Migranten in Tunesien: Des Lebens nicht mehr sicher

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Der Preis für die Rede des Staatspräsidenten ist hoch. Die Weltbank hat ihre Verhandlungen über eine weitere finanzielle Zusammenarbeit mit Tunesien ausgesetzt, das wegen einer chronischen Wirtschaftskrise am Rande des Bank­rotts steht. „Öffentliche Äußerungen, die Diskriminierung, Aggression und rassistische Gewalt schüren, sind völlig inakzeptabel“, heißt es in einer internen Mitteilung der Weltbank, wie die Nachrichtenagentur AFP schreibt. Auch der überlebenswichtige Milliardenkredit des Internationalen Währungsfonds könnte sich dadurch verzögern.

Die Vereinigten Staaten, die UN und die Afrikanische Union hatten den immer autoritärer regierenden Staatschef Kais Saïed so deutlich wie selten zuvor verurteilt, nachdem nach dessen Rede eine Welle von Übergriffen gegen afrikanische Mi­granten eingesetzt hatte.

Am 21. Februar hatte er vor dem Nationalen Sicherheitsrat die schwarzen Afrikaner im Land zum Sündenbock erklärt: Von ihm nicht näher beschriebene Gruppen erhielten Geld dafür, „die demographische Zusammensetzung Tunesiens zu verändern“. Durch eine Welle irregulärer Migration solle das Land rein afrikanisch werden und seine muslimisch-arabische Identität ausgelöscht werden. Kais Saïed machte „Horden illegaler Einwanderer“ für Gewalt und Verbrechen verantwortlich. Die Sicherheitskräfte müssten dieser illegalen Migration so schnell wie möglich ein Ende bereiten und Migranten ohne die notwendigen Dokumente ausweisen. Der Präsident griff damit Argumente auf, die in rechten sozialen Netzwerken vorher kursiert hatten.

Aus Verkehrsmitteln geworfen

Zunächst wirkte es wie ein Versuch, von der desolaten Wirtschaftslage abzulenken, aber schon kurz danach gab es Massenfestnahmen und rassistisch motivierte Angriffe, die zu einem regelrechten Exodus afrikanischer Migranten führten. Nach offiziellen Angaben leben 21.000 Angehörige afrikanischer Staaten legal in Tunesien. Aber es sind wohl mehr, denn viele Migranten warten nur auf eine Gelegenheit, von Tunesien in das nahe gelegene Italien überzusetzen. In tunesischen und afrikanischen Medien berichten Migranten davon, dass auf einmal regelrecht Jagd auf sie gemacht worden sei und sie sich ihres Lebens nicht mehr sicher fühlten.

Menschenrechtler und Augenzeugen sagen, es sei zu Hunderten von Festnahmen, gewaltsamen Attacken und Raubüberfällen auf der Straße gekommen. Afrikaner wurden nicht nur aus öffentlichen Verkehrsmitteln geworfen, sondern auch aus ihren Unterkünften. Auf Videoaufnahmen ist zu sehen, wie angeblich Wohnungen in Brand gesetzt werden. Es soll Verletzte gegeben haben. Afrikanische Migranten kampierten vor ihren Botschaften und dem Sitz der Internationalen Organisation für Migration und warteten darauf, nach Hause geflogen zu werden. Länder wie die Elfenbeinküste, Mali und Guinea haben damit begonnen, auszufliegen. Bei ihrer Landung wurden sie von Regierungsmitgliedern begrüßt.

Während der tunesische Innenminister Taoufik Charfeddine den Medien vorwarf, sie seien „Söldner fremder Mächte“ und berichteten über angeblich erfundene Übergriffe auf Migranten, schlug der Präsident freundlichere Töne an. „Ich bin Afrikaner, und ich bin stolz darauf, Afrikaner zu sein“, sagte Kais Saïed am Mittwoch. Die gegen ihn erhobenen Rassismus-Vorwürfe seien „bösartig“, er sei falsch verstanden worden. Wenig später kündigte der Präsident, der immer mehr Macht an sich reißt, an, vor den Kommunalwahlen im April die Stadt- und Gemeinderäte aufzulösen und durch „Sonderdelegationen“ zu ersetzen. Die Kommunalparlamente waren nach der friedlichen Revolution ein wichtiger Schritt für den Aufbau der neuen Demokratie.

Source: faz.net