News: Bundestag, Wahlrecht, Emmanuel Macron, Rentenreform, Japan, Regierungskonsultationen

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Und jetzt geht es wohl nach Karlsruhe

Potzblitz, wir haben eine Wahlrechtsreform! Oder doch nicht?

Jahrelang haben die Parteien darüber gestritten, wie man den Bundestag wieder etwas kleiner kriegt. Immerhin ist der mit seinen derzeit 736 Abgeordneten das weltweit zweitgrößte Parlament nach dem chinesischen Volkskongress (eigentlich also das größte, da der Volkskongress nicht wirklich ein Parlament ist). Und jetzt soll tatsächlich eine Entscheidung fallen.

Gedränge im Plenarsaal des Bundestages

Gedränge im Plenarsaal des Bundestages


Foto: Michael Kappeler / picture alliance/dpa

Was die Ampelfraktionen da mit ihrer Mehrheit am Freitag beschließen wollen, können Sie hier  noch einmal im Detail nachlesen. Aber, Achtung Spoiler, ob das alles tatsächlich so kommt, ist ungewiss.

Denn wie es schon bei allen früheren Vorschlägen für einen kleineren Bundestag der Fall war: Es sind nicht alle happy mit den Plänen der Ampel, zu denen gehört, die Normgröße auf 630 Abgeordnete festzuschreiben. Die Linke zum Beispiel fürchtet wegen der geplanten Abschaffung der sogenannten Grundmandatsklausel um ihre parlamentarische Existenz. Denn nur die sichert ihr aktuell 39 Sitze, nachdem sie bei der Wahl eigentlich an der Fünfprozenthürde gescheitert war.

Diese hat die CSU zuletzt zwar bundesweit knapp übersprungen. Aber eben nur knapp. Man stelle sich vor, dass die Christsozialen bei einer künftigen Wahl wie üblich fast alle Direktmandate im Freistaat gewinnen, aber keiner dieser Kandidaten in den Bundestag kommt, weil die CSU aufs ganze Land gerechnet nur 4,9974 Prozent holt.

Das finden sie in der Union wenig überraschend gar nicht lustig (auch wenn diese natürlich Jahre Zeit hatte, selbst eine gerechte Reform auf den Weg zu bringen). »Das wirkt wie ein gezielter Angriff auf die CSU und damit gegen eine Partei, die seit 70 Jahren unsere Demokratie im Parlament maßgeblich mitgestaltet hat«, sagte Wolfgang Schäuble jetzt dem SPIEGEL. Schäuble hatte sich als Bundestagspräsident ebenfalls vergeblich bemüht, das Wahlrecht neu zu ordnen. »Dieses Vorhaben muss gestoppt werden«, findet das CDU-Urgestein nun und rät der Union zur Klage in Karlsruhe.

Den Gang vor das Bundesverfassungsgericht bereiten sie bei CDU und CSU längst vor. Oder bewegt sich doch noch etwas? CDU-Chef Friedrich Merz kündigte am Donnerstagabend in der »Welt« an, der Ampel vorzuschlagen, in der kommenden Woche noch mal »in Ruhe« über alles zu reden.

Macron und die »Dicke Bertha«

Frankreich steht vor unruhigen Tagen und Wochen. Die turbulenten Szenen im Parlament und die wütenden Spontan-Demos in französischen Städten waren darauf wohl nur ein Vorgeschmack.

Vorgeschmack auf die nächsten Tage: Spontan-Proteste am Place de la Concorde in Paris

Vorgeschmack auf die nächsten Tage: Spontan-Proteste am Place de la Concorde in Paris


Foto: Thomas Padilla / AP

Emmanuel Macron will seine umstrittene Rentenreform ohne Abstimmung in der Nationalversammlung durchboxen, die ich gestern an dieser Stelle noch als wahrscheinlichen Weg beschrieben hatte. Weil eine Mehrheit für die Anhebung des Rentenalters immer unsicherer schien, entschied sich der Präsident, zur »Dicken Bertha« zu greifen. So wird der inzwischen berühmt-berüchtigte Verfassungsartikel 49.3 in Anspielung auf ein deutsches Geschütz aus dem Ersten Weltkrieg angeblich genannt. Dieser Artikel besagt, dass eine Regierung ein Gesetz ohne Zustimmung des Parlaments durchbringen kann – falls sie damit verbundene Misstrauensanträge übersteht. Diese muss die Opposition bis heute, 15 Uhr, eingereicht haben, abgestimmt wird darüber später.

