Eine umgestürzte Blutbuche, alt und entwurzelt. Ein leeres Gehege im Wind: Der Emu hat sich schon lange davongestohlen. Vor dem Schlosstor ein schlammbespritzter Land Rover. Vier Buchstaben stehen auf dem Kennzeichen: HXIV.

Das pastellfarbene Schloss erhebt sich am Fuß der Leiser Berge in Niederösterreich, eine knappe Stunde nördlich von Wien. Die Spitze des Zwiebelturms ragt hoch über die Baumwipfel von Ernstbrunn, gut 3000 Einwohner und einer der Wohnsitze des Adelsgeschlechts der Reußen.

Heinrich XIV. Fürst Reuss öffnet die Schlosstür. Königsblaues Einstecktuch, graue Haare, glänzende Lederschuhe. Er habe heute absichtlich keinen Tweed angezogen, sagt er und streicht über sein braunes Jackett. Gut zwei Monate ist es her, dass sein Verwandter im grünen Sakko abgeführt wurde: Heinrich XIII. Prinz Reuß. “Der banale Schick des Antidemokratischen – in Tweed und Seide gewandet”, schrieb der Spiegel in einem Artikel. Der Vierzehnte hat ihn gelesen.

Man hatte ihn am Telefon nicht lange zu diesem Termin überreden müssen, ganz als hoffte er, gehört zu werden. Als Sprecher des Hauses Reuss übernimmt der Vierzehnte die Aufgabe, seine Familie in Deutschland, Österreich und Polen öffentlich zu vertreten. Kurz nach der Festnahme des Dreizehnten hatte er sich in einem Fernsehinterview entrüstet: 850 Jahre sei man ein “tolerantes, weltoffenes Fürstentum” gewesen. Und jetzt das.

Am 7. Dezember vergangenen Jahres nahm die Polizei eine Gruppe von mutmaßlichen Verschwörern fest. 3000 Einsatzkräfte durchsuchten Wohnungen, Häuser und ein Schloss, stellten Munition und Waffen sicher. 25 Beschuldigte kamen in Haft. Der Vorwurf: Bildung oder Unterstützung einer terroristischen Vereinigung und Verdacht der “Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens”.

Das Ziel der Verschwörer demnach: ein Staat nach Vorbild des Deutschen Reiches von 1871. Während Elitesoldaten und Polizisten mutmaßlich den militärischen Arm repräsentieren sollten, während eine Richterin und ehemalige AfD-Politikerin offenbar als Justizministerin übernehmen sollte und eine Ärztin als Gesundheitsministerin, während demnach ein Sternekoch die Kantinen dieses neuen Reiches versorgen sollte, sollte angeblich an der Spitze der Gruppe thronen, als künftiges Staatsoberhaupt: Heinrich der Dreizehnte.

Jetzt sitzt der Dreizehnte im Gefängnis, und der Vierzehnte bittet ins Schloss. “Für all das gibt es keine Entschuldigung”, sagt er. Vielleicht aber eine Erklärung?

Knarrend öffnet sich die Tür zum Empfangszimmer: Stuck an der Decke, Spitzenvorhänge, in der Ecke, wie ein Fremdkörper, ein staubiges Doppelbett. Der Vierzehnte setzt sich an einen Eichentisch. Darauf Bücher: Das Haus Reuss – Teil 1 bis 4 und Vom König zum Führer – Deutscher Adel im Nationalsozialismus. Auf einem alten Buchdeckel das goldene Wappentier der Familie: der Kranich, ein Symbol der Wachsamkeit, trägt in der Kralle einen Stein. Schliefe er ein, würde ihm der Stein auf die andere Kralle fallen, erklärt der Vierzehnte. Eine Warnung. Der Fürst stutzt, begutachtet sein eigenes Wappen: “Ich sehe gerade, dieser Kranich hier trägt gar keinen Stein.”

Neben den Büchern ein Blatt Papier, selbst erstellt am Computer. Linien und Namen, Verbindungen und Stränge, die Grundlage für alles, was zu besprechen ist. Der Vierzehnte hat sich auf dieses Treffen vorbereitet, bemüht, die Ehre der Familie zu retten. Es ist das Papier, das den Dreizehnten und den Vierzehnten verbindet: der Stammbaum der Reußen.

Heinrich XIV. Fürst Reuss: Sprecher des Adelsgeschlechts

Über 3000 verschiedene Adelsgeschlechter gebe es in Deutschland und Österreich, vermutet der Vierzehnte. Das Haus der Reußen stammt aus dem frühen 12. Jahrhundert. Entstanden aus einer Familie von Beamten im Vogtland, sie lebten in Teilen von Bayern, Sachsen, Thüringen und der Tschechischen Republik.

