Münchner Sicherheitskonferenz: Aussichten auf einen langen Krieg
Mit Wladimir Putin gibt es in diesen Tagen nicht viel zu besprechen. Das scheint die vorläufige Botschaft der Münchner Sicherheitskonferenz zu sein, auf der kaum ein Thema so sehr drängt wie der Krieg gegen die Ukraine. Sicher auch, weil ein Jahr zuvor an selber Stelle, wenige Tage vor dem russischen Angriff, noch vieles möglich schien. Da habe es noch einen Hoffnungsschimmer gegeben, dass Putin beeindruckt sein würde von der Geschlossenheit der internationalen Gemeinschaft, hielt Gastgeber Christoph Heusgen am Freitag zur Eröffnung fest. War er nicht und ließ Panzer rollen und Raketen fliegen.
Wer hatte nicht alles am langen Tisch im Kreml Platz genommen, um das noch irgendwie abzuwenden. Und die vielen Telefonate. Der Schock saß tief, trotzdem schien die Diplomatie auch nach dem Angriff nicht tot, ob nun ukrainische Delegationen mit Vertretern Russlands verhandelten oder insbesondere Emmanuel Macron, Olaf Scholz und Joe Biden wieder und wieder in Moskau anriefen.
Heute ist die Lage eine andere. Denn eigentlich muss allen klar sein, dass dieser Krieg nicht bald zu beenden sein wird. Jedenfalls nicht durch Gespräche, an denen Putin so offensichtlich kein Interesse hat. “Die Zeit ist nicht reif für einen Dialog mit Russland”, attestierte etwa der französische Präsident in München. Macron hatte ja gelegentlich mit etwas sonderbaren Vorstellungen irritiert, etwa dass auch Russland Sicherheitsgarantien brauche und Putin nicht gedemütigt werden sollte. Jetzt gab er als Ziel aus, der Ukraine mit noch einmal verstärkter Militärhilfe eine Gegenoffensive zu ermöglichen. Nur so lasse sich Russland zu Verhandlungen bringen, “zu den Konditionen der Ukrainer”, nur so könne es einen glaubwürdigen Frieden geben – in Wochen, Monaten, aber man sei auch “bereit für einen anhaltenden Konflikt”.
“Nicht unsere Waffenlieferungen sind es, die den Krieg verlängern”
Mehr helfen, schneller auch, und vor allem durchhalten, so kristallisiert sich heraus, was die westlichen Verbündeten für das Gebot der Stunde halten. Und womit sie im Ansatz sicher richtig liegen. Denn Putin spielt auf Zeit. Das Signal, das in München all jene gern aussenden wollen, die der Ukraine beistehen, mag sein: Vergeblich, wir halten zusammen, wir haben die Kraft, wir lassen uns nicht spalten. Doch Russland setzt nicht nur in der Ukraine selbst auf einen Abnutzungskrieg – auch die Solidarität des Westens soll auf Dauer stumpf werden. Was im Grunde dafür spricht, bei der Hilfe wirklich noch draufzulegen, um eine echte Wende im Krieg offensiv herbeizuführen, so wie Macron es beschrieb. Und so wie es der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj per Videoübertragung zu Beginn der Konferenz noch einmal eindringlich gefordert hatte – “denn davon hängt unser Leben ab”.
Womöglich hat auch der Bundeskanzler das grundsätzlich erkannt, wenn er sagt: “Je früher Präsident Putin einsieht, dass er sein imperialistisches Ziel nicht erreicht, desto größer ist die Chance auf ein baldiges Kriegsende, auf Rückzug russischer Eroberungstruppen.” Scholz betonte: “Nicht unsere Waffenlieferungen sind es, die den Krieg verlängern.” Das Gegenteil sei richtig.
Nur bleibt die Frage, bei aller demonstrativer Geschlossenheit, die auch an diesem Samstag wieder vielfach zu hören sein wird: Reicht es? Scholz etwa mag genießen, dass er das Bild des unwilligen, in vagen Eskalationsängsten erstarrten Zauderers für den Moment ein wenig beiseiteschieben kann. Plötzlich gefällt er sich als Vorreiter einer Kampfpanzerkoalition, in der nicht Deutschland bremst, sondern wo die Beiträge jener sich verzögern, die vorher so viel Druck gemacht haben. Die müssten “nun auch wirklich” liefern, mahnte der Kanzler. Das ging vor allem an Polen.
“Weise, auf einen langen Krieg vorbereitet zu sein”
Aber es geht eben nicht darum, wer gerade am besten dasteht und sich brüsten kann, in Summe aller Aufwendungen zu den wichtigsten Unterstützern zu gehören, sondern tatsächlich: Bekommt die Ukraine alles, was sie braucht? Und zwar jetzt, wenigstens sehr bald. Das Versprechen “so lange wie nötig” ist genauso wichtig, wird aber erst morgen relevant, wenn die Ukraine heute gegen die russische Aggression bestehen kann.
Und da geht Scholz anders als Macron das Wort Offensive nicht über die Lippen. Stattdessen kündigt er an, die “Balance zwischen bestmöglicher Unterstützung der Ukraine und der Vermeidung einer ungewollten Eskalation” auch weiterhin halten zu wollen: “Sorgfalt vor Schnellschuss, Zusammenhalt vor Solovorstellung”, die Konsequenzen sorgfältig abwägen, enge Abstimmung mit Partnern – die das, angefangen mit US-Präsident Biden, vielfach ähnlich sähen, worüber der Kanzler “froh und dankbar” sei.
Damit klingt die Maßgabe, “unsere Unterstützung von Anfang an so anzulegen, dass wir sie lange durchhalten”, dann doch nach etwas anderem: Die Ukraine bekommt das Nötigste, um nicht unterzugehen, aber wir wollen sie nicht zu sehr für einen Sieg rüsten, um Putin nicht zu provozieren. So gesehen verlängern vielleicht nicht Waffenlieferungen generell den Krieg, aber ihr begrenztes Ausmaß und das Immer-ein-bisschen-spät-Timing nehmen ihnen den Effekt. “Es ist weise, auf einen langen Krieg vorbereitet zu sein”, sagte Scholz im Gespräch mit der CNN-Reporterin Christiane Amanpour. Da würde wohl auch Putin nicht widersprechen.
Das Drängen geht weiter
Die akuten Probleme auf der Suche nach einsatzbereiten Panzern und Granaten, die Aussicht auf ein Kriegsende in weiter Ferne und alles dazwischen prägten schließlich auch das Treffen des sogenannten Weimarer Dreiecks am Freitagabend. Das deutsch-französisch-polnische Dialogformat wollten Scholz, Macron und der polnische Präsident Andrzej Duda noch einmal wiederbeleben. Es hatte jahrelang brach gelegen, war erst im Februar 2022 wieder hochrangig aufgenommen worden.
Jetzt betonte die Dreierrunde ihre enge Zusammenarbeit, insbesondere mit Blick auf die Ukraine. Duda forderte schon vor dem Gespräch, deren Unterstützung müsse noch zunehmen, um Russland aus den besetzten Gebieten zu vertreiben. Macron war ihm damit näher als Scholz, der gefühlt schon wieder zum Bedrängten wurde. “Um Bewegungen in Gang zu setzen, braucht es bisweilen den starken Anstoß”, hatte der polnische Botschafter in Deutschland, Dariusz Pawłoś, kürzlich in einem Interview gesagt. Wer hier wen stößt, darauf kommt es wohl weniger an, als dass Frankreich, Deutschland und Polen gemeinsam noch mehr anschieben.