Giffey zeigt ihrer SPD, dass man sich nicht den Grünen ausliefern muss
Franziska Giffey (SPD) hat ihren Doktortitel verloren, die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus und wohl ihren Job als Regierende Bürgermeisterin. Ihr Abgang im Jahr 2021 als Bundesfamilienministerin war unschön. Die Devise: Fürs Bundeskabinett reichte es nicht mehr, aber zur Regierungschefin in Berlin allemal.
Ihre bisherigen Koalitionspartner in Berlin, die Grünen, schmähen die 44-Jährige inzwischen als „Schreckgespenst“, und Teile der eigenen Partei verweigern ihr angesichts der nun aufgenommenen Koalitionsverhandlungen mit der CDU die Gefolgschaft.
Eine Hoffnungsträgerin stellt man sich anders vor. Doch so seltsam das klingt: Genau das ist Giffey für ihre SPD. In Berlin, in Deutschland.
Rot-grüne Bündnisse sind der Traum vieler Sozialdemokraten. Nur so, glauben sie, würden sich soziale Politik und Klimaschutz miteinander versöhnen und vorantreiben lassen. Dass den Grünen als Partei besserverdienender Großstädter das Soziale, die finanziellen Nöte der Menschen, in aller Regel wurst sind, spielt dabei kaum eine Rolle.
Ebenso wenig wie die Tatsache, dass die Grünen häufig mit derart weltanschaulichem Gestus in den Instrumentenkasten für mehr Klimaschutz greifen, dass es klimaschädlich ist. Zum Beispiel, wenn Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) mit freundlicher Unterstützung seiner Partei lieber schmutzige Braunkohlemeiler wieder ans Netz nimmt, anstatt bestehende Atomkraftwerke in der Not ein wenig länger laufen zu lassen.
All das will die SPD nicht sehen, weil das nicht ins Bild von der begehrten grünen Braut passt. Weil es zur roten, ewig-gestrigen Arbeiterfolklore gehört, dass große Koalitionen, also Bündnisse der SPD mit der Union, für die Sozialdemokratie des Teufels sind. Weil da der Seniorpartner bislang immer die CDU war, konkret Angela Merkel.
Die SPD konnte in GroKos zwar jede Menge sozialdemokratische Forderungen durchsetzen, schließlich hat die Kanzlerin mindestens so viel rot-grüne wie schwarze, also konservative Politik betrieben. Das hatte sich allerdings lange nicht in guten Wahlergebnissen für die Sozialdemokraten ausgezahlt. Und darum geht es ja mindestens so sehr, wie um gute Politik für die Mehrheit der Bürger.
Gut für die SPD – und die Menschen im Land
Trotz dieser Gemengelage peilt Giffey eine große Koalition in Berlin an. Und zwar als Juniorpartnerin. Damit belebt sie ein politisches Bündnis, das in der deutschen Parteienlandschaft und wohl auch beim Gros der Wähler zuletzt den Charme von Stone-washed-Jeans und Dauerwelle hatte – also bloß nicht.
Zu Unrecht, denn schwarz-rote oder rot-schwarze Bündnisse müssen nicht per se schlecht und erfolglos sein. Zumal es inzwischen relativ ist, was man „groß“ nennen kann. Schließlich liegen die Grünen in vielen Fällen mit CDU und SPD gleichauf und benehmen sich entsprechend selbstherrlich. Und nicht jede GroKo muss nach dem Prinzip der Altkanzlerin so funktionieren, dass man vor lauter Kompromiss am Ende keine Politik mehr erkennen kann.
Wenn Giffey es hinbekommt, ihre Partei in eine stabile Berliner GroKo zu führen, hat sie es geschafft, der SPD, die dabei ist, sich voll und ganz an die Grünen zu ketten und damit auszuliefern, neue Bündnismöglichkeiten zu eröffnen. Und somit neue Regierungsmöglichkeiten.
Das würde nicht nur der etwas betulichen SPD guttun, sondern die Grünen Demut lehren, deren Hybris in Berlin sprachlos macht. Die Renaissance von GroKos, allein als mögliche Varianten nach Wahlen, wäre gut für die deutsche Parteienlandschaft, für die Menschen im Land.
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Source: welt.de