Dass alle männlichen Reuß den Vornamen Heinrich tragen, ist aristokratische Tradition. Der Überlieferung zufolge machte Kaiser Heinrich VI., Herrscher des Heiligen Römischen Reiches, im 12. Jahrhundert einen Reuß sehr mächtig – aus ihm wurde “Heinrich der Reiche”. Der Kaiser verfügte, dass aus Dankbarkeit fortan alle männlichen Kinder Heinrich heißen sollten, seitdem nannte man sie auch die “Heinrichinger”. In keinem anderen Adelsgeschlecht gebe es so etwas, sagt der Vierzehnte, und die anderen Heinriche beobachten ihn dabei goldgerahmt von den Wänden.

Anfangs habe man noch unterschieden zwischen Heinrich dem Älteren, Dicken, Wilden oder Rotbärtigen. Im 16. Jahrhundert sei man dazu übergegangen, alle Heinriche zu nummerieren. “Jedes Jahrhundert fangen wir neu an zu zählen.” Zurzeit leben laut dem Vierzehnten 33 Heinriche.

Ob es dem Vierzehnten mal in den Sinn kam, die Tradition zu brechen und einen Martin oder Robert großzuziehen? Die Frage irritiert. Martin, Robert? Es gebe einen direkten Cousin, der seinen Sohn Avraham genannt habe. Der Fürst selbst würde das unter keinen Umständen machen.

Vier Jahre Altersunterschied und ein Zerwürfnis liegen zwischen ihnen

Seine Finger fahren über den Stammbaum vor ihm auf dem Tisch. Über seine eigene Linie: seine Frau, die zwei Töchter, die zwei Söhne, Heinrich XXIX., noch im 20. Jahrhundert geboren, und Heinrich V., “der kleine Henri”, im 21. Jahrhundert geboren. Gemeinsam mit einer Hausangestellten wohnen sie im Erdgeschoss, der Rest des Schlosses steht leer. Die Finger des Vierzehnten tippen auf Onkel Heino, den letzten, bis 1918 in Thüringen, regierenden Reuß. Und wandern weiter zu Onkel Harry, dem Vater des inhaftierten Prinzen.

Dann macht der Vierzehnte eine Pause. “Und dort wäre die Linie des Dreizehnten.”

Dort, das heißt: sehr weit weg. Der Dreizehnte, sagt der Vierzehnte, sei zwar Teil seiner Familie – aber nur entfernt verwandt. Der letzte gemeinsame Vorfahre: ein General zur Zeit der Napoleonischen Kriege. Verschiedene Stränge einer Dynastie, schon in der Schreibweise: Den Dreizehnten schreibt man Reuß, den Vierzehnten Reuss, so habe es sein Vater der Internationalität wegen entschieden.

Wenn er so spricht, könnte man denken, der Vierzehnte möchte seinen entfernten Verwandten möglichst weit von sich schieben, egal wie.

Heinrich XIII. Prinz Reuß: Mutmaßlicher Kopf der Verschwörer

Auf Familienfeiern habe man sich hin und wieder gesehen, als Jugendliche. Später noch auf der Beerdigung des Vaters des Dreizehnten, 1982. Näher aber stünden ihm der große Bruder des Dreizehnten, Heinrich der Achte. Und sein Vetter auf Schloss Ebersdorf in Thüringen, Heinrich der Neunzehnte. Der Dreizehnte habe auf den Familienfeiern damals “schwungvoll und charismatisch” gewirkt. Im Erwachsenenalter habe man sich dann nur noch selten gesehen, er erinnert sich an die Beerdigung der Mutter des Dreizehnten, 2019 müsste es gewesen sein. Ob man sich die Hand gegeben habe? Der Fürst überlegt. “Ich weiß es nicht”, sagt er. “Aber es wird schon so gewesen sein.”

Zwei Heinriche, zwei Leben. Vier Jahre Altersunterschied und ein Zerwürfnis liegen zwischen ihnen. Der Vierzehnte ist in Schloss Ernstbrunn aufgewachsen, der Dreizehnte in einem bürgerlichen Haus in Büdingen, einer kleinen Stadt in Hessen. Der Vierzehnte ist gelernter Forstmeister, 67 Jahre alt, mit eigenem Forstbetrieb, vier Kinder, verheiratet. Der Dreizehnte Diplomingenieur, 71 Jahre alt und Geschäftsführer einer Immobilienfirma, zwei Kinder, geschieden.