Aber selbst wenn die Regierung die Misstrauensanträge überlebt: Der politische Preis, den der Präsident und seine Premierministerin Elisabeth Borne für ihr Vorgehen mit der Brechstange zahlen, dürfte hoch sein. Nach den monatelangen Protesten gegen die Rentenreform umgeht Macron nun auch noch das Parlament. Das ist nicht verboten, aber raubt seinem Plan in den Augen seiner Gegner auch noch die letzte demokratische Legitimation.

»Seit Langem geht es bei dieser Reform nicht mehr nur um die Anhebung des Renteneintrittsalters von 62 auf 64 Jahre«, schreibt meine Kollegin Britta Sandberg . »Es geht um ein Volk, das das Gefühl hat, nicht mehr gehört zu werden von seinen Regierenden. Und seit heute geht es auch um gewählte Volksvertreter, die nun nicht mal mehr ihre Stimme abgeben dürfen.« Macron will Stärke zeigen, gesteht aber eigentlich seine Niederlage ein. Die Populisten von Links und Rechts stehen bereit und hoffen, die Stimmen der wütenden Wählerinnen und Wähler einsammeln zu können.

Die Gewerkschaften haben derweil neue Streiks und Massenproteste angekündigt. Der Druck der Straße wird weiter wachsen.

Klassenfahrt nach Tokio

Mit bisher elf Staaten pflegt Deutschland sogenannte Regierungskonsultationen, bei denen nicht nur die Regierungschefs, sondern gleich ganze Ministerrunden in regelmäßigen Abständen zusammenkommen. Japan wird nun Nummer zwölf.

Olaf Scholz und Japans Premier Fumio Kishida (bei einem Kanzlerbesuch im April 2022)

Olaf Scholz und Japans Premier Fumio Kishida (bei einem Kanzlerbesuch im April 2022)


Foto: YOSHIKAZU TSUNO / Getty Images

Am Freitag bricht Kanzler Olaf Scholz gemeinsam mit sechs Ministerinnen und Ministern zur Premiere nach Tokio auf, wo man dieses Format bisher überhaupt nicht gekannt hat. Mit dabei sind Robert Habeck, Christian Lindner, Boris Pistorius, Nancy Faeser, Volker Wissing und Annalena Baerbock. Eine Wirtschaftsdelegation begleitet die Regierungsabordnung nach Japan.

Die Initiative ging von Deutschland aus: Nach Russlands Überfall auf die Ukraine will Scholz nicht nur enger mit den USA zusammenarbeiten, sondern auch Europas Bande zu Demokratien in Asien stärken. Japan, das derzeit den G7-Vorsitz innehat und die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt ist, drängt sich da als Partner auf. Die Japaner wollen wie Deutschland ihre wirtschaftlichen Abhängigkeiten von Staaten wie Russland und China abbauen.

Auch diese beiden Staaten gehören übrigens zum erlesenen Kreis der Länder, mit denen das Bundeskabinett Regierungskonsultationen abhält. Das letzte Treffen mit Russland ist allerdings schon mehr als zehn Jahre her. Seit der russischen Annexion der Krim ist das Format ausgesetzt.

Mehr Nachrichten und Hintergründe zum Krieg in der Ukraine finden Sie hier:

  • Die jüngsten Entwicklungen: Russland plant, seine U-Boote mit Hightech-Waffen auszustatten. Eine Kampfgruppe aus russischen Freiwilligen wird verboten. Und: Präsident Selenskyj gedenkt der Toten von Mariupol. Der Überblick.

