Mit einem High-Tech-Zug wollte die DDR dem Westen Konkurrenz machen

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Für die Leser musste es wie Hohn wirken. „Internationale Zugverbindungen erweitert“, berichtete die „Neue Zeit“, das Blatt der Blockpartei Ost-CDU, am 23. Mai 1965. Im Artikel auf Seite 7 der linientreuen Zeitung hieß es weiter: „Für 1965 ist nach den Anmeldungen des Deutschen Reisebüros (Eigenname der DDR-Reiseverwaltung; d. Red.) und den Erwartungen der ausländischen Eisenbahnverwaltung und Reisebüros mit einem weiteren Anwachsen des internationalen Reiseverkehrs zu rechnen. So werden in der diesjährigen Touristensaison mehr als 650.000 Gäste als aus allen europäischen Ländern in der DDR erwartet.“

Gäste aus europäischen Ländern in der DDR – über DDR-Bürger als Besucher anderer europäischer Länder hingegen fand sich kein Wort. Natürlich nicht, denn alle Ziele westlich des Eisernen Vorhanges waren für Untertanen des SED-Staates seit spätestens dem 13. August 1961 ohne Lebensgefahr praktisch unerreichbar. Aber auch Reisen in andere Staaten des Ostblocks, beispielsweise nach Budapest, Prag oder Warschau, waren staatlich streng reglementiert.

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Der Prestigezug der DDR-Reichsbahn 1967 im Hauptbahnhof von Dresden
Quelle: Wikimedia / CC-BY-SA 3.0

Angesichts dieser Beschränkungen erstaunte es schon damals, dass die SED-Diktatur viel Geld und Ressourcen einsetzte, um moderne, konkurrenzfähige Züge zu entwickeln. Im selben Jahr 1965 begann die Serienproduktion von insgesamt acht Schnelltriebwagen der Baureihe VT 18.16. Dieser dieselhydraulische Zug mit zwei Triebköpfen und bis zu vier Mittelwagen sollte die vermeintliche Modernität des Realsozialismus auf der Schiene demonstrieren und dem knapp zehn Jahre zuvor eingeführten Trans-Europa-Express VT 11 der (west-)Deutschen Bundesbahn Konkurrenz machen. Der VT 18.16 war so etwas wie der ICE der DDR.

Die Züge kamen meist im internationalen Verkehr von Malmö und Kopenhagen über Ost-Berlin und Prag nach Österreich zum Einsatz. Die Schnelltriebwagen waren für 160 km/h zugelassen, jedoch galt auf den Strecken der Reichsbahn ein Tempolimit von 120 km/h. Besonders bekannt wurde die Nutzung unter dem Namen „Vindobona“ für die Verbindung über Prag nach Wien. Für DDR-Bürger war allerdings in aller Regel vor der tschechisch-österreichischen Grenze oder, wenn es nach Malmö ging, in Rostock Endstation.

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Nach knapp einem Vierteljahrhundert war 1990 nur noch einer der acht gebauten Züge fahrbereit; er lief nach der Deutschen Einheit noch bis 2003 als Sonderzug im Nostalgieprogramm der Bahn. Die kommenden 18 Jahre rottete dieser VT 18.16 vor sich hin. Erst 2021 begann die Restaurierung durch Eisenbahn-Enthusiasten. Viel mehr als eine rostige Hülle ist allerdings kaum übrig, zeigte sich nach der Zerlegung. Bis Ende 2023 soll er trotzdem restauriert und wieder fahrbereit sein. Das Ziel: Mit 200 Fahrgästen an Bord zwei Jahrzehnte nach seiner Abschiedsfahrt gen Prag wieder dieselbe Strecke fahren. Die Genehmigung für den Betrieb in der Tschechischen Republik liegt bereits vor.

Fünf Millionen für die Restaurierung

Hinter dem Projekt stehen Bahn-Enthusiasten, die sich in der 2019 gegründeten gemeinnützigen GmbH SVT Görlitz zusammengetan haben. „Unser Ziel ist die Aufarbeitung des Zuges und dessen langfristiger wirtschaftlicher Betrieb“, erklärt der ehrenamtliche Geschäftsführer Mario Lieb. Um mindestens 16 Jahre gehe es. Fünf Millionen Euro soll das Projekt kosten, von denen der Bund etwa vier Millionen Euro beisteuert, der Freistaat Sachsen weitere 300.000 Euro. Rund 700.000 Euro Eigenmittel muss die GmbH einbringen – auf verschiedenen Wegen: durch Spenden ebenso wie durch Arbeitsleistung am Zug und seinen Teilen.

PRODUKTION - 15.02.2023, Sachsen-Anhalt, Halberstadt: Blick auf den Triebkopf des VT 18.16, einem Schnellzug der ehemaligen Deutschen Reichsbahn. In den 1960er Jahren wollte die DDR zeigen, dass sie auf der Schiene mithalten kann. Ein Zug mit Komfort wie Drehsitzen und warmem Wasser im Waschraum bestach durch modernes Design. Einst verband er Berlin mit Prag und Wien. Nun soll er wieder auf die Strecke. Zuvor bleibt viel zu tun (zu dpa «Vom Rost zerfressen - Ein DDR-Prestigezug soll wieder auf die Schiene») Foto: Matthias Bein/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Blick auf den Triebkopf des VT 18.16 mit der Produktions-Nr. 10 während der Restaurierung
Quelle: dpa

Imposant sieht der VT immer noch aus mit seiner windschnittigen Nase. Der VT 18.16 erinnerte damit nicht an nur an die Form der westdeutschen Konkurrenz, sondern auch an den legendären „Fliegenden Hamburger“, der 1933 bis 1939 die Hanse- und die Reichshauptstadt miteinander verband, mit Tempo 160.

An der Restaurierung des VT 18.16 sind mehr als 30 verschiedene Firmen beteiligt; in Halberstadt läuft alles zusammen. Es geht um Motoren, Kühler und Federung, um Fenster und historische Leuchten ebenso wie um neu gewebte Gardinen. Zum Glück hat ein gut erhaltener Satz von Zeichnungen der Originalteile die Zeiten überstanden.

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Flucht aus der DDR

Nicht alles kann aber detailgetreu wieder aufgebaut werden. Das WC-System bleibt nur teilweise im historischen Zustand, also mit Fallrohr auf die Schienen. Das ist heute aber nicht mehr zulässig, weshalb andere, moderne Toiletten mit Abwassertank hinzukommen. Auch die Türblockierung wird dem aktuellen Sicherheitsstandard entsprechen. Eine Klimaanlage wird hingegen nicht nachgerüstet. Viele Besonderheiten des VT 18.16 bleiben – drehbare Sitze in den Großraumwagen oder warmes und kaltes Wasser in den Waschräumen.

Wenn der Zug fertig restauriert ist, soll die Eröffnungsfahrt von Berlin nach Prag und zurück führen. Damit der Betrieb wirtschaftlich sei, muss der Zug 40- bis 50-mal pro Jahr unterwegs sein, national und international, sagt Geschäftsführer Mario Lieb. Es geht seinen Mitstreitern und ihm nicht „um einen weiteren Museumszug, der im Lokschuppen steht“. Möglich seien ein- wie auch mehrtägige Fahrten. Lieb sucht dafür Partner, die den Zug regelmäßig chartern.

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Source: welt.de