In der Ecke des Empfangszimmers das staubige Doppelbett, “in Erinnerung an meine Eltern”, sagt der Vierzehnte. Als die Reussen 1955 in das bis dahin von Russen besetzte Schloss zurückkehrten, habe eine Zeitung getitelt: In den Fürstengemächern bewegt sich wieder Samt und Seide. In Wirklichkeit habe seine Mutter hier in der ersten Nacht mit der Axt ihres Großvaters unter dem Bett geschlafen. Sollten die Russen zurückkommen. “Ich bin als Flüchtling in Wien auf die Welt gekommen, weil an unserem Schreibtisch ein russischer Direktor saß. Ich habe noch die russische Rechenmaschine von ihm und die Tresore, die er gestohlen hat”, sagt der Fürst.

Draußen, im Schlosspark, rund 60 Hektar groß, führt er vorbei an einem Pool, darüber eine verstaubte Plane. Bitte nicht fotografieren, sagt er. “Könnte protzig wirken.” Er klettert auf die umgestürzte Blutbuche, ein Lächeln für die Fotografin, dann wird ihm schwindelig.

Mehr als tausend Jahre sind manche Mauern hier alt, haben Stürmen und Gewittern, Schlachten und Kriegen standgehalten. Spuren von Artilleriegeschossen erzählen davon. Seit Anfang des 19. Jahrhunderts leben die Reußen hier. Sechs Generationen Heinriche. Der 64., ein kaiserlich-königlicher General der Kavallerie, der 24., ein Komponist, der 34., ein Intellektueller, und der Vierte, der Vater des Fürsten.

Der Vierzehnte hält seine graue Tweedmütze fest, während er durch den Park führt. Es ist nun an ihm, die bröckelnden Mauern zusammenzuhalten. Der Steinsaal sei nach 15 Jahren endlich fertiggestellt, an der Decke des Roten Saals arbeite man gerade.

Offiziell gibt es in Deutschland seit 1919 keinen Adelsstand mehr. Weder Prinzen oder Prinzessinnen, weder Grafen noch Freiherren. Nach der Novemberrevolution verlor der Adel mit der Weimarer Reichsverfassung seine Privilegien. Eines ist geblieben: Der Titel durfte Teil des Nachnamens werden.

Der Dreizehnte finanzierte die Gerichtsprozesse mit dem Familienerbe

Der Vierzehnte ist Erstgeborener, daher nennt er sich nach Familientradition Fürst. Der Dreizehnte trägt als Nachgeborener den Titel Prinz. Gäbe es die Privilegien des Adels noch, der Vierzehnte wäre heute Staatschef eines kleinen Bundeslands, sagt er. Er sei froh, dass ihm das erspart wurde. Der Dreizehnte wäre als Prinz 15. in der Folge, ohne Aussicht auf den Thron.

Im Innenhof lagern fünf Hirschgeweihe, dazwischen liegt ein orangefarbener Plastikball. Die Reußen seien neben den Hohenzollern die einzige Adelsfamilie mit offenen Rückgabefragen, erzählt der Vierzehnte, während er in seiner Manteltasche nach dem Schlüssel fürs Hauptschloss sucht. Das heißt: Sie fordern die Rückerstattung ehemaliger Besitztümer, die von den Sowjets enteignet wurden, sogenannte Restitutionen.

Glaubt man dem Vierzehnten, dann beginnt die Wandlung des Prinzen zum Unglücksprinzen mit dem Scheitern in dieser Frage.

Der Fürst selbst hatte gute Voraussetzungen, seine Besitztümer zurückzuerlangen. Das Entschädigungsgesetz von 1994 regelt unter anderem die Rückgabe der Güter. Ausgeschlossen sind demnach auch solche Familien, deren Angehörige durch ihr Handeln dem Nationalsozialismus “erheblichen Vorschub” geleistet haben. “Der Normalfall ist, dass Deutsche nichts zurückerhalten”, sagt der Vierzehnte. “Ich zähle zu einem kleinen Prozentteil, der das Eigentum zurückbekommen hat.”

Natürlich gebe es Adelshäuser, die stark in den Nationalsozialismus verwickelt waren. “Dazu zählt die Familie Reuß eindeutig nicht”, sagt der Vierzehnte. “Mein Vater ist nach dem Stauffenberg-Attentat am 20. Juli 1944 aus der Wehrmacht entlassen worden.” Das Staatsarchiv in Berlin habe ihm schriftlich bestätigt, dass sein Vater und Großvater nichts mit den Nazis zu tun gehabt hätten. “Es gab in unserer Familie von etwa 60 Personen damals zwei Nationalsozialisten, von denen ich weiß, das waren aber nur sehr entfernte Verwandte”, sagt er.

