Brüssels Datendeal mit den USA, der Millionen Deutsche betrifft

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Die Namen klangen jedes Mal vielversprechend. Zuerst „Safe Harbor“ – ein sicherer Hafen für persönliche Daten. Später „Privacy Shield“ – ein Schutzschild für die Privatsphäre. Doch die beiden Internetabkommen, geschlossen zwischen der EU und den USA, wurden vor Jahren von einem Gericht gekippt. Sie erlaubten Amerikas Geheimdiensten, so lautete damals die Begründung, den Zugriff auf Informationen europäischer Internetnutzer. Nun soll es einen dritten Deal geben. Er dürfte wieder scheitern.

Es ist eine zentrale Frage für die europäische und amerikanische Wirtschaft und für Millionen Menschen: Dürfen Google, Amazon, Facebook, Instagram, WhatsApp und all die anderen US-Plattformen persönliche Daten deutscher, französischer, italienischer Nutzer in die Vereinigten Staaten transferieren? Und wie werden die Informationen dort geschützt? Am Ende steht nichts weniger auf dem Spiel als die Zukunft der Tech-Unternehmen in Europa und die Privatsphäre der EU-Bürger.

Facebook drohte schon, sich aus der EU zu verabschieden, sollte man keine Daten mehr in die USA schicken dürfen. Experten betrachten das aber als einen PR-Stunt, als Versuch, die Kommission in Brüssel unter Druck zu setzen. Klar ist: Derzeit herrscht Unsicherheit. Es gibt – vereinfacht gesagt – keinen rechtlichen Rahmen, der alle Arten von Datentransfers zwischen Europa und Amerika abdeckt.

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2015 hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) Safe Harbor für ungültig erklärt, 2020 den Nachfolger Privacy Shield. Denn beide Abkommen, so argumentierten die Juristen, blieben hinter den Standards für Datenschutz zurück, die in der EU gelten. Der EuGH kritisierte vor allem, dass US-Geheimdienste – wie der Whistleblower Edward Snowden 2013 offenlegte – ohne Verdacht massenweise Daten abschöpfen können.

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Nun, nach dreijährigen Verhandlungen, versuchen es Europa und Amerika erneut. Der Titel des geplanten Abkommens lautet dieses Mal ganz schlicht: „Trans-Atlantic Data Privacy Framework“, kurz TADPF. Der Pakt soll sicherstellen, dass Daten von Internetnutzern in der EU weiterhin in die USA fließen dürfen. Die Internetkonzerne freuen sich – doch in Brüssel gibt es Widerstand. Das zeigt ein erster, unveröffentlichter Berichtsentwurf des Europäischen Parlaments, der WELT vorliegt.

Die zentrale Aussage: Das Parlament lehnt den Datendeal ab, den US-Regierung und EU-Kommission vereinbart haben. Der Spanier Juan Fernando López Aguilar, Vorsitzender des für das Abkommen zuständigen Innenausschusses, schreibt: Man könne der USA keine „Angemessenheit“ beim Datenschutz zuerkennen. Damit ist gemeint, dass das Schutzniveau für persönliche Informationen in Amerika – noch immer – hinter den EU-Standards zurückbleibt.

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Andere sehen es ähnlich. „Das geplante Datenschutzabkommen zwischen der EU und den USA ist alter Wein in neuen Schläuchen“, sagt Moritz Körner, Abgeordneter der FDP im EU-Parlament, zu WELT. „Der neue Angemessenheitsbeschluss der Kommission wird einer EuGH-Überprüfung nicht standhalten.“ Die Rechtsunsicherheit, sagt Körner, bleibe bestehen. Und das sei Gift für die Wirtschaft.

Körner gehen die Vorschläge der Amerikaner nicht weit genug. „Das Ziel der US-Regierung“, sagt er, „ist es offensichtlich, mit kosmetischen Änderungen der EU-Kommission ein politisches Feigenblatt zu bieten, damit die Daten wieder ungehindert fließen können.“ Das neue Abkommen erlaube es Behörden in den Vereinigten Staaten weiterhin, Europäer zu überwachen, kritisiert Körner. Im nächsten Schritt müssen die EU-Staaten dem Deal zustimmen, doch das gilt als Formsache. Das Parlament kann nur eine Empfehlung abgeben.

Die amerikanische Regierung beteuert, mit TADPF hätten Geheimdienste weniger Zugriff auf die persönlichen Daten von Ausländern als einst mit Safe Harbor und Privacy Shield. Doch ist das so? Nicht nur die Abgeordneten in Brüssel sind skeptisch.

„Das neue Abkommen ist ein Etikettenschwindel“, sagt Thilo Weichert vom Netzwerk Datenschutzexpertise. „Es gibt keine inhaltlichen Veränderungen, man hat bloß einige Wörter ausgetauscht.“ So hieß es in den früheren Abkommen etwa, die Verarbeitung von Daten in den USA müsse „maßgeschneidert“ erfolgen, nun ist die Rede von „verhältnismäßig“. In Wahrheit, so Weichert, könnten die US-Geheimdienste weitermachen wie bisher. Und es gebe keine Möglichkeit für Europäer, dagegen vor einem unabhängigen Gericht vorzugehen.

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Auch Weichert glaubt, dass das Abkommen nicht lange Bestand haben wird. „Die EU-Kommission dürfte TADPF zwar als angemessen anerkennen“, sagt er. „Doch das wird wieder nur eine vorübergehende Lösung sein.“ Es sei zu erwarten, dass der EuGH die Vereinbarung im Fall einer Klage kippe.

Gegen Safe Harbor und Privacy Shield hatte ein Österreicher geklagt, Max Schrems. Die Urteile des EuGH sind deshalb als Schrems I und Schrems II bekannt. Nun könnte bald Schrems III folgen. Denn der Jurist will wieder vor Gericht ziehen.

„Leider werden wir das nochmal machen müssen, auch wenn ich persönlich wirklich wenig Lust dazu habe“, sagt Schrems zu WELT. „Der EuGH hat nun schon zweimal festgehalten, dass die US-Überwachung mit EU-Grundrechten nicht in Einklang zu bringen ist.“ Die EU-Kommission beiße sich an den USA die Zähne aus. Die Regierung in Washington sei nicht bereit, die gesetzliche Grundlage zu ändern, die den Geheimdiensten das umfassende Abgreifen von Daten europäischer Internetnutzer erlaube. Stattdessen würden neue Datenpakte zwischen Europa und Amerika bloß mit schön klingenden Formulierungen versehen.

Bald dürfte sich der EuGH also wieder mit dem Thema Datenschutz befassen. Und nicht einmal die EU selbst scheint vollständig überzeugt, dass ihr Abkommen das überlebt. Justizkommissar Didier Reynders sagte kürzlich, auf einer Skala von eins bis zehn dürfte TADPF vor Gericht eine Chance von „sieben bis acht“ haben.

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Source: welt.de