Silicon Valley Bank: Anleger sollten einen kühlen Kopf bewahren
In jener noch nicht ferne liegenden Zeit der Niedrigzinsen sagten manche Experten voraus: Die Zinsen können nicht mehr kräftig steigen, weil unser Finanzsystem einen solchen Anstieg nicht mehr aushielte. War diese Einschätzung falsch? Vor fünf Monaten brachten höhere Zinsen britische Pensionskassen in die Bredouille. Damals stabilisierte die Bank von England die Lage.
Nun sind amerikanische Westküstenbanken in erhebliche Schwierigkeiten geraten, die Washington auf den Plan rufen. Nervosität prägt die Börsen; Pessimisten fürchten eine neue schwere Finanzkrise, die in einer ohnehin komplizierten politischen und wirtschaftlichen Weltlage nun wirklich niemand brauchte.
Die Krux der steigenden Zinsen liegt in den Kursverlusten, die sie den in der Niedrigzinsphase ausgegebenen Anleihen und anderen festverzinslichen Wertpapieren beschert. Diese Wertpapiere befinden sich überwiegend in den Beständen von Zentral- und Geschäftsbanken und anderen Finanzhäusern wie Versicherungen, Pensionskassen und Investmentfonds. Die Kursverluste führen nicht ins Unheil, wenn Anleger ihre Papiere einfach bis zu deren Fälligkeit halten. Denn am Ende der Laufzeit werden Anleihen und andere festverzinsliche Wertpapiere zum Nennwert von 100 Prozent getilgt. Dann fällt kein Verlust an.
Das Banksystem ist besser mit Reserven ausgestattet
Das Unheil droht, wenn Anleger ihre Papiere nicht halten können, sondern mit Kursverlusten verkaufen müssen. Die britischen Pensionskassen hatten riskante Termingeschäfte getätigt, um zusätzliche Gewinne zu erzielen. Als die Geschäfte schief gingen und Nachzahlungen fällig wurden, blieb ihnen nur übrig, rasch Staatsanleihen zu verkaufen. Die im Vergleich zu zahlreichen großen Banken schwach regulierte und mit erheblichen Risiken geführte Silicon Valley Bank musste, um zahlungsfähig zu bleiben, Anleihen mit hohen Verlusten verkaufen, als ihre Kunden vor dem Wochenende ihre Einlagen zurückforderten. Zentralbanken drohen wegen der steigenden Zinsen ebenfalls Einbußen auf ihre Anleihebestände. Doch anders als Geschäftsbanken vermögen sie auch sehr hohe Verluste auszuhalten, weil sie ihr Geld selbst drucken.
Aus diesem wiederholten Wetterleuchten an den Finanzmärkten ist nicht mit Sicherheit auf ein bevorstehendes Unwetter zu schließen. Das internationale Banksystem ist insgesamt besser mit Reserven ausgestattet als vor der Finanzkrise der Jahres 2008 und 2009. Auch werden die meisten Banken deutlich strenger reguliert als vor der Finanzkrise. Dies gilt vor allem für die großen Häuser.
Allerdings wurden während der Präsidentschaft Trump die Regulierungen für mittelgroße amerikanische Banken zum Teil abgeschafft. Dafür war unter anderem der Vorstandsvorsitzende der Silicon Valley Bank eingetreten. Nach der Lockerung der Regulierungen hatte das Geschäft der amerikanischen Regionalbanken stark zugelegt. Ihre Aktienkurse stehen jetzt besonders stark unter Druck. Washington hat angekündigt, die Regulierung für diese Banken wieder zu verschärfen.
Kühlen Kopf bewahren
Regionale amerikanische Bankenkrisen sind kein unbekanntes Phänomen. In den achtziger und neunziger Jahren des 20. Jahrhunderts wurden in der Krise der sogenannten Sparbanken mehrere hundert Häuser abgewickelt; der Schaden für den Steuerzahler belief sich auf mehr als 100 Milliarden Dollar. Gleichwohl entstand aus dieser regionalen keine globale Krise.
Alle Beteiligten benötigen jetzt einen kühlen Kopf. Die Teilnehmer an den Finanzmärkten wünschen sich eine möglichst umfassende Rettung durch Washington und sie werden für den Fall, dass diese Rettung ausbleibt, nicht zögern, eine schwere Krise an die Wand zu malen. Wenn Washington den Forderungen nachgibt, wird es zu einer unmittelbaren Beruhigung der Lage und deutlichen Kursgewinnen an der Börse kommen. Wirtschaftshistorische Forschungen des Ökonomen Moritz Schularick zeigen indessen, wie die Bereitschaft des Staates, jeden Marktteilnehmer zu retten, zu noch riskanterem Verhalten in der Zukunft mit der Gefahr noch größerer Krisen führt. Das kann keine Lösung sein.
Auch die Zentralbanken sollten sich nicht zu sehr unter Druck setzen lassen. Ihre Zinspolitik muss weiterhin primär an der Sicherung der Geldwertstabilität ausgerichtet bleiben. Die steigenden Zinsen mögen zweifelhafte Geschäftsmodelle einzelner Häuser bestrafen; das Schicksal der Silicon Valley Bank dürften in den kommenden Jahren weitere Häuser teilen. Aber Marktaustritte einzelner Häuser gefährden nicht das gesamte Finanzsystem.
Auch die Privatanleger sollten daher einen kühlen Kopf bewahren. Fallende Aktienkurse sind eher ein Grund, um Aktien zu kaufen, anstatt sich in einem Anfall von Panik von seinen Wertpapieren zu trennen und sich später darüber zu ärgern.
Source: faz.net