Rund ein Jahr nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine hoffen Diplomaten auf ein eindeutiges Bekenntnis der globalen Staatengemeinschaft zum Frieden. Am heutigen Donnerstag will die UN-Vollversammlung eine neue Resolution zum Ukraine-Krieg beschließen. Diplomaten gehen davon aus, dass mehr als 130 der insgesamt 193 Länder in der Vollversammlung dem Papier zustimmen werden.

Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba stellte die Beschlussvorlage für Frieden und einen Rückzug der russischen Truppen bereits am Mittwoch bei einem hochrangig besetzten Treffen in dem größten UN-Gremium vor. Der Entwurf bekräftigt eine Reihe zuvor abgestimmter Positionen der Vollversammlung wie etwa die territoriale Integrität der Ukraine.

Die Ukraine und ihre Unterstützer wollen damit an ähnliche Abstimmungsergebnisse des vergangenen Jahres mit mehr als 140 Ja-Stimmen anknüpfen – das soll auch dem Eindruck entgegentreten, es gebe in Teilen der Welt eine Kriegsmüdigkeit und bröckelnden Rückhalt für die Regierung in Kiew.

Auch Annalena Baerbock wird sprechen

Das Treffen vor der Abstimmung in New York machte jedoch deutlich, welch große Kluft weiterhin zwischen den Kriegsparteien herrscht. Während Kuleba von Völkermord sprach, sagte Russlands UN-Botschafter Wassili Nebensja, der Westen wolle sein Land “zerstückeln und zu zerstören”. UN-Generalsekretär António Guterres warnte unterdessen vor einer Ausweitung des Kriegs und dem Einsatz von Atomwaffen. An diesem Donnerstag soll auch Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) vor der Vollversammlung sprechen. 

Vor dem Abflug unterstrich Baerbock in Berlin abermals die deutsche Position: “Was die Weltgemeinschaft verlangt, könnte einfacher nicht sein: Stopp der russischen Angriffe, Schutz der Zivilbevölkerung, Achtung der territorialen Unversehrtheit der Ukraine durch russischen Truppenabzug, Rechenschaft für die begangenen Verbrechen.” Niemand außer Russland wolle diesen Krieg. “Wir wollen Frieden, die Ukraine, die Welt braucht Frieden.” Dafür werde die UN-Vollversammlung in New York am Donnerstag eintreten.

Kuleba prangerte in seiner Rede am Mittwoch massenhafte Verschleppungen ukrainischer Kinder nach Russland an, wo diese von russischen Familien adoptiert und zu Russen umerzogen werden sollen. Die russische Regierung hat ähnliche Vorwürfe bisher dementiert und stellt die Ausreise vieler Ukrainer nach Russland als Flucht aus der Kampfzone dar. Wenn Kinder nach Russland gebracht würden, dann geschehe dies meist zur medizinischen Behandlung oder Erholung.

Russlands UN-Vertreter Nebensja nahm in seiner Rede auch Deutschland und den Westen ins Visier und warf ihnen ähnliche Motive wie im Zweiten Weltkrieg vor. “Dies ist ein Krieg, der, wie es auch vor 80 Jahren der Fall war, einen verräterischen und mächtigen Feind involviert, der unser Land übernehmen und uns unterwerfen will.” Der Westen wolle unter anderem mit der Bewaffnung der Ukraine das Ende Russlands erreichen. “Die deutschen Panzer werden wieder einmal Russen töten”, sagte Nebensja.

Die amerikanische UN-Botschafterin Linda Thomas-Greenfield warb für die Annahme der Resolution: “Uns liegt eine Entschließung vor, die die Nationen der Welt dazu aufruft, die diplomatischen Bemühungen um einen umfassenden und dauerhaften Frieden in der Ukraine zu unterstützen”, sagte sie. EU-Chefdiplomat Josep Borrell betonte, der Krieg sei nicht allein eine europäische Angelegenheit. “Es geht auch nicht um den Westen gegen Russland. Nein, dieser illegale Krieg betrifft alle: den Norden, den Süden, den Osten und den Westen.”

Ursprüngliche Textvorlagen verworfen

Hinter den UN-Kulissen wird bereits seit Monaten darüber diskutiert, wie substanziell eine Resolution zum Jahrestag der Invasion sein könnte. Wie aus UN-Kreisen verlautet, hatte die Ukraine ursprünglich an Resolutionen gearbeitet, die ein Kriegsverbrechertribunal umreißen. Auch hatte sie eine Textvorlage geplant, die einen Zehn-Punkte-Friedensplan des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in ein UN-Dokument überführen sollte. Beide Ideen wurden jedoch für die Abstimmung am Donnerstag aufgegeben.

In dem nun vorliegenden Text tauchen eher vage Formulierungen zum Ende des Krieges auf: Das Erreichen eines umfassenden Friedens, der notwendig sei, würde “einen wesentlichen Beitrag zur Stärkung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit leisten”, heißt es. Im Weiteren wird ein vollständiger Austausch von Kriegsgefangenen verlangt und die Notwendigkeit betont, dass Verantwortliche für die schwersten Kriegsverbrechen zur Rechenschaft gezogen werden müssten. Das Votum wird für den Donnerstagnachmittag New Yorker Zeit erwartet.