  • »Negative Haltung zur Nato« – was der Kreml in Moldau vorhat: Ein Strategiepapier aus Russlands Präsidialverwaltung soll belegen, wie Moskau in die moldauische Politik eingreift. Eines der Ziele demnach: den Westkurs der Regierung zu verhindern. 

  • Russischer Regionalpolitiker muss wegen Protestaktion Strafe zahlen: Bei Kritik reagiert der Kreml dünnhäutig. Der kommunistische Abgeordnete Michail Abdalkin hatte Nudeln auf den Ohren – und wurde deswegen zu einer Geldstrafe verurteilt. Manchen Putin-Fans geht das nicht weit genug.

Hier geht’s zum aktuellen Tagesquiz

Konrad Adenauer war der erste Kanzler der BRD. Wie hieß sein Stellvertreter von 1949 bis 1957?

Verlierer des Tages…

… sind die Flugreisenden an diesem Tag. Denn sie werden womöglich zu Am-Boden-Bleibenden. Ver.di setzt an diesem Freitag seine Warnstreiks an Flughäfen fort. An den Airports in Düsseldorf, Köln/Bonn, Stuttgart und Karlsruhe/Baden-Baden dürfte wenig bis gar nichts gehen, Hunderte Flüge wurden bereits gestrichen, fast 90.000 Passagiere sollen betroffen sein. Aber auch Passagiere, deren Flüge noch nicht vorab gecancelt wurden, müssen sich auf massive Verspätungen oder Spontanausfälle einstellen.

Streikender am Flughafen Düsseldorf (im Januar 2023)

Streikender am Flughafen Düsseldorf (im Januar 2023)


Foto: Roberto Pfeil / dpa

Worum geht es der Gewerkschaft? Verdi protestiert gegen ein von Bund und Kommunen Ende Februar vorgelegtes Angebot im Tarifstreit. Ver.di und der Beamtenbund fordern 10,5 Prozent monatlich mehr Gehalt – mindestens aber ein Plus von 500 Euro.

In den Nachrichtenagenturen lese ich diesen Satz: »Die Flughafenbetreiber raten den Passagieren, sich vor der Anreise zum Flughafen bei ihrer Fluggesellschaft oder ihrem Reiseveranstalter nach dem Status ihres Fluges zu erkundigen.« Das ist wirklich ein brillanter Rat.


Die jüngsten Meldungen aus der Nacht


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Die SPIEGEL+-Empfehlungen für heute

  • »Er wird von Putin persönlich gefangen gehalten«: Seit mehr als zwei Jahren sitzt der Oppositionsführer Alexej Nawalny in Haft. Hier spricht seine Frau Julija über seinen Gesundheitszustand, ein mögliches Ende des Regimes und ihre eigenen Ambitionen .

  • Die Götter, die Astronauten waren: 1973 las die Welt Erich von Däniken. Nach neun Millionen verkauften Büchern legte der Schweizer »Sonntagsforscher« nach: Erstmals könne er den Besuch von Außerirdischen beweisen – auf der Spur ihres »kosmischen Plans« .

  • So werden Sie im Schnee fit und gesund: Langlaufen ist der effizienteste Kalorien-Killer überhaupt, gut fürs Herz und senkt den Blutdruck. Bei keiner Sportart werden mehr Muskeln eingesetzt. Aber kann das wirklich jeder? 

  • Wie Schnittblumen zum Statussymbol wurden: Sie werden per Post nach Hause geliefert und dort wie Kunst inszeniert, sie locken Massen ins Museum – und gehen doch nach einer Woche kaputt. Auch unsere Autorin kauft sich ständig Sträuße. Welchem Hype ist sie erlegen? 

Kommen Sie gut in den Tag.

Herzlich,

Ihr Philipp Wittrock, Chef vom Dienst in Los Angeles