

Von Anfang an legte China sich auf die Behauptung fest, es handle sich um einen Wetterballon, der vom Kurs abgekommen sei. Die China-Fachfrau Susan Shirk von der University of California sieht das als „Standard-Notlüge”. „Sie hoffen sicherlich, dass sie Chinesen davon überzeugen können, unschuldige Opfer zu sein, auch wenn die Amerikaner das nicht glauben mögen“, sagte sie der F.A.Z. Die Leiterin des Indo-Pazifik-Programms des German Marshall Funds, Bonnie Glaser, meint dagegen, China wäre besser beraten gewesen, wenn es argumentiert hätte, dass es im Völkerrecht Lücken und daher Regelungsbedarf bei Flügen in dieser Höhe gebe. Die Frage sei, ob Amerika sich auf ein Treffen der Außenminister beider Länder einlassen könne, solange China bei seiner Darstellung bleibe.

Die Affäre hat derweil den Scheinwerfer auf Chinas militärisches Ballon-Programm gerichtet und weitere Länder, wie Japan und Taiwan, dafür sensibilisiert. Chinas Staatsmedien und Wissenschaftler hatten in der Vergangenheit über den militärischen Nutzen von Ballons berichtet, und mehrere Unternehmen hatten sich damit gebrüstet, an solchen Operationen beteiligt zu sein. Die Berichte waren freilich nicht für ein internationales Publikum gedacht.

Source: faz.net