„Haben noch die Botschaft gesichert, einige Dinge vernichtet, andere mitgenommen“

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Es war eine Nachricht, die angesichts des russischen Angriffs auf die Ukraine vor einem Jahr ein wenig verblasste, aber sie hatte ein mediales Nachspiel. Ausgerechnet an dem Tag, als Russland die Ukraine überfiel, dem 24. Februar 2022, hielt sich der Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND) in Kiew auf. Am Vortag war Bruno Kahl in seiner Dienstmaschine dorthin geflogen, um Gespräche mit dem ukrainischen Nachrichtendienst zu führen.

Als sich an diesem 23. Februar in westlichen Hauptstädten und auch in Berlin die Hinweise auf den unmittelbar bevorstehenden russischen Überfall verdichteten, wurde die deutsche Botschafterin in Kiew nach Berlin zurückbeordert. Und zwar sofort. In einem Evakuierungskonvoi verließ sie noch am späten Abend des 23. Februar die ukrainische Hauptstadt. Nicht so Kahl.

Der Chef des deutschen Auslandsgeheimdienstes blieb in Kiew. Erst am anderen Tag, während der russische Angriff schon im vollen Gange war, brach auch er zur ukrainischen Westgrenze auf. In deutschen Medien wurde das damals als peinliche Panne und überstürzte Flucht dargestellt – offenbar ahnungslos sei Kahl zu Kriegsbeginn hingeflogen, habe dann in der Not sein Flugzeug heimgeschickt und jenen ersten Evakuierungskonvoi verpasst, sodass ein zweiter für ihn habe improvisiert werden müssen. Da erklang es wieder, das alte Lied von den doofen deutschen Schlapphüten.

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Von Personen, die mit dem Vorgang vertraut waren, wurde diese Darstellung immer schon als unzutreffend bezeichnet. Nun äußert sich der BND-Präsident erstmals selbst zu den Ereignissen vor einem Jahr. „Meine Reise nach Kiew war lange geplant gewesen“, sagte Kahl gegenüber WELT. Sie sei dann bei der Münchner Sicherheitskonferenz 2022, nur wenige Tage vor Kriegsausbruch, konkret vereinbart worden.

„Unser ukrainisches Gegenüber zeigte großes Interesse an diesem Besuch und hat mich gebeten, auf gar keinen Fall abzusagen“, berichtet Kahl. Dies sei für beide Seiten „auch ein wichtiges Zeichen der Solidarität“ gewesen. „Mein Besuch erfolgte im vollen Bewusstsein des Risikos und aller denkbaren Szenarien. Letztlich habe ich mit meiner Kiew-Reise einfach nur meinen Job gemacht.“

KYIV, UKRAINE - FEBRUARY 28: People crowd the Kyiv train station platform to catch trains to Poland or to places in the western parts of Ukraine on February 28, 2022 in Kyiv, Ukraine. As Russia’s large-scale invasion of Ukraine entered its fifth day, the capital was quieter overnight but Russian forces continued to mass outside the city. Ukrainian forces waged battle to hold other major cities. (Photo by Chris McGrath/Getty Images)
Im Februar 2022 flohen die Menschen vor den russischen Angriffen aus der Hauptstadt Kiew
Quelle: Getty Images/Chris McGrath

Sein Besuch, sagte Kahl weiter, sei kürzer ausgefallen als geplant, „aber eine überstürzte ‚Flucht aus Kiew‘ oder gar eine ‚Evakuierung‘, die in manchen Medien kolportiert wurde, gab es nicht im Mindesten.“ Auch die Darstellung, er habe seine Dienstmaschine überstürzt aus Kiew heimgeschickt, weist der BND-Prädident zurück.

„Angesichts des drohenden russischen Überfalls auf die Ukraine hatten wir von vornherein entschieden, das Dienstflugzeug nach unserer Ankunft in Kiew gleich wieder zurückzuschicken, da in dem Fall mit einer Sperrung des Luftraums zu rechnen war. Daran können Sie erkennen, wie wir die Lage einschätzten – nämlich so, dass es jederzeit ernst werden konnte. Im Vorfeld waren wir mit unserem Krisenteam unterschiedliche Szenarien durchgegangen.“

Es war der, der die Welt veränderte

Kahl bestätigt Medienberichte, am Vorabend des russischen Überfalls die deutsche Botschafterin in Kiew zum Abendessen getroffen zu haben, dementiert aber, ihren Evakuierungskonvoi an jenem späten Abend verpasst zu haben. Während des gemeinsamen Abendessens habe die Botschafterin „einen Anruf aus Berlin“ erhalten, „in dem sie aufgefordert wurde, die Ukraine noch am selben Abend zu verlassen. Ich beriet mich mit meinen Mitarbeitern und beschloss, noch zu bleiben.“ Man habe am anderen Tag noch Gespräche mit den ukrainischen Partnern zu führen gehabt. Der andere Tag, es war der, der die Welt veränderte.

„So kam es, dass meine Leute und ich am 24. Februar die letzten offiziellen Vertreter Deutschlands in Kiew waren“, erinnert sich der BND-Präsident. „Wir haben noch die deutsche Botschaft gesichert, einige Dinge vernichtet, andere mitgenommen. Zuletzt haben wir die deutsche Fahne eingerollt und mitgenommen.“

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Gefragt, ob in dieser Lage in seiner Umgebung Panik oder Angst aufgekommen seien, erklärte Kahl: „Nein, ich hatte keine Angst, ich war mit absoluten Profis unterwegs. Natürlich war es eine bedrückende Situation, aber alles, was wir taten, lief vollkommen besonnen, planvoll und professionell ab.“ Auch die Rückfahrt auf dem Landweg sei – wie der sofortige Rückflug der Dienstmaschine – von vornherein geplant gewesen.

Natürlich habe die Fahrt seines Konvois am 24. Februar in Richtung der ukrainischen Westgrenze unter dem Eindruck des Kriegsausbruchs gestanden. „In der Umgebung von Kiew waren viele Militärfahrzeuge unterwegs, zur Grenze hin dann weniger. Wir fuhren mit fünf Wagen mitten in einer riesigen Fluchtwelle nach Westen. Die zweispurige Straße wurde vierspurig genutzt, aber nur in eine Richtung.“

Vor der Grenze habe sich ein 20 Kilometer langer Stau gebildet. Hinten anstellen musste sich der Konvoi der deutschen Nachrichtendienstler nicht. „Die ukrainischen Grenzbeamten lotsten uns wegen unseres Diplomatenstatus zwar etwas schneller durch, aber insgesamt brauchten wir 36 Stunden bis zur Grenze.“

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Quelle: AFP, AFP/ AFP/ Saul Loeb
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Source: welt.de