Kabinettsklausur in Meseberg: Zwei Tage ohne Panzer
Wer nach Gräben sucht, die sich bei der Klausurtagung der Ampel am Sonntag und Montag zwischen den Koalitionspartnern aufgetan haben könnten, sollte nicht beim Abendessen beginnen. Die – dem Vernehmen nach zufällige – Sitzordnung hatte im Gästehaus der Bundesregierung im nördlich von Berlin gelegenen Meseberg für eine bunte Mischung ohne Rücksicht auf die Parteibücher gesorgt.
Die zu den Grünen gehörende Umweltministerin Steffi Lemke saß neben dem gerade für die erleichterte Planung von Autobahnen kämpfenden Chef des Verkehrsressorts, FDP-Mann Volker Wissing. Die sozialdemokratische Innenministerin Nancy Faeser war an der Seite von Justizminister Marco Buschmann von der FDP gelandet, und dessen Parteichef, Finanzminister Christian Lindner, nahm sein Essen an der Seite der zum linken Flügel der Grünen gehörenden Familienministerin Lisa Paus ein. Ob sie über die Kindergrundsicherung gesprochen haben? Am Montagmorgen war jedenfalls von einem konstruktiven Miteinander die Rede. Er habe nicht den Eindruck, die Koalitionäre stritten sich „wie die Kesselflicker“, sagte Landwirtschaftsminister Cem Özdemir von den Grünen.
Montag Nachmittag traten dann die Drei von der Zankstelle, die keine sein will, vor die Mikrofone. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) und Lindner lobten die Qualität ihrer Gespräche. Scholz fasste es so zusammen: „Das war eine sehr gute Kabinettsklausur, informativ, instruktiv und – Robert und Christian werden das sicher gleich bestätigen – auch sehr konstruktiv.“ Das sollte wohl heißen, dass man keineswegs so zerstritten sei, wie die Debatten der vorigen Wochen über Verbrennermotoren, die Finanzierung der Kindergrundsicherung oder die Planungsbeschleunigung bei Autobahnen hätten glauben machen können.
Linder markierte die FDP-Position
Alles in allem bestätigten „Robert und Christian“ die Koalitionszustandsbeschreibung des Chefs. So ganz konnte es der Finanzminister jedoch nicht lassen, beim Thema Verbrennungsmotor noch einmal den Standpunkt der FDP zu bekräftigen, dass man solche Motoren mit sogenannten E-Fuels, also Kraftstoffen, die synthetisch mit erneuerbaren Energien erzeugt werden, betreiben wolle. Mit einem leichten rhetorischen Fußaufstampfen sagte Lindner: „Es wird keine abschließende politische Entscheidung getroffen über die Antriebe in privaten Pkw.“ Diese Haltung der FDP sei schon im Verlauf der Sondierungsgespräche mit SPD und Grünen gleich nach der Bundestagswahl klar gewesen. Schon vor dem Auftritt der drei hatte Wissing gesagt, man sei auf gutem Weg, sich beim Thema Verbrennungsmotor zu einigen und die Technologieoffenheit in die Vorschläge der EU-Kommission zu integrieren.
Auch beim Streitthema Kindergrundsicherung setzte Lindner einen kleinen, aber deutlichen Akzent. Er sei „hundert Prozent zuversichtlich“, dass man sich darauf einigen werde, die Leistungen leichter zur Verfügung zu stellen. Dass hieß freilich nicht, dass mehr Geld für Leistungen aufgewendet wird.
Eine Frage wurde Scholz, Habeck und Lindner auch zum weiteren Verlauf des Krieges Russlands gegen die Ukraine und dem Ziel der Bundesregierung gestellt. Dazu sei „alles gesagt“, antwortete der Kanzler und bekräftigte mit den üblichen Aussagen die Unterstützung für die Ukraine. Dass es in Meseberg offenkundig wenig um den Krieg, um Haubitzen und Panzer ging und viel um andere Themen (von denen manche mit den Folgen des Konflikts zu tun haben), zeigt, dass das Treffen an einer Wendemarke stattfand.
Nachdem man sich nach der Bundestagswahl 2021 zur ersten rot-grün-gelben Koalition auf Bundesebene zusammengefunden hatte, ging es zwölf Monate lang vor allem um die „Zeitenwende“. Doch obwohl der Krieg in der Ukraine womöglich noch lange dauern wird, wendet sich die Bundesregierung nun verstärkt ihren ursprünglichen und im Koalitionsvertrag festgeschriebenen Zielen zu.
Der Bundeskanzler machte das am Sonntagnachmittag deutlich, als er mit der Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, in Meseberg auftrat. Es gebe „viele Fragen, die uns gegenwärtig umtreiben“, sagte Scholz. „Selbstverständlich ist die wichtigste Frage: Wie kriegen wir es hin, den menschengemachten Klimawandel aufzuhalten?“ Das sei „die Perspektive“, mit der viele Umbrüche verbunden seien. Deshalb sei es ganz wichtig, dass in Europa viele der Investitionen stattfänden, die notwendig seien, damit die „Wirtschaft der Zukunft“ sich auch in Europa „stark entwickeln“ könne. Scholz fuhr fort, dass man sich „sehr ausführlich“ mit den Folgen des amerikanischen Inflation Reduction Act beschäftigt habe und dem, was mit diesem noch zusammenhänge.
Scholz: Im Mittelpunkt steht der Mensch
Dann erwähnte der Kanzler weitere Topthemen, bei denen zumindest die ökonomischen Folgen des russischen Angriffs auf die Ukraine eine Rolle spielen. Er freute sich, dass man die starke Verringerung russischer Energielieferungen nach Europa ohne Energiekrise und mit einer stabilen Wirtschaft überstanden habe. Neben der Frage, wie es gelingen könne, Technologien zu entwickeln, die zum Aufhalten des Klimawandels gebraucht würden, gehe es um Digitalisierung und Künstliche Intelligenz „und all die Entscheidungen“, die „für die Zukunft wichtig sind“.
Er fügte noch an, dass im Mittelpunkt „all der Aktivitäten, die wir vorzunehmen haben“, der Mensch stehe, dass die Beschäftigungsmöglichkeiten in Europa für Junge, für Ältere, für Frauen und Männer wichtig seien. Die Europäische Union müsse die Fachkräftemigration gut nutzen. Auch das sei „vertieft und intensiv“ in Meseberg diskutiert worden. Dann erst, als „letzte Bemerkung“, erwähnte der Bundeskanzler: Natürlich könne man nicht reden, „ohne auch einen Blick auf den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine zu werfen“.
Source: faz.net