Der Vierzehnte führt ins Schloss, Stufe für Stufe in die Geschichte seiner Familie. Nach dem Mauerfall seien er und der Dreizehnte “in die Archive gelaufen”, jeder für sich: “Was gibt es über uns? Was können wir finden? Damit wir vielleicht doch eine Chance haben, unser Eigentum zurückzubekommen.” Um Schlösser ging es, um Forsthäuser und Ländereien. Manchmal sogar nur um eine Gartenlaube.

Der Vierzehnte hatte Glück: “Im Jahr 45 waren wir für die deutschen Behörden Österreicher – deshalb galt unser Besitz in Deutschland als ausländisches Vermögen.” Es musste zurückgegeben werden. Der Dreizehnte hingegen war Deutscher, der Staat sei zur Rückgabe der Güter nicht verpflichtet gewesen.

Die Folge: Der Vierzehnte habe viele Prozesse geführt – und sie alle gewonnen, sagt er. Der Dreizehnte hingegen habe noch mehr Prozesse geführt – und die meisten verloren. Über 150 Gerichtsverfahren, Kosten in Millionenhöhe. “Ich habe Mitleid mit dem Dreizehnten”, sagt der Vierzehnte.

Staubige Treppen schwingen sich in höhere Stockwerke. Vorbei an eingebrochenen Decken, Holzleitern, Farbrollen und Lackeimern. Die Räume dunkel und düster, die Flure lang und leer. Die stuckverzierte Decke habe er als 22-Jähriger selbst verputzt, die goldenen Sterne der Kronleuchter selbst gegossen. Das Schloss ist eine Dauerbaustelle. Die Restaurierungen finanziere er auch mit Filmdrehs, die hier hin und wieder stattfinden, zum Beispiel vom Wiener Tatort. Der Fürst nimmt Platz auf einem der vielen Stühle im früheren Kinosaal der russischen Besatzer. An den Wänden Stalin-Zitate. “Wenn du fern der Heimat bist, solltest du dich gut benehmen”, übersetzt er die kyrillische Schrift.

Ein kleines Lächeln: Der Dreizehnte habe seinen eigenen Weg gefunden, die Gerichtsverfahren zu finanzieren: Er verkaufte sein Familienerbe. 1998 mietete das Auktionshaus Christie’s in seinem Auftrag den Konzertsaal in Gera und brachte rund 700 Antiquitäten, Bilder und andere Kunstgegenstände unter den Hammer, aus dem Besitz des Hauses Reuß.

Die Roentgen-Möbel brachten über 100.000 D-Mark ein, genau wie eine Teekanne von Böttger. Lediglich die Majolika-Teller hätten sich schlecht verkauft, erzählt der Vierzehnte. “Die ganze Glorie unserer Familie, innerhalb von drei Tagen abgewickelt”, sagt er etwas fassungslos. Mehrere Millionen Mark habe der Dreizehnte eingenommen. Der Vierzehnte und seine Verwandtschaft hätten sich gezwungen gesehen, mitzubieten, um wenigstens die Ahnenbilder zu retten. Er selbst sei mit seinem Vater vor Ort gewesen, allerdings mit begrenztem Budget. “Unser Limit war 5000 Mark.” Sogar ein zerstörtes Porträt hätten sie erstanden, sagt der Fürst. Die Frankfurter Allgemeine schrieb später, selbst “das völlig zerfetzte Jammerbild des jungen Grafen Heinrich X. Reuß-Köstritz” habe noch schmeichelhafte Erlöse eingebracht.

Warum der Dreizehnte zu solchen Mitteln griff und das Erbe der Familie versteigerte? Man würde ihn dazu gern befragen, nur ist seine Rechtsvertretung für die ZEIT nicht zu erreichen.

Postwurfsendungen mit dem Einmaleins des Reichsbürgertums

Die Auktion jedenfalls, so sagt es der Vierzehnte, sei für den Dreizehnten der Anfang vom Ende gewesen, familiär gesehen. Der Vater des Vierzehnten habe dem Dreizehnten nahegelegt, den Familienverbund zu verlassen. Seit 14 Jahren ist der Dreizehnte nun schon nicht mehr offizieller Teil der Reußen, und der Vierzehnte wirkt nicht, als ob es ihm leidtäte. Seitdem herrscht Funkstille.

Stunden sind vergangen, durch die Fenster kündigt sich der Abend an. An der Wand eine halb fertige Zeichnung von Schloss Ebersdorf, Eigentum der Familie in Thüringen. Eine ukrainische Künstlerin malt die Wohnsitze der Reußen. Frauen und Kinder aus der Ukraine sind in den Häusern auf dem Gelände von Schloss Ernstbrunn untergekommen.

