16 Euro pro Kasten – und trotzdem ist Pils in Deutschland noch zu billig
Jan Niewodniczanski blickt weit in die eigene Vergangenheit zurück, um ein aktuelles Problem zu beschreiben. „Als ich vor 39 Jahren hier in Bitburg Abitur gemacht habe, kostete eine Kiste Bier 20 Mark“, erzählt der Miteigentümer und Technik-Geschäftsführer der Bitburger Braugruppe. „Und heute? Da sind wir zum Teil immer noch bei um die zehn Euro.“ Ein Brötchen dagegen habe damals nicht mal zehn Pfennige gekostet, heute aber seien es bald 50 Cent.
Dieser Vergleich soll die große Not aufzeigen, in der sich die Brauereien in Deutschland befinden. Die Botschaft von Niewodniczanski, aber auch von etlichen anderen Brauerei-Chefs hierzulande, ist dabei eindeutig: Bier ist in Deutschland zu billig.
Vor allem seit die Corona-Krise und der Ukraine-Krieg die Kosten der Hersteller explodieren lassen, werden die rauer unruhig. „Die Kosten sind historisch hoch“, meldet der Deutsche Brauer-Bund (DBB) und listet mit Verweis auf eine Mitgliederbefragung vom Jahresende 2022 auf, wie stark sich Energie, Rohstoffe und Verpackungsmaterialien verteuert haben: Hopfen zum Beispiel um 35 Prozent, Malz um 90 Prozent, Glas um 70 Prozent, Kronkorken um 120 Prozent, Bierkisten um 40 Prozent, Fässer um 90 Prozent, Etiketten um 30 Prozent, Lkw-Frachten um 20 Prozent.
Dazu kämen die hohen Energiekosten, die trotz zuletzt sinkender Tendenz noch immer ein Vielfaches über dem lange gekannten Niveau liegen. Und damit nicht genug. „Wir müssen damit rechnen, dass die Kosten 2023 auf hohem Niveau bleiben und teilweise weiter steigen“, prognostiziert DBB-Hauptgeschäftsführer Holger Eichele und kündigt an: „Der allgemein hohe Kostendruck wird sich 2023 auch auf die Preise auswirken.“
Tatsächlich haben zahlreiche Brauereien die Abgabepreise an Handel und Gastronomie zuletzt schon erhöht, teilweise sogar mehrfach binnen weniger Monate. Oder sie haben entsprechende Schritte zumindest angekündigt.
Mit dabei waren unter anderem die Branchenriesen Krombacher, Radeberger, Veltins und auch Bitburger, deren Preissignal die kleineren Bierhersteller in der Regel folgen. „Diese Branche braucht jetzt regelmäßig Preiserhöhungen, um überleben zu können“, sagt Bitburger-Geschäftsführer Niewodniczanski.
Der Grat ist allerdings schmal, auf dem die Brauereien dabei wandeln müssen. Denn die Erfahrung zeigt: Nach einer Preiserhöhung sinken üblicherweise die Absatzmengen der jeweiligen Marke. Dass aktuell fast jede Brauerei die Preise für Kisten und Fässer erhöht, könnte den zu erwartenden Effekt für die einzelnen Hersteller zwar dämpfen. Schließlich gibt es für die Verbraucher dann kaum Ausweichmöglichkeiten.
„Lockangebote“ werden immer seltener
Dazu kommt aber die grundsätzliche Sorge in der Branche, dass die anhaltend hohe Inflation zu einer merklichen Kaufzurückhaltung führt. Immerhin dürfte der Normalpreis für eine Kiste Marken-Pils künftig bei 15 bis 16 Euro liegen.
„Angebote und Aktionen im Handel werden in diesem Jahr weiter an Relevanz gewinnen“, glaubt deswegen Marcus Strobl, der Biermarktexperte bei Marktforscher Nielsen IQ. Aber auch da dürfte sich das Preisniveau verschieben. „Lockvogelangebote für zehn Euro oder weniger werden aber immer seltener, sonst legen die Händler bei jeder Kiste drauf“, sagt er.
88 Millionen Hektoliter Bier verkauft
Dass Supermärkte und Discounter in der Krisenzeit gerne auf solche Aktionen gesetzt haben, liegt an der Funktion von Bier für den Handel. „Das ist ein wichtiger Frequenzbringer“, erklärt Strobl, der deswegen entsprechend harte Preisverhandlungen zwischen Handel und Industrie in den kommenden Monaten erwartet.
