Sparkassen-Präsidentin: „Die Krise hat die Mittelschicht erfasst“
„Die Krise hat die Mittelschicht erfasst.“ Dies sagte Liane Buchholz am Dienstag. Die Präsidentin des Sparkassenverbands Westfalen-Lippe ist eine Freundin klarer Worte. Wie auch ihr Bundespendant Helmut Schleweis, für dessen Nachfolge sie ihren Hut ins Rennen geworfen hatte, sich dann aber ihrem bayerischen Amtskollegen Ulrich Reuter geschlagen geben musste. Die Wahl wird er wohl für sich entscheiden, denn die Mehrheit der zwölf deutschen Sparkassenverbände weiß er hinter sich. Buchholz ging in ihrer Rede auf der Jahrespressekonferenz in Münster nicht auf diese Personalie ein.
Deutlicher wurde sie in der Beschreibung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ihrer Kunden: Der Wohlstandsverlust treffe die Menschen hart: „Rund die Hälfte der Menschen geben an, dass sie auf ihre Ersparnisse zurückgreifen. 70 Prozent verschieben größere Anschaffungen. Die Zahl der Negativeinträge bei der Schufa hat um rund 30 Prozent gegenüber dem Vorjahr zugenommen. Wie das Statistische Bundesamt ermittelte, hatten schon vor diesem Krisenjahr fast ein Drittel aller Deutschen kein Geld, um unerwartete Ausgaben über 1150 Euro zu stemmen.“
Wann kriegen die Kunden mehr Zinsen?
Die Zahlen der per Jahresende noch 52 Sparkassen (derzeit sind es nach Fusionen noch 50) in Westfalen und Lippe geben das durchaus her. Zwar haben die Menschen durchaus noch Geld, das sie auf die hohe Kante legen können. Doch die Sparquote ging von 15,1 Prozent im Corona-Jahr 2021 um 3,9 Prozentpunkte auf 11,2 Prozent zurück.
„Dass es den Menschen angesichts der hohen Inflation überhaupt möglich war, ihre Einlagen zu steigern, mag auf den ersten Eindruck überraschend sein. Wir gehen jedoch davon aus, dass sie ihr Geld in der Negativzinsphase verstärkt zu Hause in bar aufbewahrt haben, um Verwahrentgelte zu vermeiden. Mit der Zinswende landet dieses Geld wieder vermehrt auf den Konten“, sagte Buchholz.
Die Inflation habe aber von den 93,2 Milliarden Euro, welche die westfälisch-lippischen Sparkassenkunden auf der hohen Kante haben, 7,4 Milliarden Euro wieder aufgefressen. Dieser Einschnitt verschärfe empfindlich die Bedingungen, unter denen die Menschen ihre Vorsorge betrieben, und führe zudem zu einer Ausweitung der Altersarmut, die besonders bei Frauen immer mehr Fahrt aufnehme.
Nun läge es an den Sparkassen, den Wertverlust des Gesparten durch Zinsen etwas auszugleichen. Immerhin 2,5 Prozent zahlt die Europäische Zentralbank den Instituten für ihre Einlagen. Und gerade die Sparkassen sind nicht gerade bekannt dafür, solche Zinsen an ihre Kunden weiterzugeben. Buchholz blieb entsprechend vage: „Wenn sich die Märkte eingependelt haben, dürften Tagesgeld, Sparbücher, Festgeld und Lebensversicherungen wieder in ganz anderem Licht dastehen.“
Wann, ließ sie offen. Ob es schon Sparkassen in der Region gibt, die Sparern Zinsen zahlen, ist unklar. Darüber erhalte man keine Zahlen, was daran liege, dass man auf die Preispolitik der einzelnen Sparkassen keinen Einfluss nehmen dürfe, hieß es vom Verband auf Nachfrage.
Umso aussagekräftiger sind die Zahlen, wie sich die Zinswende auf die Sparkassen selbst ausgewirkt hat. Der Zinsüberschuss stieg um 6,8 Prozent auf 2,38 Milliarden Euro. Deutlicher ist aber das Bewertungsergebnis, das das Betriebsergebnis von rund 1,4 Milliarden Euro halbierte. Von den 703 Millionen Euro mussten 668 Millionen Euro auf Wertpapiere abgeschrieben werden.
Hohe Abschreibungen auf Anleihebestände
2008, in der Finanzkrise, waren es 524 Millionen Euro. Durch den Zinsanstieg sind die Anleihen, in denen die Sparkassen Kundeneinlagen anlegen, die sie nicht als Kredite weitergeben konnten, im Kurswert gesunken. Unter dem Strich blieb den Sparkassen in Westfalen und Lippe noch ein Jahresergebnis von 164 Millionen Euro.
Noch drastischer traf das Bewertungsergebnis die Sparkassen in Ostdeutschland, die ebenfalls am Dienstag ihre Jahresbilanz vorlegten. Die 43 öffentlich-rechtlichen Institute in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Sachsen-Anhalt erzielten vor Bewertung ein Ergebnis von 1,32 Milliarden Euro, mussten aber 1,42 Milliarden Euro auf Wertpapier-Eigenanlagen abschreiben.
Die Bewertungsverluste beunruhigen auch die Bankenaufseher in der Bundesbank und der Finanzaufsicht Bafin. „Bei vielen kleineren Banken sind die stillen Reserven als erste Verteidigungslinie jetzt aufgebraucht“, sagte Bafin-Präsident Mark Branson im Januar. Dem hält Heinz-Gerd Stickling, Partner der Beratungsgesellschaft Zeb, entgegen, dass Sparkassen und Volksbanken die Anleihen überwiegend bis zur Endfälligkeit halten. „Somit sind die heute notwendigen Abschreibungen die Zuschreibungen der Zukunft“, sagte er auf Anfrage der F.A.Z.
Die Bewertungsverluste beschränkten sich im Wesentlichen auf die Wertpapierseite beziehungsweise auf schlagende Zinsänderungsrisiken. Die Wertpapiere in den Eigenanlagen (Depot A) seien aber von sehr hoher Bonität und Liquidität. Diese Attribute zeichnen zum Beispiel Bundesanleihen aus. Die Bonität der Kreditbücher ist nach Ansicht von Stickling hoch, und dank der vergleichsweise stabilen Wirtschaftsperspektiven – keine schwere Rezession in Sicht – und stabiler Immobilienmärkte in Verbindung mit hohen Sicherheitsstandards erwartet er in absehbarer Zeit keine hohen Wertberichtigungen für Kredite.
Source: faz.net