Das Geld aus der Versteigerung bei Christie’s habe der Dreizehnte auch genutzt, um das Schloss Waidmannsheil in Bad Lobenstein zurückzukaufen, sagt der Vierzehnte. Ein kleines Jagdschloss, das einst der Familie gehörte. Dort habe der Prinz am Wochenende mit seiner heute 32-jährigen Tochter gelebt, die mit Trisomie 21 zur Welt kam. Das Schloss gilt den Ermittlern als Treffpunkt der Verschwörer.

Der Vierzehnte wiederum habe alle paar Wochen unweit des Jagdschlosses in einem kleinen Forsthaus übernachtet. Beide Heinriche teilen nicht nur den Namen, sondern auch die Liebe für schnelle Autos, so der Fürst. Immer wieder sei es vorgekommen, dass ihm die Strafzettel des Dreizehnten für zu schnelles Fahren zugestellt wurden. Und umgekehrt. Da sie nicht miteinander sprachen, war es Aufgabe der Angestellten, die Strafzettel korrekt zu überbringen.

Doch der Vierzehnte behielt seinen Verwandten im Blick. In einem Video sah er, wie der im Januar 2019 vor ein Rednerpult trat. Ein Auftritt auf dem sogenannten Worldwebforum in Zürich, einem Treffen von Unternehmern. Der Dreizehnte sprach über “die Abschaffung der Monarchie und das Leid, welches daraus erfolgte”. Beschuldigte die jüdische Unternehmerfamilie Rothschild, Kriege finanziert und Monarchen beseitigt zu haben.

Er habe sich den Text der Rede extra ausgedruckt, sagt der Vierzehnte, um Stellung nehmen zu können. 30 Prozent Antisemitismus, 30 Prozent Antiamerikanismus, urteilt der Fürst über den Inhalt.

Noch im selben Jahr ein weiteres Video: Dieses Mal sprach der Dreizehnte mutmaßlich auf Einladung Russlands in Genf auf einer Veranstaltung der Vereinten Nationen, Thema: die Behinderung seiner Tochter und das Unrecht, das der deutsche Staat ihr angeblich antue. Der Fürst runzelt die Stirn: Lange habe er nachgedacht, ob sich die Familie distanzieren sollte. Sein Anwalt habe ihm geraten, nichts zu unternehmen. “Was vielleicht ein Fehler war”, sagt der Vierzehnte. “Wir hofften, es verschwindet wieder.”

Es verschwand nicht.

Erst im vergangenen Jahr fanden Hunderte Anwohner Bad Lobensteins Postwurfsendungen in ihren Briefkästen. Darauf das Einmaleins des Reichsbürgertums. Den Empfängern wurde erklärt, sie seien nicht im Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit, weil es so etwas gar nicht gebe. Auf der Vorderseite des Schreibens: das Wappen der Reußen. Auf der Rückseite eine Liste mit Internetlinks zu den Reden des Dreizehnten.

Eine Aktion des Dreizehnten?

Der Vierzehnte glaubt daran nicht. Der Prinz habe mehr Sinn für Ästhetik. “Das Wappen war so geschmacklos gestaltet, das kann er kaum gemacht haben.” Immerhin sei sich doch schon darüber mokiert worden, dass der Dreizehnte “zu perfekt” angezogen sei. “Ein ganzer Artikel im Spiegel nur über seinen Kleidungsstil!”, sagt der Vierzehnte und streicht über sein Sakko, das nicht aus Tweed ist.

Draußen vor dem Schloss leuchtet das letzte Licht über die Auffahrt, den Kies, die Bäume. Die Führung durch Hallen und Flure ist längst abgeschlossen. An der Wand ein Porträt des Vaters des Vierzehnten, Heinrich des Vierten. Er sitzt auf einem Baumstamm, vielleicht eine Buche. Der Vierzehnte setzt sich darunter.

Er denkt nach, sortiert seine Gedanken: Man solle “persönliches Unglück” nicht verwechseln “mit finsteren Mächten”. Es ist klar, wen er meint.

Und doch, bei aller Distanzierung auch etwas Schutz für den Dreizehnten. “Ich würde vorsichtig sagen, es gibt sicher gefährlichere Verschwörer in Deutschland”, sagt er. “So plant man doch keinen Putsch.”

Der Vierzehnte führt zur Tür. An der Wand hängen Gemälde. “Die Europa und der Stier. Meine Eltern.” Er blickt aus dem Fenster: “Und da sind die Wölfe.”