Zumal die Händler schon jetzt unzufrieden sind mit den Absatzzahlen. Denn während der Biermarkt insgesamt 2022 wieder gewachsen ist, hat der Einzelhandel deutlich Menge und Marktanteile verloren.
Knapp 88 Millionen Hektoliter haben die Brauereien in Deutschland 2022 verkauft, meldet das Statistische Bundesamt. Das sind 2,7 Prozent mehr als noch ein Jahr zuvor. „Der Biermarkt ist auf dem Weg der Erholung“, kommentiert Volker Kuhl, der Geschäftsführer Marketing und Vertrieb bei Veltins.
Von Normalität sei er allerdings noch immer weit entfernt. Denn das Plus sei auf die Rückkehr der zuvor lange geschlossenen Gastronomie und auf wieder stattfindende Feiern zurückzuführen. Beim Verkauf von Flaschenbier dagegen habe es ein Minus gegeben von sechs Prozent bei den Kisten und sogar von fast neun Prozent bei Sixpacks.
Schicksalsjahr der Brauer
2023 wird nun ein entscheidendes Jahr für die Branche. Denn das Minus gegenüber dem Vor-Corona-Jahr 2019 liegt bei immerhin fünf Prozent. „Mit einer Entlastung durch die Gastronomie ist diesmal aber nicht zu rechnen“, sagt Strobl. „Damit könnten erneute Mengenverluste drohen. Denn angesichts der hohen Inflation achten die Verbraucher verstärkt auf den Preis.“ Der aber steigt. Der Brauer-Bund rechnet mit einer „schmerzhaften Konsolidierungsphase“, wie es Verbandschef Eichele ausdrückt. Besonders hart könne es Betriebe mittlerer Größe treffen.
Und tatsächlich heben sich die bekannten Marken aktuell vom der allgemeinen Marktentwicklung ab. Krombacher etwa hat ein Absatzplus von gut vier Prozent beim Pils geschafft, Veltins meldet über acht Prozent mehr Ausstoß und die Bitburger Braugruppe, zu der neben der Stammmarke Bitburger unter anderem auch König Pilsener, Köstritzer und Benediktiner gehören, berichtet von elf Prozent Mengenwachstum. Geschäftsführer Niewodniczanski verweist dabei auf den besonders hohen Fassbier-Anteil von rund 30 Prozent im Bitburger-Portfolio. „Das hat uns in der Corona-Zeit überproportional getroffen – nun wachsen wir aber auch überproportional stark.“
Die Frage ist jedoch, wie lange. „Bier ist in Deutschland kein Wachstumsmarkt“, sagt der Generalbevollmächtigte von Veltins, Michael Huber. Um ein bis drei Prozent werde der Absatz jährlich zurückgehen aufgrund der demografischen Entwicklung, aber auch durch veränderte Konsumgewohnheiten und immer neue Getränkeangebote. „Der Markt verliert vor allem die jungen Konsumenten“, sagt Huber. „Die Stammverwender werden immer älter.“
Längst gehen die Brauereien daher in neue Geschäftsfelder abseits von Bier, allen voran im Bereich alkoholfreie Getränke. Veltins etwa setzt auf Fassbrause und versucht es in diesem Segment als Nächstes mit der Sorte Eistee Pfirsich. Immerhin hat Eistee in den vergangenen beiden Jahren einen kräftigen Aufschwung erlebt durch neue Marktteilnehmer wie 4Bro oder diverse Rapper, die junges Publikum für diese Kategorie begeistert haben.
Eine Branche erfindet sich neu
Krombacher wiederum verkauft ab dem Frühjahr Spezi und geht dazu eine Kooperation mit dem Augsburger Brauhaus Riegele ein, das als Lizenzgeber die Markenrechte an Spezi hält. Gleichzeitig gehören auch Schweppes, Dr. Pepper und Orangina zum Markenportfolio der Westfalen.
Und auch Bitburger lenkt zurzeit Entwicklungskapazitäten in diesen Bereich. „Wir planen Innovationen“, sagt Geschäftsführer Niewodniczanski ohne jedoch Details nennen zu wollen. „Wir sind keine Limonadenfabrik, schauen aber durchaus auch auf andere Bereiche.“ Dabei könne es dann auch um Vertriebskooperationen geben. Schon jetzt gehört Deutschlands führende Mineralwassermarke Gerolsteiner zur Bitburger Holding.
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Source: welt.de